Deutschlands Kanzlerin übt erstmals Kritik an Ungarn

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Die EU-Kommission lässt nach der Verfassungsänderung Ungarns den Gesetzestext auf Unverträglichkeiten mit EU-Normen prüfen.

Brüssel/Strassburg/Berlin. Dass ein Spitzenpolitiker die Entwicklungen in einem EU-Nachbarland kritisiert, hat in Europa Seltenheitswert – kein Wunder, gilt doch die direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates als diplomatischer Fauxpas. Umso überraschender war es, dass sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals zu einem Kommentar zur jüngsten Verfassungsänderung in Ungarn hinreißen ließ. Wie Merkel ihre Ermahnung gegenüber dem gerade in Berlin weilenden ungarischen Staatsoberhaupt János Ader formulierte, ließ ihr Sprecher offen. Nur soviel: Die Kanzlerin „warb erneut für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Zweidrittelmehrheit, über die die ungarische Regierung im Parlament verfügt“.

Die am Montagabend von der ungarischen Regierungspartei abgesegnete Verfassungsänderung hat auch die EU-Kommission auf den Plan gerufen. Ein Expertenteam der Brüsseler Behörde prüft nun den Gesetzestext auf Unverträglichkeiten mit EU-Normen. Die Prozedur werde „einige Wochen dauern“. Welche Passagen besonders genau unter die Lupe genommen werden, wollte man gestern in Brüssel nicht sagen – die Kommission dürfte sich aber an mindestens zwei Paragrafen stoßen: der Beschneidung der Rechte der Verfassungsrichter bei der inhaltlichen Begutachtung von künftigen Novellen des ungarischen Grundgesetzes sowie der (möglichen) Verpflichtung von Hochschulabsolventen, die keine Studiengebühren zahlen mussten, mindestens die doppelte Dauer ihrer Studienzeit zuerst in der Heimat zu arbeiten.

Hoffen auf Einlenken

In Brüssel hieß es jedenfalls, man hoffe darauf, dass die politischen Warnschüsse aus anderen EU-Hauptstädten, gepaart mit juristischem Druck seitens der Kommission, Ungarns Premier Viktor Orbán zum Einlenken zwingen. „Die Kommission würde es gern vermeiden, ein Vertragsverletzungsverfahren wegen eines Verfassungsgesetzes einzuleiten“, hieß es hinter vorgehaltener Hand.

Ein solches Vertragsverletzungsverfahren wird indessen von einzelnen EU-Abgeordneten wie dem Chef der Liberalen Fraktion, Guy Verhofstadt, gefordert. Er sieht einen Verstoß gegen „grundsätzliche europäische Werte“.

Im Europaparlament stellt sich die größte Fraktion, die Europäische Volkspartei (EVP), der auch Orbáns Partei angehört, gegen eine scharfe Reaktion. SPÖ-Europaabgeordneter Jörg Leichtfried nannte es zwar „problematisch“, von außen auf ein Land einzuwirken. „Im Gegensatz zu Großbritannien, das derzeit so heftig kritisiert wird, handelt es sich bei Ungarn aber um ein demokratiepolitisches Problem, das alle angehen sollte.“ Die grüne Abgeordnete Ulrike Lunacek betonte, dass die EU stets zu spät auf derartige Probleme reagiere. Sie fordert die Gründung einer eigenen Kommission, die sich mit möglichen Verletzungen von Grundrechten in Mitgliedstaaten beschäftigt.

Ungarns Banken Seite 19

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2013)

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