1961- Gipfel im Juni: Watschentanz in Wien

Chruschtschow testet den jungen US-Präsidenten. Schlimme Tage für John F. Kennedy.

Ein kurzes Wochenende in Wien kann für unroutinierte Reisende ziemlich anstrengend sein: "Das war die schlimmste Erfahrung meines Lebens, er hat mich ziemlich fertig gemacht", sagte US-Präsident John F. Kennedy zu einem Vertrauten nach dem Gipfeltreffen mit dem sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow am 3. und 4. Juni 1961. Wie ein Bub sei er behandelt worden, murmelte JFK irritiert und nervös. Es herrschte Angst vor einem Atomkrieg. In Washington befürchtete man, dass Moskau wegen der Berlin-Krise alles riskieren werde. "Wenn es so ist, steht uns ein langer, kalter Winter bevor", sagte Kennedy zu Chruschtschow. Nach der Rückkehr in die USA wurden Kennedys Rückenschmerzen akut, er hütete zwei Wochen das Bett.1961 war ein schlechtes Jahr für den jungen demokratischen Präsidenten, der im Jänner sein Amt angetreten hatte: Im April war die von der CIA geplante Invasion in der Schweinebucht auf Kuba kläglich gescheitert. Kennedy hatte sein erstes Kräftemessen mit dem Kommunismus, mit Fidel Castro, eindeutig verloren. JFK galt in Moskau als Leichtgewicht. Die Konsequenz: In Berlin wurde im August die Mauer gebaut, am Checkpoint Charlie standen sich im Oktober amerikanische und russische Panzer gegenüber, bereit zum Angriff. Die Sowjetunion testete dann auch noch entgegen den Abmachungen die bis dahin schwerste Wasserstoffbombe. Ein böses Vorspiel für die bald folgende Kuba-Krise, in der man der Katastrophe beinahe zufällig entging.

Die entscheidende Phase in dieser negativen Serie spielte sich Anfang Juni in Wien ab, vom Samstagvormittag bis Sonntagnachmittag. Ein Fiasko. In Österreich wird dieses Treffen der Führer der Supermächte aber beinahe nostalgisch beschrieben. Viele Historiker bewerten es als Tiefpunkt in der Karriere des US-Präsidenten. Wie erklärt sich dieses Paradox? Die schönen Erinnerungen der Österreicher sind verständlich, weil das Land am Eisernen Vorhang erst seit sechs Jahren wieder frei war, weil es als neutraler Treffpunkt im Mittelpunkt des Weltinteresses stand. 1700 Journalisten berichteten aus Wien. Interessant für die Medien waren nicht so sehr die Gespräche der Männer hinter verschlossenen Türen, sondern das Fest für Jackie Kennedy. Sie wurde zum Superstar dieses Events, bei der Stadtrundfahrt im offenen Ami-Schlitten, bei der Messe mit Kardinal König samt Sängerknaben im Stephansdom, beim Galadiner in Schönbrunn. Das amerikanische Präsidentenpaar wurde von den Wienern begeistert gefeiert, das sowjetische eher misstrauisch betrachtet. Politisch hielt sich das Gastgeberland zurück, doch zugleich vermittelte es, eine kulturelle Großmacht zu sein. Nina Chruschtschowa in der Oper, dem Musikverein, Jackie in der Hofreitschule und der Manufaktur Augarten. Wer will da vom Weltende reden?

Nun ja, die zwei mächtigsten Männer der Welt, die nur dieses eine Mal in dieser Funktion zusammentrafen. Bei den Gesprächen in der amerikanischen Botschaft in der Weidlichgasse und in der russischen in der Reisnerstraße war wenig vom Kennedy-Mythos zu spüren. Chruschtschow testete die Belastbarkeit des Amerikaners bis ins Extrem aus. Der erfahrene US-Diplomat Averell Harriman hatte das vorausgesehen. Vor der Anreise nach Wien hatte er JFK in Paris beiseite genommen und ihm den polternden Chruschtschow erklärt: "Lassen Sie sich von ihm nicht erschrecken . . . Versuchen Sie nicht, zu viel zu erreichen. Er hat genauso viel Angst wie Sie . . . Lachen Sie darüber, geraten Sie nicht in einen Kampf."

Genau dazu aber ließ sich der US-Präsident hinreißen. Er verstrickte sich in ideologische Debatten darüber, wer das bessere Gesellschaftssystem habe. Als der sowjetische Regierungschef von Kennedy forderte, dass der Westen Berlin faktisch preisgeben solle, warnte der Amerikaner vor den Folgen eines Atomkrieges, vor den Millionen Toten: Das müsse man verhindern. Die Gegenseite legt ihm diese emotionale Reaktion als Schwäche aus. Chruschtschow habe nicht einmal geblinzelt, sagte Kennedy danach. Er hat da wohl bereits geahnt, dass der Wahnsinn erst begonnen hatte.


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