„... und Heil Hitler!“ – in Kurrent

Dachau Häftlinge
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April 1938: Hitlers triumphale „Volksabstimmung“ über Österreichs „Anschluss“. Karl Renner und Theodor Innitzer ergehen sich in Ergebenheitsbekundungen.

Nach dem klaglosen Einmarsch der deutschen Truppen im März 1938 galt es für das NS-Regime, dem „Anschluss“ Österreichs auch ein legitimes Mäntelchen umzuhängen. Eine gesamtdeutsche „Volksabstimmung“ sollte am 10.April vor der Welt Zeugnis ablegen, dass die Deutschen mit überwältigender Mehrheit die „Wiedervereinigung“ guthießen.

Unter deutscher Anleitung zeigte die NSDAP, was eine Monopolpartei an Propaganda zu bieten hat. Um es kurz zu machen: Der „Anschluss“ wurde mit 99,6 Prozent der Wahlberechtigten bestätigt.

Regimegegner gar nicht zugelassen

Das Ergebnis kam auf recht simple Art und Weise zustande. 360.000 Österreicher, ca. acht Prozent der Bevölkerung, waren von vornherein ausgeschlossen: Juden und politisch Unliebsame. So kam man auf eine sensationelle Wahlbeteiligung von 99,7 Prozent. Wer mit „Nein“ votieren wollte, musste in eine Wahlzelle gehen. Damit wusste man schon alles, denn die Befürworter gaben ihr Kuvert demonstrativ offen ab. Diese Vorsichtsmaßnahmen wären wahrscheinlich gar nicht notwendig gewesen, aber sie verschönten das Ergebnis erheblich. Dem Völkerbund blieb gar nichts anderes übrig, als dieses Votum kommentarlos zur Kenntnis zu nehmen.

Dabei musste sich das Regime gar nicht sonderlich anstrengen, um für seine Propaganda prominente Befürworter zu finden. Karl Renner, der Staatsgründer und Staatskanzler der Ersten Republik, drängte sich den Nazis geradezu auf. Er wollte eine Plakataktion für sein „Ja“ zum „Anschluss“, das war selbst dem „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Heß, zu plump. Nur ein Interview durfte Renner geben, und zwar dem „Neuen Wiener Tagblatt“. In dessen Nr. 92, am Sonntag, dem 3. April 1938. Titel: „Ich stimme mit Ja.“

„Freudigen Herzens“ begrüßt

In seiner von Zeitzeugen oft beschriebenen Eitelkeit verstieg sich der heutige SPÖ-Säulenheilige zu folgenden Zitaten: „Obschon nicht mit jenen Methoden, zu denen ich mich bekenne, errungen, ist der Anschluss nunmehr doch vollzogen, ist geschichtliche Tatsache, und diese betrachte ich als wahrhafte Genugtuung für die Demütigungen von 1918 und 1919, für Saint-Germain und Versailles. Ich müsste meine ganze Vergangenheit als theoretischer Vorkämpfer des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen wie als deutschösterreichischer Staatsmann verleugnen, wenn ich die große geschichtliche Tat des Wiederzusammenschlusses der deutschen Nation nicht freudigen Herzens begrüßte.“

Da litten Renners Freunde gemeinsam mit Katholiken, Kommunisten und Monarchisten bereits im KZ Dachau. Wie war das möglich? Nur Anbiederung aus Angst um die Familie?

Renner weiter: „[...] Nun ist diese zwanzigjährige Irrfahrt des österreichischen Volkes beendet, es kehrt geschlossen zum Ausgangspunkt, zu seiner feierlichen Willenserklärung vom 12. November, zurück. Das traurige Zwischenspiel des halben Jahrhunderts, 1866 und 1918, geht hiemit in unsrer 1000-jährigen gemeinsamen Geschichte unter.“ – „Wie werden also Sie und Ihre Gesinnungsgenossen stimmen“, fragt der Zeitungsreporter den Staatsmann: „Als Sozialdemokrat und somit als Verfechter des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen, als erster Kanzler der Republik Deutschösterreich und als gewesener Präsident ihrer Friedensdelegation zu Saint-Germain werde ich mit Ja stimmen.“

War es Renner offensichtlich ums eigene Überleben zu tun (was ihm auch gelang), so wagte die katholische Kirche einen ähnlichen Schritt aus Sorge um Klerus und Gläubige. Und zwar schon am 28. März 1938.

