Der verlorene Geschmack

verlorene Geschmack
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Ein seltener Genuss und im Handel kaum zu bekommen: Butter aus Rohmilch, also aus nicht erhitzter Milch. In Wien wird es jetzt dank eines neuen Vertriebspartners leichter, die Welten zwischen Butter und Butter zu schmecken.

Die Zeit ist reif“, sagt der Koch Walter Eselböck. Reif für ein Lebensmittel, das fast zur Gänze in Vergessenheit geraten ist, weil es im Handel so gut wie nicht mehr verfügbar ist – aus Gründen der Erzeugungsmengen, der Logistik und der Haltbarkeit, aber auch aus Vorbehalten gegenüber dem Derben, dem industriell nicht Glattpolierten. Die Rede ist von Rohmilchbutter. Und gleich vorweg: Diese Butter ist noch weniger für Veganer geeignet als industriell hergestellte Butter, sie ist vielleicht nicht einmal für alle Vegetarier geeignet. Man schmeckt nämlich durchaus das Tier dahinter, die Kuh als Lieferantin wird nicht verleugnet – auch wenn es hier nicht um Fleisch geht. Das ist selbst für manche, die prinzipiell schon am Ursprünglichen, am Unverfälschten – so chic! – interessiert sind, gewöhnungsbedürftig: Butter, die geschmacklich ein Tier erahnen lässt, nein.

Walter Eselböck weiß von Versuchen des Rudi Kellner zu berichten, der im Altwienerhof lange vor dem Manufactum-Slow-Food-Zeitgeist versucht hat, Rohmilchbutter unter die Gäste zu bringen – keine Chance. „Die Gäste haben sie zurückgeschickt, haben gemeint, die sei ranzig. Rudi Kellner war damals der Einzige, der Rohmilchbutter serviert hat; nach einiger Zeit hat auch er es wieder gelassen“, erzählt Eselböck. Eselböck selbst, der sich als Hüter des verlorenen Geschmacks geriert, ist ein Verfechter von Butter aus Rohmilch. Also aus Milch, die „nicht über die Gewinnungstemperatur erhitzt wird“, wie es im Fachjargon heißt. Sprich: nicht über die Körpertemperatur einer Kuh hinaus. Und wieder ist es präsent, das Tier.

Diese Butter aufs Brot streichen sollen, wenn es nach Stephan Gruber und Barbara van Melle geht, ab sofort alle Wienerinnen und Wiener. Gruber, Physiker und Käseschatzsucher, und van Melle, Journalistin und Obfrau von Slow Food Wien, bringen die Rohmilchbutter der Schwarzenberger Sennerei aus dem Bregenzerwald als erstes gebrandetes Produkt ihrer Online-Greißlerei Vielfalt auf den Markt. Bisher gab es auf dieser Plattform für die Produkte von Lebensmittelhandwerkern (um einen Slow-Food-Begriff zu verwenden) die Rohmilch von Robert Strasser aus dem oberösterreichischen Frankenburg. Diese wird es online auch weiterhin geben. Die Nachfrage ist, sagt Vielfalt.com-Gründer Stephan Gruber, in letzter Zeit aber so deutlich gestiegen, dass man Rohmilchbutter nun in größerem Stil unter die Leute bringen möchte.

Trainierte Sensorik. Walter Eselböck war – neben dem Küchenteam des Kempinski – der Erste, der von der Vielfalt-Rohmilchbutter, die nun in allen Radatz-Filialen erhältlich ist, gleich einmal 40 kg bestellte. „Intensiv, säuerlicher Abgang, eigen, aber voller“ schmecke die Butter, die Eselböck nicht nur pur servieren, sondern auch zum Kochen verwenden wird. Die Gäste seien durch die kulinarische Bildung in den letzten Jahren viel offener geworden, die Sensorik sei trainiert – „jetzt geht viel!“ Da ist auch Platz für eine Butter, die nach Tier schmeckt.

Heinz Reitbauer hat im Steirereck jene kleinen Mengen Rohmilchbutter zur Verfügung, die im familieneigenen Wirtshaus am Pogusch übrig bleiben, eine Bäuerin deckt dort den Bedarf. Und wenn Reitbauer von frischer Heumilch schwärmt, von Heuqualität, die extrem unterschiedlich sein kann, wenn er von einer neuen Technik erzählt, mit der das Heu am Pogusch so rasch getrocknet wird, dass es grün bleibt und ganz anders riecht – dann ahnt man allein vom Zuhören, welche Welten zwischen Milch und Milch, zwischen Butter und Butter liegen können. Apropos Heu: Dieses ist für Rohmilch unverzichtbar. Mit Milch von silagegefütterten Kühen lässt sich keine Rohmilch machen. „Stellen Sie sich vor, Sie essen das ganze Jahr Gärfutter, wie Sauerkraut. So geht's diesen Kühen“, veranschaulicht es Reitbauer.

