Burgtheater: Der Liliom rutscht im Prater ab

Burgtheater Liliom rutscht Prater
Burgtheater Liliom rutscht Prater(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Barbara Frey lässt Nicholas Ofczarek als Molnárs Titelheld reüssieren: Ein Wiener Weh. Aber nicht alle im Ensemble können bei der Geisterbahnfahrt mithalten.

Einen prächtigen Vergnügungspark hat Bühnenbildnerin Bettina Meyer ins Burgtheater gestellt. „Dizzy Mouse“ steht auf einer großen Leuchtschrift vorn am Eingang, weiter hinten lauert ein gefährlicher großer Katzenkopf mit gierig aufgerissenem Maul, einem Loch in einer Holzplatte, die zugleich die Rückwand zum Notquartier der Protagonisten ist, das man in späteren Bildern durch eine Drehung der Bühne erreicht. Ein profaner Metallcontainer, der erst im Dunkeln steht, erweist sich im sechsten Bild als gütig strafende letzte Instanz: „Jenseits“ signalisiert schwungvoll eine Leuchtstoffröhre über dem streng ausgeleuchteten Himmelsbüro. Das spiegelt die sarkastische Sicht auf bürokratische Transzendenz, ganz im Sinn des Stückes. Ferenc Molnárs „Liliom“ ist abgebrüht.

Dominiert wird der Park von einer gelben, mit Glühbirnen gesäumten, steilen Rutsche im Zentrum, die sich an der Rückwand der Bühne spiegelt und so Weitläufigkeit vortäuscht. Es sind offenbar Versatzstücke aus dem echten Wiener Prater, die Regisseurin Barbara Frey für ihre zweieinhalbstündige Interpretation des „Liliom“ (von Alfred Polgar ins Deutsche übersetzt) verwendet.

In Neonlicht getauchtes Jenseits

Die „Vorstadtlegende in sieben Bildern“, die uns in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg führt, wird also vom Budapester Stadtwäldchen nach Wien verlegt. Die erwähnten Straßen sind Wiener Straßen, Züge fahren von Wien nach Prag, nicht von Budapest nach Wien wie im Originaltext – eine kluge Wahl, denn Nicholas Ofczarek als Titelheld und Barbara Petritsch als Ringelspielbesitzerin Muskat beherrschen die Darstellung des Milieus der Wiener Hutschenschleuderer, sie sind geradezu ideal, wenn sie sich lustvoll dieser Studie der Unterschicht ergeben.

Petritsch ist eine großartige Dame des seichten Gewerbes. Sie gibt ihr sogar Tiefe. So viel Frust und Lüsternheit und zugleich auch Berechnung bis in die kleinste Geste! Bei ihr wird das Traurige so komisch, dass man lachend weinen muss. Peter Matić und Hermann Scheidleder passen in Nebenrollen ebenfalls zu diesem elenden Duo. Es wirkt erbauend, Matić zuzusehen, wie er im Jenseits das Weise und Verschmitzte mit einem Schuss Grausamkeit mischt, und auch Scheidleder versteht es genial, das Gemütliche, das Boshafte und das Böse in einem einzigen Satz aufblitzen zu lassen.

Weniger wurde das übrige Ensemble auf die Wiener Brut abgestimmt, aber nicht nur deshalb wirkt die Aufführung, die am Samstag an der Wiener Burg Premiere hatte, unausgeglichen. Im Leben wie auf der Bühne geht es ebenso zu wie im Prater auf der Achterbahn. Auf einige Höhepunkte folgen auch Durchhänger. Mühsam muss man sich dann wieder auf die Höhe raufkämpfen.

An der riesigen Rutsche wird Liliom, der sich nach missglücktem Raub ein Küchenmesser in die Brust gerammt hat, hochzuklettern versuchen, umfallen und leblos runtersinken, um wenig später neben seiner geliebten, geprügelten Julie (Katharina Lorenz), der er, mittel- und arbeitslos ein Kind angehängt hat, pathetisch zu verenden.

Dann sollte (nach der Pause) der ganze Spaß eigentlich erst losgehen, mit Molnárs absurdem pedantischen Jenseits und des Toten kurzer Rückkehr auf die Erde, aber bei Frey entsteht nicht Komplexität, sondern die Bilder zerfallen in eine Folge gelungener Kunststücke und manchmal eben weniger gelungener Passagen. Man hat nicht immer den Eindruck, dass die Darsteller alle im gleichen Stück spielen.

Mavie Hörbiger schrill, einfältig und bieder

Wie ein Fremdkörper wirkt zum Beispiel Mavie Hörbiger als Julies einfältige Freundin Marie. Ihre Rolle wird schrill angelegt, unvermittelt fällt sie vom exzessiv Komischen ins übertrieben Dramatische. Ist das Absicht? Marie schafft den Aufstieg vom Dienstmädchen zur kleinbürgerlichen Existenz. Sie ehelicht den Dienstmann Wolf Beifeld (Michael Masula), der sich mit Bescheidenheit und Beharrlichkeit durchsetzt im Leben. Da passen die Rollen wieder genau. Die beiden spielen schließlich den biederen Kontrast einer heilen Familie zum tragikomischen Geist Lilioms und der armen Julie, die mit ihrer sechzehnjährigen Tochter eine unheimliche Begegnung mit dem untoten Ex hat. Heikel ist die Bewertung Julies. Lorenz gibt diese als schmal bezeichnete junge Frau rätselhaft stark in ihrer Zuneigung zu Liliom, dann wieder rätselhaft kalt, irgendwo im Unbestimmten zwischen Gretchen und Medea. Molnárs aberwitziger Zirkus ist nicht ideal für eine große Tragödin. Befremdend und rührend ihre Abschiedsszene: Trauerarbeit an Liliom mit halb entblößtem Körper.

Irrsinnig brutal und dann wieder ganz zart

Jasna Fritzi Bauer bietet als Julies und Lilioms Tochter Luise einen beherzten Auftritt. Sie lässt sich von Ofczarek nicht an den Rand drängen, weiß mit ihm umzugehen, ob er nun den Kraftprotz oder den elend Gescheiterten spielt. Das ist nicht leicht: Denn er ist nämlich einer, der an die Rampe geht, ins Publikum blinzelt und einen ungeheuren Satz loslässt, als wäre er unser Verbündeter. Er kann von irrsinniger Brutalität sein und im nächsten Moment ein ganz Zarter. Dann scheint er aus dem Augenwinkel zu beobachten, wie diese Metamorphose wirkt.

Das wird auch seine Schwäche. Hier spielt ein imposanter Liliom, vor allem, wenn es ums Abrutschen geht. Viel Raum lässt so einer den anderen nicht, wie Daniel Sträßer als schmieriger Krimineller und Brigitta Furgler als grantig-gütige Frau Hollunder erfahren – beide hervorragende Schauspieler. Neben Ofczarek muss sogar eine Ebenbürtige wie Petritsch all ihr Mundwerk, den ganzen Körper und einige Kunstgriffe aufbringen, um zu bestehen. Denn der Liliom, der mag ein Niemand sein, aber schief anschauen sollte man ihn auf keinen Fall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2013)

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