Andrew Roberts: "Wir wären ohne sie ein Dritte-Welt-Land"

Nach dem Tod von Margaret Thatcher hat in Großbritannien eine gnadenlose Kontroverse über die historische Bedeutung der »Iron Lady« begonnen.

Was ist das Erbe Margaret Thatchers?

Andrew Roberts: Sie hat den Kurs der Geschichte geändert. Sie hat Grundsätze durchgesetzt, die heute wichtiger sind denn je. Sie als historische Person abzuschreiben, heißt, ihre Zeitlosigkeit zu übersehen.

Und ihr wirtschaftliches Erbe?

Mit der Privatisierung hat sie bewiesen, dass Menschen mit ihrem Geld besser umzugehen verstehen als der Staat. Daher ist es besser, den Menschen die Möglichkeit zu geben, wirtschaftlichen Erfolg zu haben. Für den Staat erwächst daraus der moralische Imperativ zu niedrigen Steuern und größtmöglicher Zurückhaltung.

Wie würden Sie Thatchers Stil beschreiben?

Sie war nicht hart. Persönlich war sie außergewöhnlich nett. Im Falkland-Krieg schrieb sie jeder Familie der Opfer einen persönlichen Brief.

Welche sozialen Folgen hatte ihre Politik?

Sie hat gezeigt, was Frauen erreichen können. Sie hat eine echte Meritokratie geschaffen, wie sie es Großbritannien nie zuvor gesehen hatte. Menschen aus allen Klassen konnten nun reich werden. Sie hat damit viel Kreativität, insbesondere wirtschaftliche, freigesetzt. Natürlich hatte das seinen Preis: Die Bergarbeitergemeinschaften des Nordostens, die wirtschaftlich nicht mehr lebensfähig waren, und andere nicht mehr wettbewerbsfähige Industrien mussten geschlossen werden. Das verursachte viel Leid. Aber es war unvermeidlich.

Und welche politischen Folgen hatte ihre Politik?

Sie war gegen jede Form des Totalitarismus. Zugleich war sie pragmatisch genug, in Gorbatschow einen „man I can do business with“ zu sehen. Sie hat erkannt, dass der Versuch, die unterschiedlichen Volkswirtschaften Europas mittels Zwangsjacke in eine wirtschaftliche Ordnung zu zwingen, nicht ohne Belastungen und Probleme ablaufen kann. Es hat ein paar Jahre gedauert, das zu erkennen. Aber sie hat davor als Erste gewarnt – und am lautesten.

Was war Thatchers größte Leistung?

Ohne sie wäre Großbritannien ein Dritte-Welt-Land. Sie hat die gesamte, nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte Weltsicht auf den Kopf gestellt. Niemand hätte von uns erwartet, dass wir nach Suez eine Flotte in den Südatlantik schicken, um die Falklands zu befreien. Aber wir haben es getan, vor allem dank ihr. Sie hat Ronald Reagan wunderbar unterstützt. Und sie hat die Berliner Mauer nie als permanent akzeptiert, anders als viele Politiker ihrer Zeit.

Was war Thatchers größter Fehler?

Zu glauben, dass die deutsche Wiedervereinigung eine Friedensgefahr sein könnte.

Sie war eine polarisierende Persönlichkeit.

Polarisierung ist eine gute Sache in einer Demokratie: Wenn alle nur dasselbe sagen dürften, wäre es keine Demokratie mehr. Polarisierung ist ein bedeutungsloses Schlagwort, mit dem die Linke um sich wirft.

Wie beurteilen Sie die Partys zu Thatchers Tod?

Widerwärtiger Abschaum. Wer Freude an dem Ableben eines Menschen hat, ist verabscheuenswürdig. Das Einzige, was mich tröstet: Ihr wäre das egal gewesen.

Entspricht das heutige Großbritannien Thatchers Vorstellungen?

Ja, denn sie hat die Labour Party gezwungen, den freien Markt zu akzeptieren und ihre Träume von Sozialismus aufzugeben.

Wer ist ihr wahrer Erbe?

Ganz klar David Cameron, ein wahrhafter Anhänger des Thatcherismus. Wäre er nicht zu einer Koalitionsregierung gezwungen, könnte er heute schon beweisen, dass er der wahre Erbe Thatchers ist.

Welche Lehre kann aus ihrer Amtszeit gezogen werden?

Dass ihr Erbe nicht mit ihr stirbt, dass ihre Ideen weiterleben.

Wie wird sie in die Geschichtsbücher eingehen?

Als größter britischer Premier des 20. Jahrhunderts zu Friedenszeiten, als größter Premier seit Winston Churchill.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2013)

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