Der Bregenzerwald ist eines der größten zusammenhängenden gentechnik- und silofreien Gebiete Europas. Aromatische Heumilch ist hier also üblich. Um den Geschmack der Landschaft, wenn man so will, zu erhalten, ist die Rohmilchverarbeitung der beste Weg, erklärt der Geschäftsführer der Schwarzenberger Sennerei, Hermann Metzler: „Pasteurisieren nimmt weitgehend das Aroma. Rohmilch hingegen schmeckt im Sommer, wenn die Kühe Grünfutter fressen, anders als im Winter, wenn sie Heu bekommen.“ In Butter aus Rohmilch spiegle sich der Wechsel der Jahreszeiten zusätzlich in Konsistenz und Farbe wider: „Winterbutter ist fester, weniger leicht zu streichen. Butter aus der Weidesaison, also ab Mai, ist weicher und gelber, weil Grünfutter Karotin enthält, das nicht speicherbar ist, also in Heu nicht mehr enthalten ist.“

Tagesfrisch. Die heikle Rohmilchverarbeitung ist, sagt Metzler, eher den kleineren Käsereien vorbehalten. Im Gegensatz zu den meisten großen der Branche sammeln diese nämlich ihre Milch täglich ein, nicht nur alle zwei Tage. Und diese Frische ist notwendig, um Fehlaromen und Bakterienbildung zu vermeiden. Von 222 Bauern „zwischen Egg und Au“ wird die Milch tagesfrisch abgeholt, entrahmt und verbuttert. Soweit die Kurzversion. Die lange ist aber ungleich interessanter. Da erzählt Hermann Metzler etwa, dass seine Butter geschmacklich etwas aus der Käseproduktion mitbekommt: Die dort anfallende Molke, sonst oft an Schweine verfüttert, entrahmt man noch einmal über eine Zentrifuge, und dieser Molkerahm (Molkeobers müsste man im Osten eigentlich sagen) mit etwa 15 Prozent Fett wird mit dem Milchrahm verbuttert. Das ist sowohl Abfallvermeidung als auch zusätzliche Würze für die Rohmilchbutter.

Damit die Butter aus nicht pasteurisierter Milch ihre Haltbarkeit von drei Wochen erhält, muss man den Rahm (das Obers) mit Säureweckerbakterien anreichern. Die „Vielfalt“-Rohmilchbutter ist also eine Sauerrahmbutter. Spätestens jetzt müsste zu erahnen sein, welche Aromanuancen sich darin wiederfinden. Für Leute, die lieber eine neutrale Butter wollen, sei die Rohmilchbutter nicht geeignet, sagt Sennerei-Chef Metzler. „Man muss schon diesen Eigengeschmack der Butter als Wert ansehen wollen.“


Von Hand gemacht.
Wenn man die Rohmilchbutter dünn auf dem Brot verteilt, entdeckt man hauchfeine Wasserschlieren. Das hat mit der nicht industriellen Verarbeitung zu tun. Der Wassergehalt der Rohmilchbutter ist wie jener in der Diskonterbutter geregelt, maximal 16 Prozent Wasser dürfen enthalten sein. Nachdem aber die Butter der Schwarzenberger Sennerei weniger intensiv geknetet wird, ist die Wasserfeinverteilung anders, was sich in den erwähnten Schlieren äußert.

Dank dieser wird man gewahr, dass Butter ein Lebensmittel ist, das erst gemacht werden muss. Etwas, was man angesichts vieler glattpolierter Produkte oft vergisst, zum Nachteil für die Wertschätzung von Lebensmitteln.

Rahm bzw. Obers wird also gesäuert und in einem chromstählernen Butterfass mechanisch geschlagen. „Entscheidend ist die Temperatur“, sagt Hermann Metzler. „Der Rahm wird auf zwölf bis 14 Grad erwärmt, also auf die Butterungstemperatur.“ Man rührt so lange, bis sich die Fettkügelchen zusammenheften. Mit fortwährendem Rühren werden die Kugeln immer größer. Bevor sie einen Durchmesser von drei Zentimetern erreichen, wird die Buttermilch – „das ist echte Buttermilch – was man sonst unter dem Namen bekommt, ist ja eigentlich mehr eine gesäuerte Milch“ – abgegossen und die Butter mit frischem Wasser zwei- bis dreimal gewaschen. Auch das ist für Hygiene und Haltbarkeit wichtig: Denn ließe man die Buttermilch in der Masse, hätte man auch Bakterien. Nach dem Waschen wird die Butter im Fass geknetet. Dann wird in Viertelkilogröße abgepackt. Und neuerdings nach Wien geschickt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2013)

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