Wider den teuren Spitalsfetischismus

Die gute Nachricht lautet: Die Politik hat das Problem erkannt. Die schlechte: Die Gesundheitsreform wird es auch nicht lösen. Weil das Kompetenzwirrwarr bleibt.

Ein bisschen erinnert die österreichische Gesundheitspolitik an einen starken Raucher: Man weiß, dass das, was man tut, ungesund ist – und kann es trotzdem nicht lassen. Ein entsprechender Befund der OECD reihte sich am Donnerstag in die lange Liste ähnlicher Studien mit gleichen Ergebnissen ein: In keinem anderen Staat werden mehr Menschen im Krankenhaus behandelt. Mit 261 Spitalsaufenthalten pro 1000 Einwohner ist Österreich einsame Weltspitze (der Durchschnitt liegt bei 155).

Verwunderlich ist das nicht, dafür aber ziemlich teuer. Die Gesundheitsausgaben sind in den vergangenen Jahren nicht zuletzt deshalb stärker als das BIP gestiegen – dem System droht jetzt der finanzielle Kollaps. In der täglichen Praxis muss man sich das ungefähr so vorstellen: Etliche Eingriffe, die ambulant in gleicher Qualität, aber kostengünstiger durchgeführt werden könnten, ziehen in Österreich nicht selten einen Krankenhausaufenthalt nach sich (als Beispiel muss stets der graue Star herhalten).

Die Ursachen für diesen Spitalsfetischismus lassen sich zum Teil mit der föderalen Struktur des Landes erklären. Jeder Landeshauptmann, der etwas auf sich hält, wird auf seinem Hoheitsgebiet nach Möglichkeit große Krankenhäuser errichten, weil sie sich nicht nur als Monumente der Ära XY eignen, sondern auch viele Arbeitsplätze bieten, die parteipolitisch besetzt werden können.

Mancherorts setzte angesichts des finanziellen Drucks zwar schon ein Umdenken ein: Wien etwa legt Spitäler zusammen, baut Akutbetten ab und Pflegebetten auf. Doch es gibt sie nach wie vor, die schönen Beispiele: Die Spitäler im burgenländischen Kittsee und im niederösterreichischen Hainburg sind nur zwölf Kilometer voneinander entfernt, bieten aber die gleichen Leistungen an. Wozu eigentlich? (Auf Baden und Mödling wollen wir diesmal nicht näher eingehen.)

Demgegenüber steht ein Angebot im niedergelassenen Bereich, das – gelinde gesagt – verbesserungswürdig ist. Es brauchte mehr Fachärzte mit Kassenvertrag, flexiblere Öffnungszeiten in den Ordinationen (Stichwort Wochenende) und Ärztezentren, die mehrere Fachrichtungen unter einem Dach vereinen. Das würde (Warte-)Zeit und Anfahrtswege verkürzen.

Weiters täte auch ein wenig Aufklärung not. In den chronisch überfüllten Spitalsambulanzen finden sich meist Menschen aus bildungsferneren Schichten, vielfach Migranten, die mit dem System nicht wirklich vertraut sind. Wenn sie krank sind, gehen sie den unkomplizierten und naheliegenden Weg: ins Spital. Freilich ist Information immer auch eine Holschuld, aber eben nicht nur. Frage: Was macht diesbezüglich eigentlich das Integrationsstaatssekretariat?

Die gute Nachricht lautet: Die Gesundheitspolitiker haben die Probleme erkannt. Ab 2014 wird das System reformiert – mit dem dringlichen Ziel, die Patientenströme vom Krankenhaus in die Ordinationen umzuleiten. Herzstück dieser Reform ist eine Art Zweckehe: Die Länder, in deren Verantwortungsbereich die Spitäler fallen, und die Sozialversicherungen, die für die Kassenärzte zuständig sind, planen die Gesundheitsversorgung im jeweiligen Bundesland künftig gemeinsam. Wo braucht es einen Dermatologen? Wo ist das Spital nicht ausgelastet? Die grundsätzlichen Vorgaben kommen vom Gesundheitsminister.

Ein solcher Modus Operandi sollte – im Sinne des Patienten – eigentlich selbstverständlich sein. Wenn da nicht die Machtspielchen wären. Bisher nämlich schoben Länder und Kassen einander gegenseitig die Patienten zu – mit fatalen Folgen für den Staatshaushalt. Und der Bund sah dabei tatenlos zu.

So gesehen ist der Reformansatz natürlich ein Fortschritt. Besser wäre es, hätte man Aufgaben- und Finanzverantwortung nicht zwischen drei gleichberechtigten Partnern aufgeteilt, sondern einem von ihnen übertragen. Zum Beispiel dem Gesundheitsminister.

Da das mit der Realverfassung jedoch unvereinbar ist (wo kämen die Länder und Kassen da hin?), versucht man es jetzt also zu dritt. Man muss dem gelernten Österreicher nicht extra erklären, dass es schwierig werden könnte, das Ziel – die Entlastung der Spitäler – zu erreichen. Erfahrung mit Großen Koalitionen hat er ja genug.

E-Mails an: thomas.prior@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2013)

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