Muss man sich um diese Jungen sorgen?

Muss sich diese Jungen
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Jugendliche, die auf dem Land groß werden, gelten als konservativ, traditionsverbunden und im schlimmsten Fall ideologisch gar als rechtsextrem. Tatsächlich unterscheiden sie sich aber gar nicht so sehr von Großstadtkindern. Eine Bestandsaufnahme.

Objekt 21. So nannte sich ein rechtsextremes Netzwerk in der oberösterreichischen Peripherie, das über mehrere Jahre „das volle Programm“ neonazistisch motivierter Straftaten abgewickelt haben soll, wie es Ermittler formulieren: Brandanschläge, Körperverletzungen, schwere Nötigung, Drohungen, Sachbeschädigungen und vieles mehr werden 24 jungen Oberösterreichern zur Last gelegt, möglicherweise hatten sie auch Verbindungen zu dem Attentat auf den Passauer Polizeichef Alois Mannichl 2008. Sie sitzen teilweise in Untersuchungshaft.
Sein Zentrum soll das alles nicht etwa in der Anonymität der Großstadt gehabt haben – sondern mitten im ländlichen Idyll von Windern, einer Ortschaft der 1500-Einwohner-Gemeinde Desselbrunn, eine halbe Autostunde von Linz entfernt. Die mutmaßlichen Neonazis sollen hier in einem gemieteten Bauernhof einschlägige Liederabende veranstaltet haben, die Polizei stellte Fahnen und Schriften mit NS-Symbolen sicher.

Nachrichten wie diese sind für Experten nicht so überraschend, wie man das auf den ersten Blick vermuten könnte: Der Rechtsextremismus-Experte Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) sprach 2009 gar von einer „Erlebniswelt“ Neonazismus, dieser sei – besonders in Oberösterreich und Vorarlberg – zunehmend zu einer Jugendbewegung geworden.

Trachten sind voll im Trend. Harter Szenenwechsel. Niederösterreich, ein Fachmarktzentrum am Rande einer ländlichen Gemeinde. Ein Modediskonter hat hier zugesperrt, statt seiner ist die „Trachtenwelt“, ein Outlet für volkstümliche Kleidung, eingezogen. Zwei Teenager probieren sich begeistert durch 69-Euro-Dirndln, in ein paar Tagen wird in einer alten Lagerhalle in der Nähe eine große „Trachtendisco“ steigen. Die Verkäuferin kommt neben dem Kassieren kaum noch zum Reden, nur so viel: Das Geschäft laufe gut – auch bei jungen Leuten steige die Nachfrage nach „traditioneller“ Kleidung.

Es sind solche Nachrichten, die empfindliche Zeitgenossen zweifeln lassen, wenn sie ins Land blicken. Einerseits die gefühlte Zunahme rechtsextremer Delikte unter der Jugend auf dem Land, andererseits der Aufwärtstrend traditionell mit Nationalismus oder zumindest Patriotismus assoziierter Kleidungsformen wie Trachtenmode in der Jugendkultur.
Aber sind diese Sorgen berechtigt? Gerät die Jugend auf dem Land da unversehens in den Sog rechter, ja rechtsextremer Strömungen?

Nein, sagen Experten. Philipp Ikrath von Institut für Jugendkulturforschung würde den Trend zur Tracht (der ohnehin längst auch ein großstädtisches Phänomen sei), nicht als Bekenntnis zum rechten Lager sehen, im Gegenteil. „Die Tracht ist für junge Leute ein Kostüm, das sie im Kontext eines Volks- oder Oktoberfests passend empfinden. Sie tragen das so, wie sie zum Maturaball Anzug oder Ballkleid tragen. Da steckt keine Ideologie dahinter.“

Und neigt sie dazu, von einer grundsätzlich konservativeren Haltung aus in Richtung rechtsextrem zu kippen, die Jugend auf dem Land? Weil sie – Klischee, Klischee – in der ländlichen Einöde weniger Möglichkeiten, kaum positive Zukunftsperspektiven hat und daher empfänglich für rechtsextreme Gruppierungen ist? Experten widersprechen. „Natürlich ist Rechtsextremismus ein Problem auf dem Land, aber in einem marginal niedrigen Ausmaß“, sagt Ikrath. Eine kleine (männliche) Minderheit in sehr benachteiligten Randregionen sei mangels Perspektiven gefährdet, dies sei aber quantitativ keinesfalls mit dem Zulauf zu nationalistischen Gruppierungen in den neuen deutschen Bundesländern zu vergleichen.

