»Zellen widersprachen Anti-Folterkonvention«

Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer, in dessen Amtszeit das Jugendgericht abgeschafft wurde, zieht eine positive Bilanz.

Der Jugendgerichtshof (JGH) sei gar nicht geschlossen, er sei bloß „räumlich“ in das Wiener Straflandesgericht „verlegt“ worden. So sieht der damals innerhalb der schwarz-blauen Regierung zuständige Justizminister Dieter Böhmdorfer die genau ein Jahrzehnt zurückliegenden Ereignisse. Im Gegensatz dazu sprechen Jugendrichter von einer „völligen Auflösung“. Mag es hier auch um unterschiedliche Deutungen gehen – die Gretchenfrage bleibt: Warum ist es überhaupt so weit gekommen?

Der während seiner Amtszeit nicht als übertrieben konfliktscheu eingestufte Ex-Justizminister Böhmdorfer steht noch heute zu seiner Entscheidung. Und das JGH-Gebäude in Wien Erdberg, Rüdengasse 7–9, steht bis heute leer. Ein politisches Kräftemessen – hier die sozialromantisch-liberalen, „gutmenschelnden“ Jugendrichter, da die Law-and-Order-Fraktion im Justizressort – habe so nie stattgefunden, so Böhmdorfer. „Meine Motivation war frei von parteipolitischem Denken.“ Deutlich verweist der Ex-Politiker (längst arbeitet Böhmdorfer wieder als Rechtsanwalt) auf die damals vorgenommene Ausdehnung strafrechtlicher Vergünstigungen auf junge Verdächtige, eben bis zum vollendeten 21.Lebensjahr (davor waren nur Straffällige bis 18 privilegiert).

Aggressive Jugendliche. Da damit ein Anwachsen der jugendlichen/jungen Täter verbunden gewesen ist, habe im JGH-Gefängnistrakt „eine derartige Enge“ geherrscht, dass „die Jugendgerichtszellen schon „der Anti-Folterkonvention widersprachen“. Wegen der Platznot mussten Insassen in anderen Gefängnissen untergebracht werden. Standen Einvernahmen im JGH an, wurden die Verdächtigen um teures Geld quer durch Wien transportiert. „In den ersten Phasen nach der Verhaftung sind Häftlinge prinzipiell sehr aggressiv, insbesondere gilt das für Jugendliche“, meint nun Böhmdorfer – womit er auch beim „Hauptargument“ für die „Verlegung“ der Jugendgerichtsbarkeit angelangt ist. Dieses sei eben „der desolate, aggressionsfördernde Zustand der Zellen bzw. die räumliche Enge des Jugendgerichtshofes überhaupt“ gewesen.

Heruntergerissene Vorhänge. Über den Zustand der Hafträume im alten JGH wurde so gestritten, dass sogar der seinerzeitige Bundespräsident Thomas Klestil eine Inspektion vornahm. Was er damals zu sehen bekam, schildert Böhmdorfer heute so: „Es handelte sich überwiegend um enge Zellen, bei denen die Klosetts nur durch Vorhänge abgetrennt waren.“ Die in dieser Situation „sehr aggressiven Jugendlichen“ hätten die Vorhänge heruntergerissen.

Ex-JGH-Präsident Udo Jesionek wehrt sich. Der halbe Zellentrakt sei damals schon saniert gewesen. „Es ist bezeichnend, dass Minister Böhmdorfer Bundespräsident Klestil nur einige alte Hafträume gezeigt hat, die tatsächlich noch in einem antiquierten, allerdings durchaus funktionsfähigen Zustand waren.“

Böhmdorfers Bilanz fällt positiv aus: „Alles und jedes, was man für eine ordentliche Abwicklung der Jugendgerichtsbarkeit benötigt, war und ist in der Justizanstalt Josefstadt besser und zweckmäßiger, als es in der Rüdengasse gewesen ist. Der große ,Nachteil‘ bestand darin, dass der Jugendgerichtshof vorher einen eigenen Präsidenten, eben Dr. Udo Jesionek, hatte und nachher nur mehr einen Vizepräsidenten im Landesgericht für Strafsachen.“ M.S.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2013)

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