Wo wagnert Wien?

Die reiche Richard-Wagner-Sammlung des Nikolaus Johannes Oesterlein ging Ende des 19. Jahrhunderts an Eisenach. Und sonst? Vier Gedenktafeln, ein Platz in Ottakring, kein Denkmal: Wagner und Wien – eine Spurensuche.

Der Beamte Nikolaus Johannes Oesterlein wird sich auch 2013 nicht im Grab umdrehen. Und weiter zufrieden über seine Entscheidung sein, die umfassende Richard-Wagner-Sammlung, die er zu seinen Lebzeiten (1841 bis 1898) in Wien zusammengetragen hatte, zu guter Letzt an die deutsche Stadt Eisenach verkauft zu haben. Denn Deutschland ist anlässlich der Wiederkehr des 200. Geburtstags des Komponisten mit streitbarer Persönlichkeit am 22. Mai dieses Jahres im Richard-Wagner-Fieber. Dass ausgerechnet die Villa Wahnfried wegen Sanierungsarbeiten 2013 geschlossen bleibt, gönnt dem Komponisten zumindest in seinem Heim eine verdiente Ruhepause.

Wer es ganz pathetisch anlegt, kann das Grab im Garten des Hauses Wahnfried besuchen, wo das Museum und das Nationalarchiv erweitert werden. Man muss die Wagner-Verehrung ja nicht so weit treiben wie Anton Bruckner, der 1884 drei Efeublätter vom Grab Wagners pflückte – sie existieren bis heute in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. Dagegen fordern die Wagner-Städte Leipzig, München, Dresden, Nürnberg und Bayreuth allen Wagner-Interessierten einiges an Kondition ab. Einen Überblick zu den unzähligen Veranstaltungen verschaffen nur noch Websites wie www.richard-wagner-verband.de oder www.the-wagnerian.com.

Und überhaupt: So viel „Ring des Nibelungen“ wie 2013 gab es weltweit noch nie. Von New York bis Melbourne, Berlin und Paris, Mailand und Seattle wird Wagners Tetralogie in alten und neuen Inszenierungen gezeigt. Ein gutes Jahr für Wagner-Dirigenten und Wagner-Sänger und -Sängerinnen, werden doch noch dazu unzählige Geburtstagskonzerte am 22. Mai veranstaltet.

Dagegen erscheinen die Wagner-Aktivitäten in Österreich gleichsam als Ausläufer. Während des Neujahrskonzerts waren seine Klänge zu hören, die Staatsoper feiert mit einer Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ und präsentiert am 22. Mai passenderweise die „Götterdämmerung“, die Salzburger Festspiele bringen „Die Meistersinger von Nürnberg“. Die Wiener Ausstellungen stehen ganz im Zeichen der wechselvollen Beziehungsgeschichte zwischen dem Bayreuther Meister und Wien: Die Österreichische Nationalbibliothek zeigte im Prunksaal die Schau „Geliebt, verlacht, vergöttert. Richard Wagner und die Wiener“. Das Jüdische Museum widmet sich mit der Sonderausstellung „Richard Wagner und das jüdische Wien“ einem komplexen Verhältnis, das 1832 mit dem ersten Besuch Wagners in Wien seinen Ausgang nahm. Er kam oft wieder, begegnete unter anderem Franz Grillparzer, Johannes Brahms und hatte in dem Leibarzt der Kaiserin Elisabeth, Josef Standhartner, einen engen Freund, bei dem er auch zeitweilig, in der Singerstraße 30–32, wohnte. Doch für einen dauerhaften Wohnsitz in Wien reichte es ebenso wenig wie für die Uraufführung eines seiner Werke.

Zu Lebzeiten erste Ausstellung

Die beiden Ausstellungen stehen in einer Tradition von Wagner-Ausstellungen, die in Wien schon zeitig ihren Ausgang nahm. Der Schriftsteller, Kunst- und Kulturberichterstatter beim „Neuen Wiener Tagblatt“, Viktor Karl Schembera, ein begeisterter Wagnerianer, organisierte bereits im Dezember 1876 im Lokal des „Österreichischen Kunstvereins“ in den Tuchlauben eine erste Hommage an den Komponisten: Er holte eine Zusammenstellung von Werken, die vor allem Themen aus Wagner-Opern zum Inhalt hatten, aus Bayreuth nach Wien. Prunkstück der Schau war Wilhelm von Kaulbachs Karton „Elisabeths Tod“ aus der Sammlung von König Ludwig II. von Bayern; weiters zeigte Schembera die 14 Entwürfe des Wiener Bühnenbildners Josef Hoffmann zum „Ring des Nibelungen“ für Bayreuth. Dass man einem lebenden Komponisten eine solche Ausstellung widmete, war für Wien ein absolutes Novum.