Fragt man Jugendliche nach ihrer politischen Einstellung, geben jene, die aus kleineren Gemeinden stammen, zwar öfter als jene aus größeren Städten an, politisch auf der rechten Seite zu stehen. Die wenigsten dürften damit aber weit rechts meinen. Tatsächlich ist auch etwa der Zulauf zur FPÖ auf dem Land nicht merklich höher als in der Stadt: Bei der Nationalratswahl 2008 wählten 19 Prozent der jungen Erwachsenen (16–25 Jahre) in Städten die Freiheitlichen, auf dem Land waren es mit 21 Prozent nur unwesentlich mehr. Die hohen Sympathiewerte für Heinz-Christian Strache und die FPÖ besonders bei jungen Männern sei nämlich kein spezifisch ländliches Phänomen. „Es ist vielmehr eine Frage der Bildungsschicht“, sagt Ikrath.

Keine tiefe rechte Überzeugung.
Dass die Jugendlichen ihr Kreuz bei den Freiheitlichen auch nicht unbedingt aus tiefer ideologischer Überzeugung machen, haben die Landtagswahlen in Niederösterreich vor wenigen Wochen demonstriert: Dort wanderten viele (Jung-)Wähler von der FPÖ zu Frank Stronach. „Das zeigt“, sagt Günther Ogris, wissenschaftlicher Leiter des Meinungsforschungsinstituts Sora, „dass die Sympathisanten nicht sehr stark an die FPÖ gebunden sind. Das sind klassische Protestwähler.“ Dass Stronach zwar heftig gegen das politische System, nicht aber gegen Ausländer gewettert hat, dürfte viele Junge angesprochen haben.

Was allerdings stimmt: Die jungen Leute auf dem Land wählen deutlich konservativer als jene in den Städten: 36 Prozent der unter 25-Jährigen, die bei den vergangenen Nationalratswahlen gültig gewählt haben, haben ihre Stimme der ÖVP gegeben, in den Städten waren es nur 18 Prozent.

Die konservativen Jungen auf dem Land also? Einerseits, siehe Wahlverhalten, ja. Andererseits auch nicht. Was Werte, Ziele und Überzeugungen betrifft, würden sich Jugendliche auf dem Land nicht wesentlich von jenen in der Stadt unterscheiden, sagt Ogris. Sagt auch Jugendforscher Ikrath, der von einer „Enttraditionalisierung“ des ländlichen Raums spricht. „Die großen Differenzen“, sagt Ikrath, „die es noch vor 20, 30 Jahren gegeben hat, ebnen sich ein. Das fängt schon beim Erziehungsstil an: Die Kinder auf dem Land werden heute nicht mehr autoritärer erzogen als jene in großen Städten.“ In der vom Institut für Jugendkulturforschung durchgeführten Jugendwertestudie zeigt sich zudem, dass die Antworten der Jugendlichen unabhängig vom Wohnort sehr ähnlich ausfallen. So sagte der Großteil der befragten 14- bis 29-Jährigen in der Studie 2011, dass ihnen die Familie „sehr wichtig“ sei. Jugendlichen aus Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern war die Familie mit 81 Prozent Zustimmung sogar etwas wichtiger als jenen aus dem ländlichen Raum (78,9 Prozent). Auch die Frage nach ihrer Religiosität beantworten Stadt- und Landjugendliche in der Studie ähnlich: Da wie dort spielt der Glaube keine bedeutende Rolle mehr.

Alles immer verfügbar. Generell wird die Alltagswelt junger Menschen nicht mehr ganz so gravierend vom Wohnort mitbestimmt wie früher. Musik, Fernsehen, Mode: All das ist heute für junge Menschen – auch dank des Internets – in jedem Waldviertler Dorf ebenso verfügbar wie in Wien Döbling. Zudem ist die viel zitierte Landflucht Teil des Lebens, Junge sind flexibler, mobiler geworden: Wer in einer kleinen Ortschaft geboren wird, muss dort längst nicht mehr sein ganzes Leben verbringen.
Tausende ziehen – „nicht, weil sie es auf dem Land nicht aushalten, sie identifizieren sich zum Teil sehr stark mit ihrer Heimatregion“ (Ikrath) – jedes Jahr zur Weiterbildung in eine große Stadt, Tendenz steigend. Allein aus Niederösterreich gingen im Wintersemester 2011/2012 4260 junge Menschen für das Studium nach Wien oder in eine andere Uni-Stadt, vor zehn Jahren waren es erst rund 3000. Ein großer Teil kehrt später auch nicht wieder zurück, schlicht, weil er dank besserer Ausbildung keine entsprechenden Jobs mehr finden würde. Die Jugendlichen vom Land werden also zu jungen Erwachsenen in der Stadt.

von Mirjam Marits und Georg Renner

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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