Ein Papageno in seinem Paradies

Papageno seinem Paradies
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Der frühere Starbariton Christian Boesch wanderte vor mehr als 25 Jahren nach Chile aus. Er betreibt in den Anden ein landwirtschaftliches Gut und gründete eine Musikschule, in der Indiokinder lernen, Violine und Cello zu spielen.

Also bitte, diese Geschichte dreht sich nicht um mich“, sagt Christian Boesch gleich zu Beginn. Diese Geschichte soll von der Musik handeln, von der Kreativität und einer besseren Zukunft. Sie soll von Talenten erzählen, von deren Förderung und vom kaum zu beschreibenden Glück armer und ausgegrenzter Kinder, die über die Musik entdecken, dass Riesen in ihnen stecken. Es ist eine Geschichte über schlechtes Gewissen, über gelebte Nächstenliebe, über die Magie von Mozart. Man kann diese Geschichte unmöglich ohne Christian Boesch erzählen. Denn sie handelt von seinem Werk.

Beginnen wir an einem Märzmontag, um 10.30 Uhr in der Escuela Juan XXIII. in Huaskapi, einem Dorf im Süden Chiles. In der Schulbibliothek des Holzbaus haben Mädchen und Burschen einen Kreis gebildet. 13 davon stehen, Violinen und Bratschen am Kinn, drei sitzen hinter Cellos. Es sind Viertelgeigen und halbe Geigen, passende Größen für Kinder, die gerade ihr drittes Schuljahr mit dem Hauptfach Musik angefangen haben. Inmitten der Schüler in blauen Uniformen steht die Lehrerin, Geige im Anschlag, die mit dem kleinen Orchester heute das alte französische Kinderlied vom Bruder Jakob einstudiert. „Do-re-mi-do“, gibt die Blonde im rosa Shirt vor, und ihre Schützlinge folgen dem c-d-e-c, manche sehr konzentriert.


Verliebt in Los Lagos. Später, nachdem die Kinder ihre Instrumente sorgfältig in den nummerierten Koffern verstaut haben, erklärt Cordula Wicks, warum sie vor zwei Jahren ihre norddeutsche Heimat verlassen hat, um 13.000 Kilometer südwestlich in fünf Dorfschulen Musikunterricht nach der Rolland-Methode zu geben, bei der jedes Kind ein Instrument bekommt und erlernt. „Daheim in Deutschland ist das Musikschulwesen schon festgefahren, hier in Chile kann ich noch so viel bewegen.“ Und das kann sie, weil einer sehr viel bewegt hat: Christian Boesch, der Erfinder, Motor und Direktor des „Proyecto Papageno“.

Der Vogelfänger aus Mozarts „Zauberflöte“ war seine Paraderolle in den 1970er- und 1980er-Jahren auf den Bühnen von München, Zürich, Wien und Salzburg. An der Met in New York bekam der Bariton 1982 ein Angebot für ein lukratives Gastspiel in Chile, damals verliebte sich der Döblinger in das Land hinter den Anden. In der spektakulären Endmoränenlandschaft der Region Los Lagos fand er am Ufer des Calafquén-Sees sein „Paradies“, in dem er sich nach dem Ende seiner Sängerkarriere seinen Jugendtraum erfüllen wollte, Landwirt zu werden.

1988 war es so weit, er kaufte eine stattliche, aber völlig verwilderte Farm mit Seezugang und Blick auf zwei schneegekrönte Vulkankegel. 12.000 Stunden auf dem Bagger brauchte er, um die brombeerüberwucherte Wildnis in Kulturlandschaft zurückzuverwandeln. Wald, Getreide, Heidelbeeren und 100 schwarze Aberdeen-Angus-Rinder tragen den Betrieb, der inzwischen ausgezeichnet funktioniert, auch weil Christian Boesch seine Arbeiter deutlich besser bezahlt als die anderen Gutsbesitzer der Gegend. Zu Anfang versuchte sich Boesch noch als Bioproduzent, doch nun hat er auf konventionell zurückgeschaltet. Zu aufwendig, ihm fehlt die Zeit.

Die frisst sein Projekt, seine Mission, seine Vision. Der 71-Jährige ist ein konservativ denkender Mensch, einer, der es nicht schlimm findet, dass sich in Chile der Staat aus vielen Bereichen zurückgezogen hat. Er preist die Qualität der Straßen, die Solidität der Staatsfinanzen, die Sicherheit des Rentensystems. „Wenn wir noch Gesundheit und Erziehung verbessern, dann schaffen wir es in die Erste Welt!“ Er hat sich die Erziehung vorgenommen, sein Medium ist die Musik, und seine Sponsoren, die nach jahrelangem Antichambrieren endlich sehr großzügig eingestiegen sind, stammen aus dem exklusiven Kreis jener 20 Familien, denen halb Chile gehört.

Alles begann damit, dass er vor zehn Jahren in der Gegend um Villarica keinen einzigen Lehrer auftreiben konnte, der seinen zwei jüngsten Kindern Musikunterricht geben konnte. Boesch holte zwei Pädagogen aus Deutschland – und installierte sie in der deutschen Schule, die Musik am Instrument zum Pflichtfach ab der ersten Klasse erhob. Die Schule brauchte bald mehr Lehrer. Deshalb kaufte er ein baufälliges Holzhaus, das er renovieren, aufstocken und rot-weiß-rot anstreichen ließ. In der „Escuela de Musica Papageno“ werden, gemeinsam mit der katholischen Universität, Lehrer ausgebildet. Zur Zeit unterweist dort die österreichische Cello-Solistin und Mozarteum-Professorin Heidi Litschauer in drei Meisterklassen 18 junge Musiker. TTT heißt diese Initiative, das steht für „Teach teachers teach“.


Der Mapuche-Morgengruß.
Boesch schaltet den Allradantrieb ein, sein Jeep stapft eine steile Bergstraße hinauf und hält vor der Bergschule Trafún. Im lichtdurchfluteten Inneren halten 13 Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren Papierblätter empor, auf die sie schwarze und weiße Noten gezeichnet haben. Musiklehrer Danilo Pérez verteilt Stöckchen und lässt die Kleinen trainieren, einen Geigenbogen zu halten. Keines der Kinder, alle aus dem indigenen Volk der Mapuche, hat jemals ein Streichinstrument gesehen, bis Lehrer Danilo Anfang März erstmals sein Cello ausgepackt hat. Doch seit sie dessen Klang gehört haben, sind alle fasziniert. Als der Lehrer die Kinder ein „Mari, mari“ intonieren lässt und diese den Mapuche-Morgengruß in einer wunderbaren Fünftonmelodie aus voller Brust anstimmen, da bekommt der Papageno, der einst mit den tollsten Sängern der Welt die Bühnen teilte, feuchte Augen der Rührung.

„Das ist es, was ich will“, sagt Christian Boesch auf dem Heimweg. „Wenn wir hier wirklich etwas bewegen wollen, dann müssen wir in die öffentlichen Schulen, zu den armen Kindern, für die ein Musikinstrument etwas ganz Besonderes ist!“ Natürlich werden nicht alle diese Kinder einmal Musiker werden, natürlich werden viele nicht daheim üben, auch wenn sie ihr Instrument mitnehmen dürfen. Aber unzählige Studien haben gezeigt, dass Musizieren das Gehirn trainiert, dass es gegenseitiges Zuhören verlangt. Dass Musik Aggressionen bremst. Und dass sie glücklich macht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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