An diesem Tag gab es auf der Titelseite der Nazi-Zeitung „Völkischer Beobachter“ nur ein Thema: die „feierliche Erklärung“ der österreichischen Bischöfe, „aus innerster Überzeugung“ die Katholiken aufzurufen, am 10. April „Ja“ zu stimmen. Der Begleitbrief an den „Reichskommissar für die Wiedervereinigung“, den aus Deutschland eingeflogenen späteren Gauleiter Josef Bürckel, hatte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Wiener Erzbischof Theodor Innitzer, unterschrieben und eigenhändig in Kurrent dazugesetzt: „ . . . und Heil Hitler!“

Der Fehler seines Lebens

Damit hat sich der unpolitisch denkende, impulsive und oft auch naive Kardinal Innitzer, geboren im Sudetenland bei Weipert, ein Brandmal aufgedrückt, das er bis zu seinem Tod 1955 unauslöschlich tragen sollte. Er war 53 Jahre lang Priester, davon 23 Jahre lang Bischof, seit 1933 auch im Kardinalskollegium.

Die Welt war über Innitzers Instinktlosigkeit entsetzt. Vor allem deshalb, weil er den Fehler in einem zweiten Schreiben an Bürckel am 31. März gleich noch einmal beging. Der Oberhirte wurde nach Rom zitiert, Pius XI. wusch ihm den Kopf, berief ihn aber nicht ab. Als ihm Innitzer sein Verhalten erklären wollte, fuhr der Papst auf und sagte sehr emotionell und unwillig: „Eminenz! Haben Sie auch schon rosarote Brillen auf?“

Pius glaubte längst nicht mehr Hitlers Täuschungsmanövern. Und Innitzer? Er kehrte ziemlich deprimiert heim. Dass der evangelische Oberkirchenratspräsident Robert Kauer pries: „ . . . Gott segne Ihren Weg durch dieses deutsche Land und Ihre Heimat“, wird heute kaum erwähnt. Es zeigt nur dieselbe falsche Erwartungshaltung an den „Führer“, der übrigens bis zu seinem Tode brav Kirchensteuer entrichtete.

Die Wandlung zum Hitler-Gegner

Ganz anders als der Sozialdemokrat Karl Renner, der stillhielt, dachte der Kardinal schon nach wenigen Wochen um. Als er erkennen musste, dass ihn das NS-Regime höhnisch hinters Licht führte, wandelte sich der Erzbischof der Wiener zu einem erklärten Hitler-Gegner, der dann während des Krieges hunderten verzweifelten Juden die Flucht ermöglichte und Geldbeträge zusteckte, der im Erzbischöflichen Palais eine Hilfsstelle einrichtete, der den Vatikan um Hilfe anflehte – ja, der letztlich bereit war, sein Leben zu riskieren. „Mehr als erschlagen können sie mich nicht“, meinte er zu seiner Umgebung.

Dass es nicht dazu kam, lag nur daran, dass Hitler seinen Krieg verlor. Denn für die Zeit nach dem erträumten Endsieg hatte der Braunauer schon die Vernichtung der Kirchen auf seiner „Agenda“.

„Bierleiter Gauckel“

Einen letzten Versuch startete der Kardinal am Tag vor der Volksabstimmungsfarce, also am 9. April. Er konnte ohnehin nichts mehr an Reputation verlieren, also traf er Hitler in Wien, wurde aber höflich abgespeist: Nach der Abstimmung werde sich schon ein tragbarer Modus Vivendi finden.

Keine Rede davon. Kaum hatte Hitler die triumphale Zustimmung des deutschen Volkes zu Österreichs „Heimkehr“, verschärfte er die Gangart. Katholiken wurden von ihren Posten verjagt, Bürckel entpuppte sich als effizienter Büttel seines Herrn. Ein dicklicher Zechkumpan in zu knapp sitzendem Braunhemd, dachte er gar nicht daran, die Kirche ungehindert arbeiten zu lassen.

„Christus, unser Führer!“

Innitzer brach alle Brücken ab. Am 7. Oktober kam es zum Eklat. Innitzer ließ es drauf ankommen. Die katholische Jugend Wiens rief er in den Stephansdom. Man erwartete etwa 2500 Gläubige. Es kamen 9000. „So wollen wir gerade jetzt umso fester und standhafter unseren Glauben bekennen, uns zu Christus bekennen, unserem Führer und Meister, unserem König und seiner Kirche!“ Das war die Kampfansage. Und die Nationalsozialisten schlugen tags darauf brutal zurück. Doch so weit sind wir noch nicht in unserer Geschichte.


Siehe auch das heutige „Spectrum“, S. IV

Die Welt
bis gestern

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2013)

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