Grün und Schwarz ergibt Pink

Neos sind die Stadt-ÖVP, die die ÖVP sein könnten, würden sie sich nicht vor Fahrrädern fürchten. Weshalb Neos das Rathaus näher als der Nationalrat ist. Vorerst.

Mitunter lohnt es sich, mit Betrachtungen der Innenpolitik ganz woanders zu beginnen. Auf der Buchmesse in Leipzig etwa. Dort stellt die Ex-Geschäftsführerin der deutschen Piraten dieser Tage ihr Buch „Wir nennen es Politik“ vor. Inhaltlich geht es – so man dem ersten Blick traut – um ein Plädoyer für Internet-Bürgerbeteiligung, Transparenz und politische Naivität. Interessanter ist aber die Symbolik. Der Weisband-Hype beweist nämlich, dass die sperrige Frage „Wie macht man Politik anders?“ auch außerhalb von Thinktanks ein Thema geworden ist. Und er zeigt, dass Parteipolitik auch jung und niederschwellig sein kann: Offenbar können das auch „einfache Bürger“ (zumindest probieren).

Jetzt hat Österreich zwar keine Marina Weisband, aber doch merkbar ein Bedürfnis nach einer anderen Politik (wie immer die auch aussieht, Hauptsache anders) und nach anderen Politikern (wer immer die auch sind, Hauptsache keine Berufspolitiker). Es ist dies quasi die freundlichere Seite der Politikverdrossenheit. Derzeit bieten sich dem Wähler drei Optionen: die Piraten, die es im Unterschied zu den Berliner Kollegen trotz Medieninteresses nicht einmal zum Kurzzeithoch schaffen. Dann das Team Stronach, das mit Populismus, viel Geld und einer skurril-streitbaren Galionsfigur die FPÖ das Fürchten lehrt. Und dann wäre da noch die pinke liberale Sammelpartei Neos, die mit den Erben des Liberalen Forums in den Nationalrat will.

Neos haben weder Prominente (nicht, dass sie es nicht versucht hätten) noch viel Geld (Hans Peter-Haselsteiner will jetzt doch kein Stronach sein), und sie haben auch keine markigen Ansagen – sieht man von launigen Slogans wie „Macht Politik statt Machtpolitik“ ab. Kurz, im Kampf der neuen Parteien um Aufmerksamkeit stehen die Chancen eher schlecht, derzeit liegen sie in Umfragen bei zwei Prozent. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch Sympathisanten sie wegen des „Lost Vote Syndroms“ doch nicht wählen, hoch.

Abseits dieser nüchternen Einschätzung sind Neos aber ein interessantes Experiment. Nicht nur weil sie, den alten Debattenschlager „Hat Liberalismus in Österreich eine Chance?“ neu auflegen – und zwar mit mehr unbelastetem Elan als das BZÖ. Sondern auch, weil sie aus der Not eine Tugend machen und die Partei anders, man kann durchaus sagen moderner, anlegen – mit offenen Vorwahlen und Einbindung von (interessierten) Bürgern; auch der Umgang mit Social Media wirkt einigermaßen natürlich, bei den Finanzen setzt man auf „Crowdfunding“. Das, was bei den Mutbürgern begann, wurde sozusagen professionalisiert, auch wenn die „Wir sind das Volk“-Attitüde nur mit Nachsicht durchgeht. Schließlich haben viele der Beteiligten Politikerfahrung. Man muss nur Neos-Chef Matthias Strolz zuhören, wie er im Politik-Phrasen-Sprech Politikphrasen geißelt.

Interessant ist an Neos auch, dass sie ohne Extrempositionen auskommen, nicht auf ein Thema zuspitzen. Mitte von Anfang an quasi. Auch die Themen, auf die man setzt, sind breit, fast spröde: Bildungs-, Föderalismus-, Steuerreform. Während sie in Form und Struktur den Grünen ähneln, docken sie beim inhaltlichen Schwerpunkt bei der ÖVP an: Wirtschaft. Eine Erkenntnis, die man vermutlich dem LIF-Experiment verdankt. Mit „Kreuz-im-Klassenzimmer“-Debatten gewinnt man keinen Wahlkampf. Mit der Frage, wie viel in der Geldbörse bleibt, vielleicht schon eher.

Aus Schwarz und Grün ergibt sich folgerichtig auch das Neos-Zielpublikum: Einpersonenunternehmen, Selbstständige. Der klassische Neos-Wähler ist vermutlich jener, dem die ÖVP gesellschaftspolitisch zu konservativ und die Grünen wirtschaftspolitisch zu links oder zu sehr auf Verbote gepolt sind. Man könnte auch sagen: Neos sind die Stadt-ÖVP, die die ÖVP sein könnten, würden sie nicht auf Alkoholverbot im öffentlichen Raum setzen und sich nicht vor Fahrrädern fürchten. Oder die Stadt-ÖVP, die Sebastian Kurz machen würde, wäre er nicht immer Funktionär gewesen. Insofern schlägt die Stunde der Pinken wenn, dann bei der Wien-Wahl. Dass die ÖVP sie bis dahin ignoriert, ist vermutlich das Klügste, was sie machen kann – und der beste Hinweis darauf, dass es 2015 für sie ungemütlich werden könnte.

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2013)

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