Vukovars (unsichtbare) Ruinen des Kriegs

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In der kriegszerstörten kroatischen Stadt Vukovar an der Donau versuchen Serben und Kroaten, die Vergangenheit hinter sich zu bringen. Die Außenwelt macht es ihnen nicht leicht.

Jemand klopft an der Haustür, und als Željka Ćuk die Tür öffnet, steht ihr ein unbekannter Mann gegenüber, der dann gleich zur Sache kommt: „Das hier ist mein Haus.“ Damit hat die Familie Ćuk schon gerechnet, dass irgendwann irgendjemand vor der Tür stehen und diesen Satz schmettern wird. Also bitten sie den Mann herein und sagen ihm, dass sie an diesem Haus nichts verändert haben. Sie reden sehr lange miteinander. Er erlaubt, dass Željka Ćuk und ihre Eltern hier wohnen bleiben dürfen, bis sie eine neue Bleibe gefunden haben. Er selbst lebt ohnehin in Deutschland. Und als er hierher zurückkam, nach Vukovar in Kroatien, wollte er nur das Grundstück inspizieren. Dass sein Haus den Granatenregen überlebt hat, hat er wohl nicht erwartet.

Das war vor mehr als zehn Jahren. Die Eltern der 26-jährigen Sozialarbeiterin Željka Ćuk haben eine neue Bleibe gefunden, der Besitzer aus Deutschland hat jenes Haus verkauft, in dem sich die Familie nach dem Krieg 1991 eingenistet hatte. Sie waren die ganze Zeit über in Vukovar geblieben: Als sich die Spannungen zwischen Serben und Kroaten stetig zuspitzten, als Kroatien im Juni 1991 die Unabhängigkeit erklärte und rund um Vukovar die ersten Scharmützel begannen, als im August die Jugoslawische Volksarmee (JNA) gemeinsam mit serbischen Freischärlern die Stadt einkesselte und die kroatischen Verteidiger zu besiegen versuchte. Drei Monate dauerte die Schlacht um die Stadt, schließlich fiel sie im November der JNA in die Hände. Die Bilanz könnte erschütternder kaum sein: Keine andere Stadt wurde im Lauf der Jugoslawien-Kriege derart zerstört wie Vukovar. Tausende Granaten täglich haben die barocke Stadt dem Erdboden gleichgemacht, 90 Prozent der Gebäude waren zerstört, mehr als 1400 Menschen starben, von den ursprünglich 45.000 Bewohnern waren am Ende gerade einmal 2000 übrig.

Nicht mit Krieg gerechnet. In den Ruinen hat Željka als Kind „Häuser aufbauen“ gespielt. An die Zeit im Keller ihres alten Hauses, wo sie die Tage der Schlacht verbracht hat, habe sie keine schlechten Erinnerungen. Ihre Eltern waren bei ihr, auf den Klappbetten konnte man trotz allem schlafen, Konserven und frisches Wasser aus dem Brunnen hatten sie ebenfalls. Letztendlich, sagt Željka, haben ihre Eltern einfach nicht geglaubt, dass es tatsächlich zum Krieg kommen könnte. Vielleicht deswegen, weil ihr Vater Serbe und ihre Mutter Kroatin ist. Eine gemischte Ehe ist nichts Exotisches in Vukovar. Vor dem Krieg waren fast 40 Prozent der Einwohner Serben (heute sind es 35 Prozent), viele andere Minderheiten lebten und leben ebenfalls hier. An der Donau befand sich einer der wichtigsten Binnenhäfen Jugoslawiens, und die Schuhfabrik „Borovo“ beschäftigte 22.000 Einwohner, die Hälfte der Stadt. Die Fabrik gibt es noch. Heute arbeiten hier nicht einmal 1500 Menschen.