Oesterlein dagegen machte seine fanatische Wagner-Begeisterung erstmals 1882 mit der Publikation eines ersten Katalogs seiner mehrere Tausend Bände zählenden Wagner-Bibliothek öffentlich. Bald schon legte er noch ein Schäuflein nach: 1887 stellte der Wagnerianer Oesterlein sein akribisch zusammengetragenes privates Richard-Wagner-Museum den Wienerinnen und Wienern für Besuche und für Forschungszwecke zur Verfügung. Originalpartituren, Plakate, Fotos, Briefe, Eintrittskarten, Konzertzettel – alles, was mit dem Meister in irgendeinem Zusammenhang stand, fand Eingang in die Sammlung. Heuer wäre das Museum gewiss ein Publikumsmagnet! So existierte in der „Musikstadt“ Wien ein Musikermuseum, bevor die Stadt auf ein eigenes historisches Museum verweisen konnte. Dessen Gründung folgte erst ein Jahr später.

Die Organisation einer Ausstellung, ein im 19. Jahrhundert entwickeltes Format der Herstellung von Öffentlichkeit, war es auch, die Oesterlein Hoffnung auf verstärktes Interesse an seinem Museum gab, für dessen weiteren Ausbau er eine Finanzierung suchte: 1892 fand mit der Internationalen Musik- und Theaterausstellung die „kleine“ Weltausstellung im Wiener Prater statt. Musikern wie Mozart, Beethoven, Weber, Schubert und Haydn wurde besondere Aufmerksamkeit zuteil, auch Richard Wagner fand mit Autografen Berücksichtigung. Das Plakat für die Schau entwarfen die Brüder Ernst und Gustav Klimt.

Die Ausstellung war ein Erfolg – allerdings nicht für Oesterlein: Das zusätzliche Geld blieb aus. Über Vermittlung des deutschen Lexikografen Joseph Kürschner verkaufte er sein rund 20.000 Objekte zählendes Museum mitsamt der Bibliothek schließlich nach Eisenach, wo die bedeutendste Wagner-Sammlung nach Bayreuth im Reuter-Museum 1897 erstmals gezeigt wurde und auch 2013 besichtigt werden kann.

Doch nicht allein die manischen Sammler rezipierten das Schaffen Wagners. Im Werk von Wiens Regenten der Ringstraßenzeit, Hans Makart, finden sich zahlreiche Wagner-Bezüge: Nicht nur dass Makarts legendär gewordener Umzug auf der Wiener Ringstraße zu Ehren des Kaiserpaares wie eine monumentale Umsetzung des Aufmarsches der Zünfte aus den „Meistersingern von Nürnberg“ wirkte; der Malerfürst lud 1875 auch zu Ehren des deutschen Komponisten zu einem seiner beliebten Feste in seinem Atelier in der Gusshausstraße im vierten Bezirk. Der Meister selbst war mit Gattin Cosima anwesend und versöhnte sich dort mit dem Architekten Gottfried Semper, mit dem er sich über dem Projekt eines Festspielhauses zerstritten hatte. „Hübsches Fest“, vermerkte Cosima Wagner in einem Tagebucheintrag vom 3. März 1875 lapidar.

Hans Makart, der mit anderen Malerkollegen zur ersten Aufführung des Rings nach Bayreuth gefahren war, schuf vermutlich im Todesjahr des Komponisten, 1883, eine gewaltige Bilderserie zum „Ring des Nibelungen“: Acht großformatige Bilder, ganz auf den Gegensatz von Licht und Dunkelheit konzentriert, zeigen Szenen aus Wagners Tetralogie. Der Großteil des Zyklus befindet sich heute in Riga. Für welchen Wagner-Begeisterten Makart diese Bilder schuf, ist nicht bekannt.

