Musik: Das Werkl rennt, keiner lacht

Musik Werkl rennt keiner
Musik Werkl rennt keiner(c) EPA (HERBERT NEUBAUER)
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Zum Weinen schön finden wir manche Melodien. Aber amüsant? Wer Humor in der Musik bei den Klassikern noch findet, sucht ihn bei späteren Generationen vergeblich. Abgesehen davon, dass das Lachen im Konzertsaal längst verboten ist.

Wer über den Witz in der Musik diskutieren möchte, den empfängt das Gegenüber meist mit dem berühmten Schubert-Zitat: „Kennen Sie lustige Musik? Ich nicht!“ Ganz abgesehen von der Tatsache, dass der Ausspruch erst ein halbes Jahrhundert nach Schuberts Tod aufgezeichnet wurde, verirren sich viele der endlosen Abhandlungen, die seither darüber geschrieben wurden, in eine Sackgasse.

„Lustige Musik“ gibt es ja vielleicht wirklich nicht. Humor finden wir jedoch zur Genüge und auch Witz darf man bei einigen Komponisten konstatieren. Es genügt, sich an Nietzsches Forderung nach dem heilsamen Lachen zu orientieren, um zu verstehen, was Richard Strauss meint, wenn er unter kichernde Holzbläserfiguren in seiner Tondichtung „Also sprach Zarathustra“ die Spielanweisung mit Humor setzt.

Im Vorgängerstück, „Till Eulenspiegels lustige Streiche“, fehlt dieser Zusatz, wohl weil es sich von selbst verstand, mit welchem Unterton die lange Nase gespielt werden muss, die Till den Marktweibern dreht. Man kann die Pointen des Schelmenromans tatsächlich hören, wenn man sich deskriptiven Qualitäten einer Komposition nicht verweigert.

Strauss formuliert mit seinen spöttischen Klangbildern ein geharnischtes Statement gegen die Ästhetik konservativer Kulturideologen vom Format Eduard Hanslicks. Der verneinte jegliche pittoreske Aussagekraft der Musik. „Tönend bewegte Formen“ hätte sie zum Inhalt, nichts weiter.

Was aber, wenn ein Komponist just diese Klangarchitektur zur Zielscheibe amüsanter Spielereien macht – Joseph Haydn etwa, Allvater der Wiener Klassik, der (man kann das bei Alfred Brendel nachlesen) mit Hörerwartungen Katz und Maus spielt, indem er Phrasen einmal zu kurz, einmal zu lang anlegt, und sie das nächste Mal einfach „falsch“ weiterführt.

Gelingt es einem Interpreten, solche Witze eloquent zu erzählen, darf er der Pointe sicher sein. Sir Simon Rattle erhielt etwa vom Wiener Publikum verfrühten Applaus, weil der Schluss der Symphonie Nr. 60 erreicht schien. Bei der Wiederholung gelang der Coup noch einmal.

Dreimal Applaus für ein und dasselbe Stück, dieser Witz hat sogar einen doppelten Boden, verführte er doch zu einem Tabubruch, der zu Haydns Zeiten gar keiner gewesen wäre. Damals wurde nach jedem Symphoniesatz Beifall gespendet.

Besonders gelungenen Passagen wurde sogar während der Musik applaudiert. Solche Spontaneität ist längst verpönt. Kein Mensch wagt auch nur zu schmunzeln, geschweige denn zu lachen, wenn das Fagott – der notorische Spaßmacher unter den Orchesterinstrumenten – im langsamen Satz einer Haydn-Symphonie, bei der die Melodie droht, sich zu oft zu wiederholen, regelrecht hineinfurzt.

Es zeugt von Mozarts Humor, dass er mit Erwartungshaltung und Reaktionsbereitschaft seines Publikums gespielt hat. In einem Brief an den Vater schildert er, wie die Pariser Musikfreunde zischten, weil das Finale seiner neuen Symphonie gegen den Zeitgeschmack pianissimo begann. Der Forte-Einsatz des Themas erhielt dann umso heftigeren Applaus.

Seit der bürgerliche Musikbetrieb Zucht und Ordnung ins System der Konzert- und Opernhäuser gebracht hat, scheint auch unser Sensorium für solchen Witz abgestumpft. Die Gründerzeit brauchte schon den Karnevalslärm des zweiten „Meistersinger“-Finales, um die Geburt einer „deutschen Komödie“ zu konstatieren.

Den feinen Humor, der auch bei Wagner zwischen den Zeilen wohnt, vernimmt man unter der dicken Schminke der großen Oper und des ebenso großen, volltönenden Orchesterklangs kaum. Dabei könnte doch, im milden Licht der Kammerspiele betrachtet, Wotans Reaktion auf die wütenden Ausfälle seiner Gemahlin Fricka – „Wann ward es erlebt, dass leiblich Geschwister sich liebten?“ – in ihrer Nonchalance – „Heut' hast du's erlebt“ – beinahe bei Feydeau stehen.

Aber, wird man entgegnen, da ist der Witz nicht musikalisch. Das stimmt. Das Lachen ist uns ja vergangen. Nicht nur, weil Humor im modernen Klanggewand kaum mehr denkbar scheint. Selbst wo ein Prokofieff auf einen Klassiker zurückgreift: Im Finale seiner Fünften lässt er ein tickendes Uhrwerk verrückt werden. Das Werkl läuft unaufhaltsam weiter, obwohl das Werk schon zu Ende ist – des Komponisten Antwort auf die Ereignisse 1945. In Beethovens Achter klang ein ähnlicher Kunstgriff amüsant...

Joseph Haydnüberrascht uns gern, am frechsten mit einem unflätigen Fagott-Fortissimo im Largo cantabile seiner Symphonie Nr. 93.

Mozart spielte mit dem Pariser Publikum anno 1778, indem er bewusst gegen Erwartungshaltungen verstieß (Symphonie in D-Dur, KV 297).

Beethoven setzt gern amüsante Akzente – und symbolisiert in seiner Achten Symphonie (op. 93) gegen Ende des Allegretto-Satzes den Ärger über ein plötzlich nicht mehr funktionierendes Uhrwerk.

Serge Prokofieffvariiert Beethovens Pointe und macht sie im Finale seiner Fünften Symphonie (1945) zum Sinnbild eines beängstigenden, außer Kontrolle geratenen Prozesses.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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