Philharmoniker: "Deutliche Züge einer regimenahen Reichsorganisation"

(c) ORF
  • Drucken

Die Philharmoniker haben die Ergebnisse einer Historikerkommission über ihre Rolle in der NS-Diktatur präsentiert.

„Wir können nicht sagen: Die Uraufführung der Achten Bruckner, der Zweiten und Dritten Brahms, der Neunten Mahler – das waren wir. Aber 1938 bis 1945 – das waren die anderen. Das ist undenkbar.“ Klare Worte fand Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg zur Aufarbeitung der Geschichte des Orchesters in der NS-Zeit durch eine Historikerkommission. Bernadette Mayrhofer, Fritz Trümpi und Oliver Rathkolb haben – wie in der „Presse“ vom Montag berichtet – auch neue Dokumente gefunden.

Etwa zur zweiten Überreichung des Ehrenrings der Philharmoniker an Baldur von Schirach (im NS-Regime Reichsstatthalter in Wien) 1966, nach Schirachs Entlassung aus der Haft. Ein Bote der Philharmoniker überbrachte ihm ein Duplikat des Ringes. (Das Original hatte Schirach verloren.) Nun hat der Historiker Wilhelm Bettelheim entdeckt, wer der Bote war: Trompeter Helmut Wobisch, der schon als illegaler Nazi als Spitzel tätig gewesen war. Dieser ehemalige SS-Mann wurde nach dem Krieg nicht nur als Trompeter wieder eingestellt, sondern auch zum Geschäftsführer gewählt. Die Ringüberreichung war laut Historikern höchstwahrscheinlich eine „private Einzelaktion“. „Es wäre ein ziemlich schreckliches Indiz, wenn das vom Orchester beschlossen worden wäre“, sagt Rathkolb.

In der NS-Zeit gab es freilich etliche „eindeutig politische“ Verleihungen, etwa an Generalfeldmarschall Wilhelm List und Arthur Seyß-Inquart. Was mit der in einem internen Plan zur 100-Jahr-Feier der Philharmoniker (1942) erwähnten Nicolai-Medaille in Gold – mit der Gravur „Dem Führer“ – geschah, ist offen.

Schon vor 1938: 20 Prozent bei der NSDAP

1942 waren 60 von 123 aktiven Musikern Mitglieder der NSDAP; die Philharmoniker trugen, so Trümpi, „deutliche Züge einer regimenahen Reichsorganisation“. Aber schon vor 1938 betrug der Anteil der NSDAP-Mitglieder rund 20 Prozent: eine „sehr aktive ,illegale‘ Zelle“, wie es im Bericht der Historikerkommission heißt.

Dessen erste Sätze lauten: „1938 griff auf brutalste Weise die Politik ins philharmonische Geschehen ein: Die Nationalsozialisten entließen fristlos alle jüdischen Künstler aus dem Dienst der Staatsoper und lösten den Verein Wiener Philharmoniker auf. Lediglich die Intervention Wilhelm Furtwänglers und anderer Personen bewirkte die Annullierung des Auflösungsbescheides und rettete bis auf zwei die ,Halbjuden‘ und ,Versippten‘ vor Entlassung aus dem Staatsopernorchester. Fünf Orchesterkollegen verstarben trotz Intervention des neuen NS-Vorstandes, der sie vor der Deportation retten wollte, an den Folgen der KZ-Haft oder wurden ermordet. Weitere zwei Musiker kamen in Wien als direkte Folge von versuchter Deportation oder Verfolgung ums Leben. Insgesamt neun Kollegen wurden ins Exil vertrieben. Die elf verbliebenen Orchestermitglieder, die mit Jüdinnen verheiratet waren oder als ,Halbjuden‘ stigmatisiert wurden, lebten unter der ständigen Bedrohung des Widerrufs dieser ,Sondergenehmigung‘.“ apa/red

Der ganze Bericht ist auf www.wiener-philharmoniker.at nachzulesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Walzerseligkeit unter Hakenkreuz
Klassik

Walzerseligkeit unter dem Hakenkreuz

Die Wiener Philharmoniker öffnen ihr Archiv - im Internet. Ab 12.März stehen alle von einer Historikerkommission als relevant erkannten Dokumente über das Orchester in der Zeit von 1938 bis 1945 online.
Klassik

Wiener Philharmoniker in NS-Zeit: "Sehr aktive 'illegale' Zelle"

Auszüge aus den umfangreichen Historiker-Texten zu den Wiener Philharmonikern in der NS-Zeit.
Subtext

Die Philharmoniker öffnen ihre Archive - Einblick gab es längst!

Mit dem Schicksalsdatum Österreichs, dem 12. März, darf man ab sofort auch eine Aktion zur zeithistorischen Transparenz verbinden. Online kann man philharmonisch stöbern.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.