Die Tage Zyperns als internationales Finanzzentrum sind vorbei. Die Inselrepublik muss wieder einmal von vorn beginnen.
Hilflos steht ein junger Mann vor Nikosias Parlament und weint. Er und seine Kolleginnen, die ebenfalls Tränen in den Augen haben und deren Fotografien tags darauf in den Zeitungen erscheinen, sind Angestellte der Laiki Bank, der Volksbank. Während die Mitarbeiter der Bank vor dem Parlament protestieren und trauern, beschließen die Abgeordneten drinnen die Zerschlagung der Laiki Bank in eine „gute“ und in eine „böse“ Bank.
Das war am Freitagabend – doch das zypriotische Drama ist damit noch nicht zu Ende. Nachdem die Abgeordneten der bekannt eigensinnigen Inselrepublik zu Wochenbeginn in einem Moment patriotischer Ekstase das Diktat der internationalen Gläubiger-Troika über den Eingriff in kleine Sparguthaben unter 100.000 Euro niedergestimmt haben, müssen sie nun ihre zweitgrößte Bank splitten – und wohl kräftig das Personal (8000 Mitarbeiter hat die Bank insgesamt, 2300 davon in Zypern) kürzen. „Warum nur wir?“, skandieren die Bankangestellten. Nun, ein paar Tage zuvor haben andere Demonstranten, Kleinanleger, genau das gefordert: „Frau Merkel“ soll nicht nur den Banken, „sondern auch dem Volk helfen“. „Die Banken“ sahen jedenfalls anders aus als die kleinen Angestellten, die nun zum Handkuss kommen.
Filialnetz wird übernommen. „Mit der Rolle Zyperns als internationales Bankenzentrum ist es nun wohl vorbei“, beurteilt Karl Müller, Österreichs Botschafter in Zypern, die derzeitige Lage. Die Verkleinerung des überdimensionalen Bankensektors ist erklärtes Ziel nicht nur der Europäer. So werden nun auch die Großanleger der führenden zypriotischen Bank, der „Bank of Cyprus“, um 25 Prozent „geschoren“ werden, wenn das den Gläubigern genug ist. Das scheint selbst Russland nicht zu stören, das seine (steuer-)flüchtigen Anleger aus Zypern zurückhaben will. Das Filialnetz der zypriotischen Banken in Griechenland wird die griechische Piräus-Bank übernehmen. Die Zyprioten fühlen sich jetzt verfolgt, verraten und – zu Recht – isoliert.
Aber das Steuerparadies im östlichen Mittelmeer war vielen schon lange ein Dorn im Auge, und in Europa erinnert man sich auch noch an die Rolle Zyperns als sicheren Hafen serbischer Gelder im jugoslawischen Bürgerkrieg.
„Wir haben nach der türkischen Invasion 1974 bei null begonnen, und wir hatten Erfolg“, stellt Giorgos Andreou, früher ein leitender Bankangestellter, fest. „Und dann haben wir begonnen, über unsere Verhältnisse zu leben.“ Man hat sich zu sehr an den Wohlstand gewöhnt, zypriotische Haushalte zählen zu den am höchsten verschuldeten in der EU, aber Andreou meint nicht nur das. Eine neue Generation zypriotischer Banker wurde übermütig und setzte die Milliarden der internationalen Kundschaft in zunehmend riskanten Geschäften ein. Und sie ließ sich korrumpieren. Nur so ist es zu erklären, dass die Bank of Cyprus und die Volksbank Milliarden von Euro in griechische Staatsanleihen investiert haben, zu einem Zeitpunkt, als schon längst alle Spatzen von den Dächern pfiffen, wie riskant das Geschäft mit Griechenland geworden war.
Wie wird es jetzt weitergehen? Das zypriotische Parlament hat nun die Grundlage für eine Einigung mit der Gläubiger-Troika gelegt, die noch vor dem Aufsperren der Banken kommenden Dienstag unter Dach und Fach sein muss. Denn sonst dreht die Europäische Zentralbank den Geldhahn zu. Am heutigen Sonntag findet in Brüssel ein Sondergipfel zur Zypern-Krise statt.
Man hat auch die Einschränkung des freien Kapitalverkehrs beschlossen, was die EU in ihrem Diktat letzte Woche „vergessen“ hatte und was mit Sicherheit zu Panikabhebungen geführt hätte. Durch die Zerschlagung der Volksbank und den Verkauf des Netzes in Griechenland wird sich Zypern an seiner Rettung nur mit drei statt 5,8 Milliarden Euro beteiligen müssen, meinen die Zyprioten. Der Rest soll durch den „Haircut“ bei den Anlegern der Bank of Cyprus aufgebracht werden. Die kleinen Guthaben bis 100.000 Euro bleiben unangetastet.
Und das zypriotische Wirtschaftsmodell? „Wir werden zwei, drei Jahre zu kämpfen haben, dann werden wir wieder da sein. So ist es 1974 gewesen, so wird es auch diesmal sein“, glaubt Andreou. Dank Erdgasfunden in den Tiefen des Mittelmeeres sieht man sich bereits als internationalen Umschlagplatz für Energie. Dennoch: Die „verwöhnte“ Generation, die jetzt vor dem Parlament weint, wird es schwer haben, und eine ganz neue Erfahrung machen: Wie es ist, wieder von vorn anzufangen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)