März 1938: Baron Rothschild – ausgeplündert

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Der erste „Prominententransport“ ins Konzentrationslager. 151 verhaftete NS-Regimegegner werden nach Dachau gebracht. Und ein Bankier wird drangsaliert.

Der 1. April 1938 war ein Schicksalstag für viele Österreicher. Gleich nach dem „Anschluss“ verhaftet und in Gestapo-Gewahrsam wurden sie nun mit dem ersten Transport ins KZ Dachau gebracht. Die Gruppe von 151 Personen bestand aus bekannten Politikern, Gegnern des nationalsozialistischen Regimes, Christlichsozialen, Monarchisten, Sozialdemokraten und Kommunisten. Etwa ein Drittel von ihnen war jüdischer Religion oder Abstammung. Zum ersten Transport gehörten Wiens Ständestaat-Bürgermeister Richard Schmitz, der illegale SP-Funktionär Franz Olah, die Schriftsteller Raoul Auernheimer und Heinrich Jacob, der Librettist Fritz Löhner-Beda, sein Kollege Fritz Grünbaum, ferner die Fürsten Max und Ernst von Hohenberg sowie Leopold Figl (siehe „Die Welt bis gestern“ vom 16. März).

Weitere Berühmtheiten, die deportiert wurden: Fritz Bock, Robert Danneberg, Ludwig Draxler, Alexander Eifler, Jakob Ehrlich, Desider Friedmann, Josef Gerö, Alfons Gorbach, Robert Hecht, Egon Hilbert, Rudolf Kalmar, August Kargl, Hans Kotányi, Eduard Ludwig, Viktor Matejka, Josef Reither, Maximilian Ronge, Johann Staud, Karl Stepan.

Louis Nathaniel Freiherr von Rothschild (1882–1955) ereilte ein anderes Schicksal. Seit 1911 leitete er das Privatbankhaus S.M. v. Rothschild & Söhne in Wien und kontrollierte lange als Hauptaktionär die Creditanstalt, die größte Bank Österreichs. Als 1929 die Bodencreditanstalt in Schwierigkeiten geriet, musste Rothschild unter ultimativem Druck der Regierung diese Bad Bank auffangen. So kam es letztlich auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise im Frühjahr 1931 zum Zusammenbruch der Creditanstalt. Rothschild leistete einen namhaften Beitrag, aber die Bank war nur noch mit Staatsgeld zu sanieren. Im März 1938 befand sich Rothschilds Bank so mehrheitlich im Besitz des Bundes.

Der Baron in Gestapo-Haft

Nach dem „Anschluss“ kam der Baron sofort in Gestapo-Haft, die über ein Jahr lang dauerte. Dann gab Rothschild auf. Er opferte seinen gesamten Wiener Besitz – und durfte ausreisen. Unter den Beschlagnahmungen waren auch die Sammlungen von Louis und Alphonse Rothschild – zur Letzteren gehört das Bildnis der Marquise de Pompadour.

Noch gab es dafür aber keine entsprechende rechtliche Grundlage. Die wurde erst im November geschaffen und der „Führer und Reichskanzler“ behielt sich die Verfügung über diese Bestände vor.
Zuvor hatte sich nämlich schon eine Londoner Kunsthandlung dafür interessiert und Ankäufer nach Wien geschickt. Denn man wusste – das Deutsche Reich brauchte dringend Devisen.

Doch Berlin war nicht zum Verkauf bereit. Ab 1939 erschien immer wieder Hans Posse in Wien, der mit dem Aufbau eines „Führermuseums“ in Linz betraut war. Posse war ein Kenner. Und er wählte sehr sorgfältig aus, insgesamt 121 Stücke. Nur das Beste war gerade gut genug. Und die Rothschilds hatten nur das Beste. Louis war inzwischen nach Paris geflüchtet.

Von dort aus versuchte die Bankiersfamilie, ihre Forderungen gegen das Deutsche Reich durchzusetzen. Vergeblich: All die Schätze blieben im staatlichen Eigentum, einzelne Stücke hätte die Familie teuer zurückkaufen können. Das Bildnis „Marquise de Pompadour“ landete im Führerbau in Berlin, 1945 wurde es nach Altaussee in Sicherheit gebracht.

