Margaret-(Gegen-)Kultur: Rohes Steak für Thatcher

 Thatcher: „milk snatcher“
Thatcher: „milk snatcher“(c) REUTERS (SUZANNE PLUNKETT)
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Englands erste Premierministerin hypnotisierte Literaten, reizte Filmemacher aufs Blut und ging in die Volkskultur ein. Von „milk snatcher“, „Sado-Monetarismus“ und einer gefürchteten Handtasche.

Margaret Thatcher war in der britischen Öffentlichkeit eine Kunstfigur, lange bevor sie 1979 zur ersten Premierministerin ihres Landes wurde. „Thatcher, Thatcher, milk snatcher“, spotteten Schulkinder noch Jahre, nachdem die aufstrebende konservative Politikerin, die 1970 unter ihrem Tory-Parteichef Edward Heath Unterrichtsministerin geworden war, die Gratisschulmilch für die Kleinen gestrichen hatte. Das Image der scharf kalkulierenden Geschäftsfrau, die ihre Ideen gegen harten Widerstand durchsetzt, hat sie sich bereits früh und redlich verdient und ging damit sozusagen in die Volkskultur ein. Die Songs über Thatcher sind Legion (siehe unten).

In ihrer Amtszeit als Regierungschefin wurde diese Prägung zur herzlosen Politikerin dann buchstäblich zum Zerrbild: 1984, auf dem Höhepunkt des Bergarbeiterstreiks, startete der Privatsender ITV das bizarre TV-Puppenspiel „Spitting Image“. Thatcher konnte man als wandelbare Latexfigur mit übergroßen, stechend-blauen Augen sehen, Anzug tragend, mit Krawatte, Fliege oder Tuch. Und in dankbaren Rollen – als Caligula, als Zigarren rauchender Churchill, als Heiland gar. Es mangelte der Sendung nicht an Charakterköpfen, Johannes Paul II.,Ronald Reagan, Michail Gorbatschow und Ayatollah Khomeini zum Beispiel. Aber Margaret Thatcher war in dieser britischen Show das Highlight, die Überfrau.

Verklärung der „Iron Lady“

Das schlagkräftige Accessoire dieses Wesens mit dem Drang zur Deregulierung: Handtaschen, mit denen sie servile Herren prügelt. In einem Sketch bestellt die Dame ein Steak. Roh. „What about the vegetables?“, fragt die Kellnerin. „They'll have the same as me“, weist die Chefin auf die um den Tisch versammelten Kabinettskollegen. Sie ist der starke Mann unter lauter weich gekochtem Gemüse.

Thatcher wurde nicht nur in der Satireshow zur Karikatur, sondern auch zur Ikone im Film, wie etwa 2011, in verklärender Retrospektive, bei Phyllida Lloyds „The Iron Lady“ mit Meryl Streep als Titelheldin. Streep hat sich nun auch einfühlsam zu Wort gemeldet: Thatcher sei eine Pionierin gewesen, für die Rolle der Frau in der Politik. Das erlaube Frauen überall auf der Welt, den Traum von Führerschaft zu träumen.

Ganz anders reagierten Filmschaffende zu Amtszeiten der Premierministerin. Die besten Regisseure des britischen Sozialdramas schufen Antithesen zur europäischen Leitfigur monetaristischer Politik, Stephen Frears zum Beispiel, Derek Jarman und Mike Leigh, sogar der versponnene Peter Greenaway. Bei ihm wird sie zur Allegorie. Ken Loach hat Margaret Thatcher noch unmittelbar nach ihrem Ableben als jenen Premier der Moderne bezeichnet, der „am meisten entzweite und am destruktivsten war“. Die britische Arbeiterklasse sei ihr Feind gewesen.

Auch die Literatur entwickelte eine regelrechte Hassliebe zum längst dienenden britischen Premier seit 1827. Sie sei zwar eine Frau, aber keine Schwester, sagten Feministinnen. „Es war niemals genug, sie abzulehnen. Wir liebten es, sie nicht zu mögen“, behauptete der tiefgründige Romancier Ian McEwan in einem abgeklärten Nachruf auf sie in der linksliberalen Tageszeitung „The Guardian“ am Montag. Sie habe die Autoren hypnotisiert, schreibt McEwan. Bei einer internationalen Konferenz in Lissabon Ende der Achtzigerjahre hätten alle Briten, darunter Salman Rushdie, Martin Amis, Malcolm Bradbury und er selbst, sich dauernd auf Thatcher bezogen. „Wir konnten kaum hinter sie sehen.“ In der Beziehung der Nation zu ihrer Regierungschefin sei auch immer ein Element der Erotik gewesen: „Sado-Monetarismus“. Für Rushdie wurde Thatcher gar „Mrs. Torture“, in „The Satanic Verses“.

Gastauftritt bei „Yes Minister“

Die strenge Mutter der Nation, die den Briten das freie Wirtschaften einbläute, blieb auch nach ihrem Abgang 1990 in der Literatur präsent, etwa in Alan Hollinghursts Roman „The Line of Beauty“, der 2004 den Man Booker Prize gewann: Thatcher hat soeben 1983 ihre zweite Wahl haushoch gewonnen. Bei einer Party bittet sie der Protagonist um einen Tanz. Ein Moment nur, aber wie viele Bücher ist auch dieser Roman durchtränkt vom Geist der Thatcher-Zeit.

Sogar die Lady selbst sorgte für kulturellen Nachruhm. 1984 schrieb sie mit ihrem Pressesprecher einen Sketch für die TV-Serie „Yes Minister“ und spielte dann selbst mit. Die Chefin zitiert Verwaltungsminister Jim Hacker zu sich und möchte, dass er die Ökonomen abschafft: „Yes, all of them. They never agree on anything.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2013)

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