Was Menschen mutig macht

Menschen mutig macht
Menschen mutig macht(c) GEPA pictures/ Mathias Kniepeiss
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Ist Mut Dummheit? Mutige haben jedenfalls andere Hormone im Blut als Schüchterne. Im Gehirn spielen Regionen der Großhirnrinde mit, wenn Mutige Ängste blockieren.

Biologie und Psychologie sind sich einig, wenn man fragt, was Mut bedeutet. „Mut ist der Mangel an Voraussicht“, sagt Kurt Kotrschal, Zoologe der Uni Wien. „Mut und Torheit liegen sehr knapp beieinander“, sagt Michael Trimmel, Gesundheitspsychologe an der Med-Uni Wien. Auch Sir Peter Ustinov formulierte es ähnlich: „Mut ist oft Mangel an Einsicht, während Feigheit nicht selten auf guten Informationen beruht.“ Doch ein Skispringer, der 200Meter über die Kulmschanze springt, kennt die Gefahr und springt trotzdem ab, auch wenn alle Signale im Körper laut schreien müssten: „Tu es nicht!“

„Ein Skispringer beginnt ja nicht auf dem Bergisel. Sondern er bemerkt bei kleinen Schanzen, bei Sprüngen von zwei, drei Metern, dass ihm das Spaß macht. Dann ist alles eine Sache des Trainings. Mut hingegen ist die bewusste Entscheidung zur Auseinandersetzung mit etwas, das nicht voll kontrolliert werden kann und potenziell bedrohlich ist“, erklärt Trimmel.

Wenn also Jugendliche waghalsige Sprünge mit dem Skate- oder Snowboard machen, dann „diagnostiziert“ der Psychologe eher Dummheit als Mut: „Sie lieben die Aufregung, es kommt im Körper zu einem Kick durch Spitzen der Hormonausschüttung.“


Fehlt Mutigen die Voraussicht?
Was diesen „mutigen“ Jugendlichen fehlt, ist der Blick für Konsequenzen. Sie verstehen nicht, was es heißen würde, „ein Leben lang“ querschnittgelähmt zu sein. Ihr Denken ist eher auf das unmittelbare Erleben als auf die Planung des Lebens gerichtet. Physiologisch spielt sich aber sowohl bei den unbedachten Sprüngen junger Boarder als auch beim trainierten Sprung des Skispringers ein ähnliches Szenario ab: „Es geht um den Kick durch die Aktivierung des Körpers“, sagt Trimmel.

Dieses „Excitement“ darf nicht zu hoch sein, sonst würde man in Panik geraten oder Angst bekommen, es darf aber nicht zu niedrig sein, sonst wäre der Körper nicht auf die Extrembelastung vorbereitet. Spitzensportler und andere Menschen, die besondere Herausforderungen meistern müssen, können sich das richtige Maß dieser Aufregung antrainieren. „Bei der Aktivierung werden Stresshormone ausgeschüttet, damit alle notwendigen Tätigkeiten rasch und effektiv ablaufen können“, erklärt der Psychologe.

„Das Einzige, das bei hoher Aufregung nicht besser funktioniert, ist das komplexe Denken“, so Trimmel. Daher sollen sich z.B. Schachspieler in weniger hohe Aufregung versetzen als etwa Sprinter, deren motorische Abläufe automatisch ablaufen sollen. „Eine intelligente Problemlösung oder kreativ zu sein, das klappt nicht, wenn man ein hohes Excitement hat.“


Mut ist erblich. Ob ein Mensch eher mutig oder eher zurückhaltend ist, das zeigt sich schon kurz nach der Geburt. „Man kann trotzdem nicht sagen, dass es angeboren ist“, erklärt Kotrschal. Denn dieser Ausdruck ist seit 50 Jahren überholt. Inzwischen weiß man, dass die Epigenetik, also die Steuerung der Gene durch eine Vielzahl an Signalen in der Zelle, ausschlaggebend ist, welche Merkmale (äußerliche und der Persönlichkeit) wie stark ausgeprägt werden. „Nichts ist angeboren, aber alles ist erblich“, verkürzt Kotrschal die Message. Laut Studien liegt die Erblichkeit des Persönlichkeitsmerkmals, ob jemand eher forsch oder scheu ist, bei 30 bis 50 Prozent.

Hormone der Mutter. Ebenso bestimmend sind Effekte des mütterlichen Hormonspiegels, der beeinflusst, ob ein Baby sich vor neuen Dingen eher fürchtet oder forsch auf Neues zugeht. Bei Vogeleiern wurde dies klar gezeigt: Packt die Mutter mehr Androgene (z.B. Testosteron) ins Ei, so schlüpfen eher waghalsige Küken. Ist der Androgenspiegel im Ei geringer, haben die Jungvögel eher vorsichtige Gemüter.