Das Jugendzentrum „Youth Peace Group Danube“, wo Željka mit den akkurat geschnittenen Stirnfransen und dem lebhaften Gemüt arbeitet, liegt auf einem Hügel stadtauswärts. Draußen hat der Abend die Atmosphäre schwerfällig gemacht, aber drinnen liegt Aufregung in der Luft. Ein Jugendarbeiter aus Spanien spendiert Sangria und zeigt eine Powerpoint-Präsentation über sein Land; Penélope Cruz und Enrique Iglesias lächeln von der Leinwand herab. Es ist eine sonderbare Schicksalsgemeinschaft, die Spanien und Kroatien hier bilden: Beide Länder kämpfen mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit. Wenn sie mit Schule und Uni fertig sind, sagen die Jungen hier, dann wollen sie in die Schweiz oder nach Australien. Manche würden sogar in Vukovar bleiben wollen. Aber wo sollen sie hier schon arbeiten?

Heizmaterial zu Wahlzeiten. Das Wort Arbeitslosigkeit können die Einwohner in Vukovar in mehreren Sprachen aufsagen. Die zerstörten Fabriken wurden, wenn überhaupt, nur mehr rudimentär aufgebaut. Der Wunsch nach geregeltem Einkommen eint die Stadt – und der Konflikt zwischen Serben und Kroaten dringe von draußen herein wie giftiges Gas, da sind sich fast alle einig. Es seien Kroaten und Serben aus dem Umland, Journalisten aus Städten wie Paris und Prag, die für zwei, drei Tage hierherkommen und dann zu Hause herumerzählen, wie elend das Leben in Vukovar doch sei. Politiker, die mit scharfen Sätzen zu Wahlkampfzeiten Heizmaterial liefern. Das führe dann dazu, dass am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, die Arbeiter derselben Fabrik sich am selben Ort treffen, sich aber in Serben und Kroaten teilen. Habe man so etwas Absurdes schon einmal gehört?, fragt der Musiker Zoran Cikovac. Auch heuer im Mai stehen Wahlen an. Derzeit machen einige kroatische Verbände mobil gegen das Aufstellen von zweisprachigen Schildern (mit kyrillischen Buchstaben). Das sieht die kroatische Verfassung in jenen Orten vor, in denen eine Minderheit mehr als ein Drittel stellt. Kürzlich wurde in Vukovar dagegen protestiert, die meisten Demonstranten sollen mit Bussen herbeigekarrt worden sein.


Vernarbte Häuser. „Wir haben hier ein normales Leben“, sagt Željka. Aus den Ruinen wurde in der Zwischenzeit Neues aufgebaut: Einfamilienhäuser glänzen in Neonfarben, das barocke Stadtensemble wird renoviert, Schloss Eltz an der Donau steht schon. Die von Einschusslöchern vernarbten Häuser gibt es freilich auch noch, sie dominieren aber nicht das Stadtbild. „Meine Studenten trennen sich nicht nach Ethnien“, sagt auch Gordana Bujišić, Psychologieprofessorin an der Universität und Präsidentin des „Vukovar Institute for Peace, Research and Education“ (Vimio). Als Vimio vor 14 Jahren gegründet wurde, bemühte man sich, Serben und Kroaten an einen Tisch zu bekommen. Heute bemüht sie sich um Bildung. Man habe wenige Einwohner mit radikalen Ansichten, die aber brächten das Leben hier durcheinander, sagt Bujišić. Die Mehrheit wolle einfach nur ihre Ruhe haben.

Freilich könne man den Krieg nicht vergessen, sagt der ältere Herr mit Stock und Schnauzer im Stadtzentrum. Die Erinnerung daran komme immer wieder, man könne das nicht kontrollieren, das sei wie mit dem Wetter. Gestern zum Beispiel saß er bei 15 Grad draußen im Café und heute kotzt ihm der Himmel als Schnee getarnten Dreck ins Gesicht. Ja, es sei bitter. Aber er hänge zu sehr an Vukovar, als dass er sich deswegen für immer in der Vergangenheit eingrabe. Auch Željka liebt ihre Stadt. Die Ruinen haben in ihr den Wunsch hinterlassen, alles neu aufzubauen. Sie will, dass die Jugendlichen in Vukovar bleiben. Ein kühner Wunsch, und das weiß sie auch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2013)

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