Der falsche Neid

Wohlstand ist mehr als das kumulierte Vermögen. Oder anders gefragt: Wer will derzeit in Spanien leben?

Vor wenigen Jahren ist in einem heimischen Betrieb unbeabsichtigt per Mail die gesamte Gehaltsliste an alle Mitarbeiter weitergeleitet worden. Das war Gift für die Kollegenschaft. Plötzlich wurde gegeneinander aufgerechnet, viele fühlten sich unfair behandelt. Ähnliches geschah mit der Veröffentlichung einer EZB-Studie über die Vermögensverteilung in der Eurozone.

Die Nachricht, dass die Bevölkerung in Zypern oder Spanien deutlich vermögender als jene von Deutschland oder Österreich ist, birgt emotionale Sprengkraft. Denn im Umkehrschluss heißt es natürlich: Warum sollen wir gefährliche Haftungen für die Sanierung dieser maroden Staaten übernehmen? Die wenig attraktive Antwort ist, dass wir uns beteiligen müssen, weil wir alle in einem Euro-Boot sitzen und auch unsere eigene Zukunft vom Gelingen dieser Sanierung abhängt. Fair ist das nicht.

Wohlstand, und das wird bei genauer Betrachtung deutlich, ist freilich mehr als das individuelle Vermögen. Die Österreicher zahlen beispielsweise einen sehr hohen Anteil ihres Vermögens für ein teures staatliches Sozialsystem und benötigen dafür weniger Eigenleistung in Krisensituationen. Ihr Geld fließt eher in Mieten statt ins Eigentum und wird damit zum Durchlaufposten zugunsten einiger weniger. Auch das mag manchen ungerecht erscheinen. Aber wer all die Sicherheiten in Anspruch nehmen will, wer selbst Risiko und Verantwortung meidet, der sollte sich darüber nicht beschweren.

Gerade die Krise zeigt, wie vielschichtig Wohlstand zu definieren ist. Oder wollen die Österreicher wirklich derzeit lieber in Spanien leben: mit einer Arbeitslosigkeit von 26,3 Prozent, mit schlechten Zukunftsaussichten und mit all der Last vergangener Fehler?

wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.