Ja, die Unterscheidung in „bold“ (forsch) und „shy“ (scheu) findet man nicht nur bei Menschen, auch Tiere unterscheiden sich (graduell) in diesem Persönlichkeitsmerkmal. „Nicht nur bei allen Wirbeltieren von Fischen über Reptilien zu Säugern, sondern sogar bei Wasserläufern und Spinnen teilt sich die Population jeweils in eher forsche und eher zurückhaltende Individuen“, erklärt Kotrschal.


Mutige und scheue Tiere.
Biologen haben für den mutigen Typ verschiedene Definitionen gesucht: aggressiv vs. defensiv, proaktiv vs. passiv, schnell vs. langsam etc. „Forsche Tiere gehen rasch an neue Dinge heran, sie untersuchen diese aber eher oberflächlich und neigen zur Routinebildung. Sie sind etwas aggressiver als andere und werden in einer Gruppe eher dominant“, sagt Kotrschal.

Scheue Tiere hingegen verlassen sich seltener auf Routine, lernen schneller um, wenn sich die Situation ändert, sind aber zurückhaltend gegenüber neuen Dingen, die sie dafür umso genauer untersuchen. „Sie lösen schneller knifflige Aufgaben“, sagt Kotrschal. „Wer von ihnen aber im sozialen Kontext die Nase vorn hat, das hängt von den Umständen ab.“

Ein Blick ins Blut dieser Tiere zeigt jedenfalls, dass in scheuen Individuen eher die Cortisol-Achse der Stresshormone angekurbelt wird (Hormonkaskade über Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde), während bei forschen Typen eher das sympathische Nervensystem angeregt wird, bei dem Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet werden.

„Das zeigt sich auch im Temperament: Forsche werden schneller jähzornig, bei ihnen schießen durch das Adrenalin der Herzschlag und der Blutdruck hinauf“, so Kotrschal.


Handlung trotz Angst. Auch in der Hirnforschung wird das Phänomen „Mut“ untersucht: jedoch bei Weitem nicht so intensiv wie jene Mechanismen, die mit Angst assoziiert sind. „Mut definiert sich als Aktion im Angesicht von Angst“, schreiben Forscher des Weizmann-Instituts in Israel in ihrer Studie aus dem Jahr 2010.

Sie steckten Probanden in eine Magnetresonanzröhre und ließen sie auf einen Knopf drücken, der ein Förderband in Gang setzte, auf dem Dinge in Richtung Gesicht wanderten: Entweder kam ein Teddybär oder eine lebende Schlange auf sie zu. Währenddessen wurden die Aktivitäten im Gehirn sichtbar gemacht und die körperliche Aufgeregtheit (über die Haut bzw. das Schwitzen) gemessen.

Anschließend wurden die Leute gefragt, wie viel Angst sie vor der Schlange hatten. Wer sich selbst als ängstlich einschätzte, hielt die Schlange fern vom eigenen Gesicht und verzeichnete eine große Aufregung im Körper. Doch bei jenen, die die Schlange nah ans Gesicht brachten, also am mutigsten waren, lagen die Messungen der körperlichen Aufregung und der Selbsteinschätzung weit auseinander: Wer meinte, bei der Schlange vor der Nase große Angst gehabt zu haben, war im Inneren gar nicht so aufgeregt.

Wer angab, sehr mutig gewesen zu sein, war innerlich stark aufgewühlt (schwitzte stark). Erst die Analyse der Hirnaktivität erklärte diese Diskrepanz: Bei allen, die die Schlange nah an sich heranließen, feuerten Nervenzellen in der Großhirnrinde stark, genauer: im Subgenual Anterior Cingulate Cortex (sgACC). Je stärker die Person ihre Angst vor der Schlange überwinden konnte, umso stärker war dort die Aktivität. So wurde die mentale Anstrengung, seiner Angst nicht nachzugeben, erstmals sichtbar gemacht.

Die Aktivität im sgACC schaltet das Empfinden der Ängste einfach aus: Bei den ängstlichen Typen, die die Schlange fern von sich hielten, sah man, dass die Nerven in den Amygdala, den Mandelkernen im Temporallappen, stark aktiv waren. Sie sind, wie bereits gut erforscht ist, der Sitz der Angst und anderer wichtiger Emotionen. Bei den mutigen Probanden konnte der hoch aktive sgAC-Cortex diese Amygdala irgendwie hemmen: So wurde ein hohes Maß an Angst trotzdem überwunden.

Kommt die „Mutpille“? „Die Messungen zeigen, dass man bewusst eine Handlung setzen kann, entgegen der Angst, die man durchlebt“, sagt Studienleiter Yadin Dudai. Nun weiß man, wo sich Mut im Kopf abspielt. Ob jetzt Methoden entwickelt werden, dieses Wissen therapeutisch umzusetzen – etwa für Patienten die daran scheitern, ihre Ängste zu überwinden –, steht in den Sternen. Weder „Mutpillen“ noch Injektionen oder Elektrostimulationen im Gehirn, die diese Region anregen sollen, sind in naher Zukunft zu erwarten. Aber die Probanden, die zwar geschwitzt haben, die Schlange jedoch nah zu sich ließen, zeigten klar: Mut heißt, gegen seine Natur, gegen die innere Unruhe zu handeln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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