Tag der Stille

Stille
Stille(c) FABRY Clemens
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Alfred Dorfer fühlt sich belästigt von Meinungsmenschen, die glauben, sich im öffentlichen Dauer- Dschungelcamp ständig zu allem äußern zu müssen. Er fordert mehr Mut, keine Meinung zu haben.

Die freie Meinung ist uns ein heiliges Gut. Dabei ist die Meinung eigentlich immer frei, meist sogar von Verstand. Eigentlich geht es ja um die freie Meinungsäußerung. Die wird gern mit Mut assoziiert. Oft bedeutet sie dann eine wahre philosophische Revolution – nämlich Freiheit und Verantwortung erstmals voneinander zu trennen. Und es entsteht ein medizinischer Mehrwert im Purgatorischen.

Wie schön, diese partiellen Heilungsprozesse in diversen Internetforen miterleben zu dürfen. Teilhaben zu können an dieser enormen Stoffwechselerleichterung unter falschem Namen. Man profitiert davon auch als Zaungast: Denn diese diffuse Konstellation aus Feigheit, Heckenschützenmentalität und Sündenbock, diese klare Verteilung von Schatten und Licht, lehrt uns etwa die Kristallnacht emotional zu verstehen. Das hat natürlich mit Freiheit kaum zu tun, ist aber genauso amüsant wie ein Gladiatorenkampf in der Arena. Nur, dass es für diese Gladiatoren um nichts geht.

Dieses Dschungelcamp der Meinungsunterschicht zeigt, wie erstaunlich schnell angebliche Freiheit in die Nähe des Zwanghaften geraten kann. Selbstredend gibt es auch Meinungsprofis, die ihr Geld damit verdienen, sich zu äußern. (Seltsam, dass es keine Jobs gibt, die darin bestehen, sich zu innern.) In der Markthalle der berufsmäßigen Meiner tummeln sich Journalisten, Künstler, geschwätzige Wissenschaftler, Politiker und alle anderen, die von Veröffentlichung mental oder ökonomisch abhängig sind. Und weil ja ohne Börse kaum mehr etwas geht, gibt es auf diesem Markt auch Meinungen, die hoch im Kurs stehen oder downgegradet werden. Das möglichst rasch, sonst sinkt der Unterhaltungswert.

Die freie Meinungsäußerung wird gern mit Diskursivität verwechselt und ist zudem ein gutes Geschäft mit der Plausibilität. Befürworter und Gegner können so gleichermaßen auf eine Schlachtenbummlerfahrt des Subjektiven mitgenommen werden. Die Werkstätten, in denen Meinungen gemacht werden, arbeiten am Fließband. Und wir beeilen uns, diese wertlose Meterware schnellstens zu erstehen. Neuigkeiten werden wie eine Droge verteilt. Ein Methadonprogramm für Selbstverwirklichungsjunkies. Und am Schluss fühlt sich jeder irgendwie gut, für einen kurzen Moment. Bis zur nächsten Neuigkeitsinvasion. Dann beginnt sich diese Spirale des vermeintlich Wichtigen aufs Neue zu drehen. Wir müssen meinen. Dieses Echolot im sozialen Umfeld zeigt uns irgendwie, wo wir ungefähr stehen. Aber eben nur irgendwie und ungefähr. Das reicht aber bereits, um uns für mündig zu halten. Diese Mündigkeit ist selbst verschuldet, und eine Befreiung davon ist nicht in Sicht.


Dazu passt ein Satz, der Sokrates zugeschrieben wird. „Eh du etwas sagst, sollte es davor durch drei Filter gehen: Ist es wahr, ist es gut, und ist es notwendig.“ Das wär doch etwas. Ein Tag im Jahr, an dem dieser Satz umgesetzt würde. Ein Valentinstag der Stille, an dem man sich Sträuße des Schweigens schenkt. An dem Mut plötzlich darin bestünde, keine Meinung zu haben oder sie dem Umfeld wenigstens nicht aufzudrängen. Begleitet von der schlichten Erkenntnis, dass der gemeinsame Nenner von Meinung und Meinungslosigkeit durchaus Unwissenheit sein kann. Ein Feiertag der Freiheit von der Meinung sozusagen. Der würde vielleicht frei machen für das Faktische. Kein Stress mehr, immer dabei sein zu müssen, ohne zu wissen, wobei. Das könnte zu Entzugserscheinungen führen: Linderung würden dabei Tagesstätten bringen, in denen Meinungsäußerungsentwöhnte durch kleine Bastelarbeiten über die erste Krise gebracht werden. Die Medienwelt wäre an diesem Tag wohl nahezu inexistent, die Politik hätte Urlaub, und diese Kolumne wäre nie geschrieben worden. Und die Demokratie würde davon wohl keinen Schaden nehmen. Im Gegenteil.

ZUr Person

Geboren: 11.10.1961

Beruf: Kabarettist

Karriere: Erste Erfolge mit Gruppe Schlabarett. Österreichischer Kleinkunstpreis für das mit Josef Hader verfasste Theaterstück „Indien“, das später verfilmt wurde. 2002 Deutscher Kleinkunstpreis für Soloprogramm „heim.at“.
Jenis

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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