Eichmann übernahm das Palais

Rothschild hatte alles verloren. In sein prächtiges Palais in der Prinz-Eugen-Straße zog die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ von Adolf Eichmann ein. Das Anwesen ist im Zweiten Weltkrieg zerbombt worden, heute befindet sich dort die Arbeiterkammer.

Polizeiwachstube an der Uni

An den Hochschulen war der Regimewechsel längst vollzogen. Das ging blitzschnell. Denn der Boden war schon seit der Jahrhundertwende aufbereitet. 1919 wurde mit der Deutschen Studentenschaft (DSt), der Vertretung aller Studenten „deutsch-arischer“  Abstammung, der  aggressive Antisemitismus  institutionalisiert. Ab 1929 gab es fast täglich Ausschreitungen: Burschenschafter stürmten Hörsäle, riefen „Juda, verrecke!“, prügelten  jüdisch aussehende Studenten zur Uni-Rampe, so Zeitzeugin Minna Lachs; die Polizei griff nicht ein. 1933 wurde die NS-dominierte DSt vorübergehend aufgelöst, an der Uni wurde eine Polizeiwachstube eingerichtet, die Zahl antisemitischer Übergriffe sank. Im Februar 1938 die erneute Wende: Massen von Studenten hoben auf der Uni-Rampe die Hand zum Hitlergruß. Ein Numerus clausus für schon inskribierte Juden sollte die „Überfremdung der deutschösterreichischen Hochschulen durch jüdische Hörer steuern“. Das Resultat: Die Zahl der Studenten ging im Semester 1938/39 um 23 Prozent zurück . . .

In zahlreichen Rückstellungsverfahren erhielt Louis Rothschild die verbliebenen Werte nach dem Weltkrieg zurück, er verzichtete jedoch darauf, das Bankhaus neu zu installieren. Die Kunstsammlung, die 1938 beschlagnahmt und über mehrere Museen im ganzen Land verteilt wurde, blieb jedoch bis 1999 im Besitz der Republik Österreich. Erst nach der Washingtoner Erklärung von 1998 und dem Restitutionsgesetz wurden an die Erben 250 Kunstwerke, darunter 31 Gemälde, zurückgegeben. Rothschild kam aus den USA nicht mehr zurück.

Göring und die Reichsbank jubelten

Auch finanziell war der „Anschluss“ für Berlin lohnend. 90.000 Kilo gemünztes und ungemünztes Gold im damaligen Wert von rund 540 Millionen Schilling wurde an die Reichsbank Berlin transferiert, zuzüglich Valuten und Devisen im Wert von etwa 60 Millionen Schilling. Der Deckungsgrad war seit 31. Dezember 1934 von 32,3 Prozent auf etwa 45% gestiegen. Österreich wäre also wirtschaftlich lebensfähig gewesen. Darüber hinaus fielen an das Deutsche Reich 1909 Lokomotiven, 249 elektrische Triebfahrzeuge und die österreichischen Staatsbetriebe (Erzberg, sämtliche Rechte an staatlichen Betrieben und deren Nutzungsrechte).

Wertvoller „Zuwachs“ für die ÖNB

Auch die Nationalbibliothek in Wien durfte jubeln. Auf die wilden, ungezügelten Plünderungen durch den Mob gleich nach dem „Anschluss“ folgte der Vermögensentzug in „geordneten Bahnen“. Der NS-Staat stellte den Raub auf eine quasi-legale Basis. Die Gestapo kehrte mit eisernem Besen zusammen, was für die Nationalbibliothek brauchbar war. „Es ist eine Lust zu leben und hier für den Aufbau der Heimat im Sinne des Dritten Reiches arbeiten zu können“, pries der neue NB-Direktor Paul Heigl im Mai 1938 diese Tage. Und das war es wohl wirklich für einen Bibliothekar. Ein Unrechtsbewusstsein plagte den Bibliothekar mit Leib und Seele nicht wirklich. Bevor er 1945 Selbstmord beging, ließ er fast alle inkriminierende Akten zum Raubzug vernichten.

Nächsten Samstag: Der Retter von Gotha, NS-Zwangsarbeiter in Österreich

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2013)

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