Wohin gehen nun Wiener Wagner-Fans, wenn sie des Musikers abseits der Konzertsäle gedenken möchten? Ein Wagner-Denkmal sucht man in Wien vergeblich, wobei es 1933 einen Wettbewerb für ein solches gab; ausgeführt wurde es freilich nie. Wer Stadtgeschichte und Wagner-Verehrung verbinden will, dem bleiben in Wien der schon 1894 nach ihm benannte Richard-Wagner-Platz im 16. Bezirk (der bis dahin Goetheplatz hieß) und vier Gedenktafeln, die an die Wien-Aufenthalte des Komponisten erinnern. Im ersten Bezirk ziert den Eingangsbereich des Hotels „Zur Kaiserin Elisabeth“ in der Weihburggasse 3 eine marmorne Platte, die auf prominente ehemalige Gäste verweist. Neben Wagner nennt die Tafel beispielsweise Mozart, Liszt, Bruckner und Grieg. Richard Wagner logierte hier im November 1862, als er sich anlässlich der geplanten „Tristan“-Aufführung mit dem Gedanken trug, sich in Wien dauerhaft niederzulassen. Dementsprechend mietete Wagner in der von Wienern sogenannten Wagner-Villa in Penzing eine Etage mit stattlichen sieben Zimmern. Trotz hoher Schulden scheute Wagner keine Kosten, um die Wohnung prunkvoll auszustatten. Hier arbeitete er an den „Meistersingern von Nürnberg“, woran die Gedenktafel in der Hadikgasse 72 erinnert.

Thaliatheater und „Tannhäuser“

Am Thalia-Hof im 16. Bezirk findet sich eine Gedenktafel aus dem Jahr 1932: „Hier stand 1856–1869 das Thaliatheater, in dem am 28.August 1857 ,Tannhäuser‘ von Richard Wagner als erste seiner Opern zur Aufführung gelangte.“ Im Wagner-Jahr 1933 stiftete der Wiener Schubertbund zum 50. Todestag des Komponisten die Gedenktafel am Hotel Imperial, in dem Wagner einst eine ganze Etage gemietet hatte, um mit seiner großen Familie standesgemäß absteigen zu können: „Richard Wagner war am Ausgange des Jahres 1875 mit seiner Familie fast zwei Monate lang zur Vorbereitung der Aufführung seiner Opern Tannhäuser und Lohengrin Gast dieses Hotels.“ Die zweite Gedenktafel am Hotel Imperial ist übrigens Rainer Maria Rilke zugedacht.

Doch wer auf wirklich wienerische Art Richard Wagners gedenken möchte, der begebe sich am besten in die Secession: Man nehme Wagners Schrift „Bericht über die Aufführung der Neunten Symphonie von Beethoven im Jahr 1846 in Dresden nebst Programm dazu“ zur Hand und betrachte Gustav Klimts Beethoven-Fries, der die wohl gewaltigste Auseinandersetzung mit Richard Wagner in der bildenden Kunst darstellt. Klimt folgte der Interpretation Wagners zur Neunten und ließ sich von ihm in der Gestaltung des Frieses regelrecht führen. Klimts Werk war Teil der 14. Ausstellung der Secession, die als Hommage an den Komponisten konzipiert war und in deren Mittelpunkt die berühmte Beethoven-Statue von Max Klinger stand. Letztlich, so meinen manche Klimt-Kenner, war die Secessionsausstellung allerdings weniger Beethoven gewidmet, sondern vielmehr aus dem Geiste Wagners geboren.

Ein Gesamtkunstwerk hatten die Secessionisten mit dieser Ausstellung in der Tat geschaffen. Unter den Künstlern, deren Werke 1902 in der Secession gezeigt wurden, befand sich übrigens auch Alfred Roller, der nur wenige Jahre später die kongenialen Bühnenbilder für Gustav Mahlers bahnbrechende Richard-Wagner-Inszenierungen an der Wiener Hofoper gestalten sollte. So verknüpfen sich in Klimts Fries das Klimt-Jahr 2012 und das Wagner-Jubiläumsjahr 2013 auf einzigartige Weise. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2013)

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