Deutschland: Anti-Euro-Professoren stürmen die Politik

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Erstmals könnte eine deutsche Partei Erfolg haben, die eine Auflösung der Eurozone fordert. Die "Alternative für Deutschland" stehe für eine andere Form von Solidarität, sagt ihr Gründer, der Ökonom Bernd Lucke.

Berlin. Die neue Partei ist erst eine Woche alt, aber sie lehrt den etablierten schon das Fürchten: Laut Umfragen kann sich ein Viertel der Deutschen vorstellen, bei der Bundestagswahl im Herbst die „Alternative für Deutschland“ zu wählen. Deren erklärtes Ziel: die Eurozone kontrolliert und rechtskonform aufzulösen. Am Ende sollen wieder nationale Währungen stehen. Noch im Vorjahr sind die in Bayern starken „Freien Wähler“ damit gescheitert, mit einem Anti-Euro-Programm bundesweit Fuß zu fassen. Die neue Partei aber erlebt nun einen medialen Hype. Dahinter stehen keine polternden Rechtspopulisten, sondern honorige Volkswirte und konservative Publizisten. Ihr Frontmann ist der Ökonom Bernd Lucke (50).

Die Presse: In anderen Ländern scharen sich Eurogegner hinter Populisten und Rechten: Stronach, Grillo, Le Pen. Unterscheiden Sie sich von denen?

Bernd Lucke: Wir haben keine Beziehung zu euroskeptischen Parteien in anderen Ländern. Unser Gründerkreis ist anders strukturiert. Bei den Deutschen erzeugt die Europolitik große Unsicherheit. Das Thema erfordert Fachkenntnis. Die Bürger trauen sich nicht zu, gegen den Rat der Regierung aufzubegehren, wenn es nicht Unterstützung durch Fachleute gibt. Bei uns finden Professoren und Unternehmer zusammen, die sich beruflich mit dieser Frage beschäftigen. Sie verschaffen den Deutschen eine Möglichkeit, ihr Unbehagen auszudrücken.

Sie sind nicht gegen Europa?

Absolut nicht! Wir bejahen die friedliche Einigung Europas und die EU. Wir sind auch ohne Weiteres bereit, Solidarität mit ärmeren Staaten zu üben. Aber im Augenblick ist das keine Frage der Solidarität. Die gewaltigen Summen, die etwa Griechenland bekommt, stehen in keinem Verhältnis zur Unterstützung für die baltischen Staaten, die viel ärmer sind. Da wird Kapital fehlgesteuert: Es kommt nicht zu denen, die in ihrer Leistungsfähigkeit am wenigsten weit fortgeschritten sind, sondern einfach zu denen, die am meisten Schulden gemacht haben. Das ist kein vernünftiges Kriterium, um solidarische Transfers zu leisten.

Ihr erster Schritt wäre: die EU-Verträge ändern, Austritte ermöglichen. Schon eine Diskussion darüber würde Erdbeben an den Finanzmärkten auslösen.

Mir liegt das Wohlergehen der Menschen Südeuropas mehr am Herzen als das der Akteure an den Finanzmärkten. In Süditalien gibt es eine Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 70 Prozent. Ich frage mich: Was machen diese jungen Leute in Regionen, wo es keinen anderen Arbeitgeber mehr gibt als das organisierte Verbrechen? Das finde ich sehr bedrückend, da müssen wir etwas ändern. Und da ist mir dann nicht so wichtig, ob die Renditen auf den Finanzmärkten stimmen.

Laut Studien gleicht sich die Wettbewerbsfähigkeit zwischen Nord und Süd an, weit schneller als gedacht.

Da werden Daten falsch interpretiert. Zwar steigt in den Krisenstaaten die Produktivität – aber nur deshalb, weil die unproduktiveren Leute entlassen werden. Das ist keine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Die hätte man erst wieder bei Vollbeschäftigung. Davon sind wir weit entfernt: Die Arbeitslosigkeit steigt massiv an.

Eine neue D-Mark würde massiv aufwerten. Um die Exportwirtschaft zu retten, müssten Arbeitnehmer wieder einmal Lohneinbußen hinnehmen – keine attraktive Perspektive.

Nein. Aber wenn wir den Euro nicht gehabt hätten, hätte die D-Mark auch über die Jahre verteilt aufgewertet. Es ist also legitim, wenn wir das jetzt erleben. Nur muss man den Ausstieg so gestalten, dass die Aufwertung uns nicht schlagartig trifft, sondern graduell über einen längeren Zeitraum, damit sich die Wirtschaft anpassen kann. Deshalb schlagen wir Parallelwährungen für die Südländer vor. Das heißt, dass dort eine Zeit lang Euro und nationale Währungen gleichzeitig benutzt werden. Das erleichtert ihnen den Ausstieg aus dem Euro. Wenn sie draußen sind, ist es relativ leicht, den Rest des Verbunds aufzulösen.

Die Parallelwährungen sind Ihr Konzept. Für den richtigen Ausstieg gibt es fast so viele Vorschläge, wie es euroskeptische Ökonomen gibt. Wie wollen Sie sich da einigen?

Wir sind offen, auch andere Wege zu diskutieren. Auch auf die Vorstellungen unserer EU-Partnerländer müssen wir eingehen.

Die Auslandsschulden der Südländer würden weiter in Euro notiert bleiben und damit dramatisch teurer.

Richtig. Aber andererseits belebt sich die Wirtschaft, und die Staaten nehmen mehr Steuern ein. Damit können sie, anders als heute, wieder den Schuldendienst leisten.

Niemand weiß, ob eine solche Rechnung aufgeht ...

Man kann es nicht vollständig voraussagen. Einige Länder werden ohnehin einen Schuldenschnitt brauchen, vor allem Griechenland.

Als Ökonom können Sie ungestraft viel vorschlagen. Jetzt tragen Sie, im günstigen Fall, politische Verantwortung für gewagte Konzepte. Bereitet Ihnen das nicht schlaflose Nächte?

Für meine Empfehlung an die Politik fühle ich mich genauso verantwortlich wie für mein politisches Handeln. Da will ich gar nicht unterscheiden.

Abgesehen vom Euro: Wo stehen Sie als Partei – links, rechts, in der Mitte?

Wir verkörpern bürgerliche Kernwerte: Verantwortung, Transparenz, Rechtsstaatlichkeit. Aber wir kommen aus verschiedenen Richtungen: manche aus der liberalen Ecke, manche mit christlicher Prägung, andere stärker solidarisch orientiert und gewerkschaftsnah.

Man erwartet, dass sie vor allem der Union und der FDP Wähler wegnehmen. Damit könnten sie indirekt Rot-Grün an die Macht bringen. Noch mehr Eurohaftung wäre die Folge.

Unser Thema ist, wie eine Umfrage zeigt, sogar für Wähler der Linkspartei attraktiv. Aber selbst wenn wir der Koalition mehr Stimmen wegnehmen, ist mir das völlig egal. Als einziger Unterschied ihrer Politik zu jener der SPD und der Grünen bleibt, ob man eine gesamtschuldnerische oder eine teilschuldnerische Haftung haben will. Wir wollen überhaupt keine Haftung, und dafür setzen wir uns ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2013)

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