Die unsichtbaren Routen des modernen Sklavenhandels

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Mehr als 2,4 Millionen Personen dürften weltweit Opfer von Menschenhandel werden.

Wien. Ein unsichtbares Netzwerk aus etwa 460 Handelsströmen überzieht die Weltkugel. Es sind Routen, die beispielsweise in Ostasien ihren Ursprung nehmen und nach Nordamerika führen, die von Zentralasien die Region am Persischen Golf beliefern, die die afrikanische Subsahara-Region mit Westeuropa verbinden. Die Waren dieser Händler nehmen die üblichen Transportwege – Straße, Schiene, Wasser. Doch die Waren, die gehandelt werden, sollen unsichtbar bleiben oder besser gesagt nur für den Endabnehmer sichtbar sein, denn dieser Handel ist illegal: Es ist der Handel mit Menschen.

Laut Informationen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) aus dem Jahr 2005 gibt es weltweit mindestens 2,4 Millionen Personen, die Opfer von Menschenhandel werden. Die von den nationalen Behörden registrierten Fälle sind um vieles geringer: Das Büro der Vereinten Nationen für Suchtstoff- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in Wien zählte zwischen 2007 und 2010 (beruhend auf Berichterstattung von 132 UN-Mitgliedstaaten) etwa 55.000 „offizielle“ Opfer und 50.000 „offizielle“ Menschenhändler. Das sei allerdings nur „ein kleiner Ausschnitt der Realität“, sagt Kristiina Kangaspunta, eine leitende Beamtin von UNODC.

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Satte Einnahmen für Kriminelle

Menschenhandel wird als Transnationales Organisiertes Verbrechen (TOC) gewertet. Ein äußerst einträgliches Verbrechen: Die ILO schätzte 2005, dass kriminelle Netzwerke damit einen Gewinn von 32 Milliarden Dollar pro Jahr machten. Die UN geht davon aus, dass Menschenhändler allein in Europa drei Milliarden Euro jährlich verdienen. Menschenhandel steht damit nach Drogenhandel und Waffengeschäften an dritter Stelle, wenn es um die Gewinne geht.

Sexuelle Ausbeutung gilt in 58 Prozent der Fälle als Motiv für Menschenhandel, Zwangsarbeit folgt auf Platz zwei mit 36 Prozent; allerdings gibt es regional hohe Schwankungen (siehe nachfolgend).

Große Migrationsströme hätten häufig Menschenhandel zur Folge, sagt Kangaspunta. Menschenhändler sind die kriminellen Profiteure des Wunsches nach einem besseren Leben. „Menschenhändler nutzen den Migrationswillen und versprechen ihren künftigen Opfern bessere Lebensbedingungen.“ Das Gegenteil ist meist der Fall.


• Europäische Routen:
Gehandelt zur sexuellen Ausbeutung
In Europa schätzt man die von Menschenhandel Betroffenen auf 140.000 Personen. Laut UNODC stammen die meisten der Opfer in Europa aus Europa selbst – nämlich knapp 64 Prozent. Sie kommen häufig aus den Ländern Südost- und Mittelosteuropas, also Albanien, Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Rumänien, Polen, Ungarn – oder der Slowakei.


• Menschenhandel in Afrika:
Sklavenarbeit innerhalb des Kontinents
Aus Burkina Faso vermeldete die Polizei vor einigen Monaten einen Fahndungserfolg: Ende Oktober 2012 konnten Beamte 400 Kindersklaven aus Bergwerken und Baumwollplantagen befreien. Man habe die Kinder – die jüngsten davon waren erst sechs Jahre alt – aus „sehr tiefen Löchern“ geholt, erklärte eine Polizeibeamtin. 73 Verdächtige wurden festgenommen. So schockierend der Fall ist, so typisch ist er für Afrika. Auf dem Kontinent ist Kinderhandel weit verbreitet – bzw. ignorierten Strafgesetze in einigen Ländern lange andere Formen des Menschenhandels. Das hat zur Folge, dass 68 Prozent der registrierten Opfer Kinder sind – „einfache Opfer“, so Kangaspunta, und aufgrund ihrer großen Zahl leicht verfügbar. Sie werden in Bereichen wie Landwirtschaft, Fischerei, Hausarbeit und Minen eingesetzt. Die „Versorgung“ mit den kostenlosen Kinderarbeitern erfolgt aus Afrika selbst.


• Der Nahe Osten: Versorgung von außen
Es ist längst kein Geheimnis mehr: Die reichen Golfstaaten, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen Wirtschaftsboom erlebten, gelten auch als Umschlagplatz für Menschenhändler. Mehr als zwei Drittel der Opfer (70%) kommen aus anderen Weltregionen – aus Ost- und Südostasien, Afrika und Zentralasien. Da sich in den Golfstaaten viele Ausländer als Gastarbeiter aufhalten, dient ein Teil der gehandelten Frauen „zur ,Versorgung‘ dieser Arbeitskräfte – ein sehr typisches Muster“, so die UNODC-Expertin. Andere Betroffene sind in Haushalten tätig – und dort sehr „gefährdet“, da sie ihren Arbeitgebern oft schutzlos ausgeliefert sind.


• Region Ostasien:
Der weltweit größte Handelsstrom
Der größte Strom der Ware Mensch stammt aus Ostasien: Ein Fünftel der Opfer von Menschenhandel stammt aus dieser bevölkerungsreichen Region, zu der unter anderem China gehört. Eine mögliche Erklärung: die lange Auswanderungstradition. Ostasiatische Opfer würden „in großer Anzahl“ in vielen Ländern weltweit aufgegriffen, notiert der UNODC-Bericht. Gehandelt werden die Opfer – vorwiegend Frauen – in den Nahen Osten, nach Australien, Nord- und Südamerika sowie nach Europa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2013)

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