Jugendstudie: "Hedonisten sind die neuen Proletarier"

Jugendstudie
Jugendstudie(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
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Links, rechts, keines von beiden? Warum die Jugend kein Problem hat, gleichzeitig gegensätzliche Werte zu vertreten und weshalb die ideologische Spontanität der Jungen Frank Stronach zugutekommt.

Der heutigen Jugend wird vieles nachgesagt: dass sie konservativ sei, angepasst, politisch uninteressiert, dafür aber konsumorientiert. Nimmt man die 14- bis 29-Jährigen genauer unter die Lupe, wird aber schnell deutlich: Die Jugend an sich gibt es nicht. „Wir müssen uns von der Eindeutigkeit verabschieden. Die heutige Jugend ist hybrid“, sagte Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier von T-Factory, gestern, Donnerstag, bei der Präsentation der ersten österreichischen Sinus-Milieu-Jugendstudie. Bei der Studie von den Instituten T-Factory und Integral wurden im Herbst des Vorjahres 50 qualitative Befragungen und 1500 Online-Interviews durchgeführt.

Zwang zur Selbstdarstellung

Dabei haben sich sechs verschiedene Typen herauskristallisiert, die trotz Unterschieden dennoch einiges eint. Denn sie sind alle von der Krise geprägt und spüren einen Zwang zur performativen Existenz, sprich Selbstdarstellung ist besonders wichtig. „Bildungsabschlüsse werden entwertet, also ist die Performance wichtig“, so Heinzlmaier. Sie alle haben kein Problem damit, Werte zu mischen, die früher unmöglich zusammengepasst hätten. Heinzlmaier nennt etwa die Kombination von traditionellen Pflichtbewussten und individueller Selbstverwirklichung. Alte Werte würden einfach neu interpretiert, erklärt Bertram Barth von Integral. Und: Während die gesellschaftliche Zukunft pessimistisch gesehen wird, blickt die Jugend der persönlichen Zukunft positiv entgegen.

Bei genauerer Betrachtung sind die sechs Typen doch recht unterschiedlich. Den Großteil machen dabei mit 21 Prozent die Hedonisten aus. „Das sind die modernen Unterschichtsjugendlichen. Die, die man früher Proletarier nannte“, so Barth. Sie haben kaum Zukunftsperspektiven, leben im Moment und belohnen sich mit Konsum und Spaß. „Es ist ein kulturell verelendendes Proletariat. Man kennt sie aus der ATV-Sendung ,Saturday Night Fever‘“, sagt Heinzlmaier.

Die nächsten größeren Gruppen sind die digitalen Individualisten und die Adaptiv-Pragmatischen mit jeweils 18 Prozent. Erstere fühlen sich in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft am wohlsten. Sie haben eine gute Ausbildung, sind experimentierfreudig und wollen kreativ tätig sein.

Den Adaptiv-Pragmatischen, also den Anpassungsfähigen, am Machbaren Orientierten, hingegen ist Sicherheit wichtig. Sie sind fleißig, flexibel und anpassungsfähig. Ihnen ähnlich sind die Konservativ-Bürgerlichen (17 Prozent), sie setzen verstärkt auf traditionelle Werte. Selbstdisziplin ist ihnen wichtiger als Selbstentfaltung.

Für die Gruppe der Performer (15 Prozent) steht Leistung im Vordergrund, sie sind karriereorientierte Optimisten. „Wenn man dazu ein Bild braucht: Das ist die junge Garde der deutschen FDP“, so Heinzlmaier. Die kleinste Gruppe ist jene der Postmateriellen (zehn Prozent), die sich gegen den Zeitgeist stemmt und dem Konsum eher kritisch gegenübersteht.

Rebellion zahlt sich nicht aus

Betrachtet man die politischen Vorlieben der einzelnen Gruppen, werden einige Überraschungen deutlich. Vorab lässt sich sagen, dass das Klischee der politisch uninteressierten Jugendlichen nur in Hinblick auf alte Kategorien stimmt. „Mit links und rechts kann heute niemand mehr etwas anfangen“, so Heinzlmaier. Bei der Orientierung auf Selbstdarstellung, Konsum und Individualität ist der gesellschaftliche Diskurs verloren gegangen. Man ist zwar unterschiedlicher Meinung, es wird aber nicht mehr darüber diskutiert. „Diskussion und Streit haben aber eine wichtige integrative Funktion“, sagt Heinzlmaier. Und: Utopie, Ideologie oder gar Rebellion spielen heute keine Rolle mehr. „Im Gegensatz zu Spanien haben unsere Leute noch etwas zu verlieren, deshalb wird nicht rebelliert.“

Für ihn sind die Instabilität der ideologischen Positionen und das Fehlen von politischer Diskussion auch der Grund, warum Quereinsteiger wie Frank Stronach attraktiv sind. Während nur vier Prozent der Jugendlichen die Piraten wählen würden, sind es beim Team Stronach sechs Prozent. 16 Prozent würden Grün wählen, gefolgt von SPÖ (14), FPÖ (13) und ÖVP (12).

Interessant sind auch die politischen Vorlieben der Gruppen. So finden sich unter den Hedonisten viele Nichtwähler, SPÖ- und Team-Stronach-Sympathisanten, aber kaum FPÖ-Klientel. Barth begründet das mit der Resignation der Gruppe. Hingegen spielt die FPÖ bei den Adaptiv-Pragmatischen, Konservativen und auch digitalen Individualisten eine Rolle. Letztere sympathisieren ebenso mit der SPÖ und den Piraten. Die ÖVP hat bei den Konservativen, Pragmatischen und Performern Sympathisanten, die Grünen bei den Postmateriellen und den Performern.

Auf einen Blick

Die erste Sinus-Milieu-Jugendstudie (T-Factory, Integral, 1500 Online-Befragungen, 50 qualitative Untersuchungen) unterscheidet die heimischen 14- bis 29-Jährigen nach sechs Typen: Konservativ-Bürgerliche (17 Prozent), Postmaterielle (10), Adaptiv-Pragmatische (18), Performer (15), digitale Individualisten (18) und Hedonisten (20). Selbstdarstellung und Konsum sind für alle wichtig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2013)

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