Barbie: Diese Puppe braucht Polizeischutz

Puppe braucht Polizeischutz
Puppe braucht Polizeischutz(c) EPA (JENS KALAENE)
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Ein Wiener Eventmanager baut ein Barbie-Haus in Berlin. Er erntet heftigen Protest gegen Sexismus und falsche Rollenbilder. Warum erwecken 30 Zentimeter Plastik so viel Leidenschaft und Hass?

Schönheit muss leiden. Wer unwirklich schön ist, leidet am meisten, ja könnte gar nicht existieren. Mediziner der Uni-Klinik Köln haben es schaurig nüchtern festgestellt: Die Modepuppe Barbie wäre in echt nicht lebensfähig. Sie hätte Atembeschwerden, einen Bandscheibenvorfall (das extreme Hohlkreuz!), Knochenschwund (das Untergewicht, der Hormonmangel!) und dazu noch höllische Schmerzen am stark verformten Fuß. Zudem könnte die Ärmste wohl keine Kinder kriegen. Solch betrübliche Befunde haben freilich viele Generationen von kleinen Mädchen nicht davon abgehalten, das Plastikteil ihrer Träume abgöttisch zu lieben. Eine Liebe, die durch keinen Magen geht – weil hinter einem so flachen Bauch gar kein richtiger Platz für innere Organe bleibt.

Doch was soll's: Die einst kleine Spielwarenfirma Mattel wurde durch die Ikone der Kinderzimmer zum globalen Marktführer. Barbie hat in unseren Breiten einen Bekanntheitsgrad von 100 Prozent, buchstäblich jedem ist sie vertraut. Kein Spielzeug der Welt hat sich als so nachhaltiger Erfolg erwiesen wie das kesse Girl mit den überlangen Beinen. Christoph Rahofer bohrt diese Goldgrube von außen an. Der Wiener Eventmanager schlug Mattel eine Kooperation vor: Seine Firma EMS Entertainment baut das Puppenhaus, in dem Barbie residiert, in Lebensgröße und Zeltbauweise nach. Dann lockt er hunderttausende kleine Mädchen zu zwölf Euro pro Lockenkopf in seine rosafarbene Erlebniswelt, wo sie für ein paar Stunden das Leben ihres fiktiven Idols nachspielen können. Dafür kassiert der US-Konzern Lizenzgebühren.

Luxusvilla im Niemandsland. Ein toller Plan. Nur mit dem Standort konnte sich der routinierte Organisator von Wanderausstellungen nicht ganz durchsetzen. „Ich hätte das gern zu Hause in Wien gemacht“, sagt Rahofer, der hier schon 2003 mit einer traditionellen Barbie-Ausstellung erfolgreich war. Zu beiden Events haben ihn seine Töchter mit ihrer Leidenschaft inspiriert. Mattel aber bestand auf Berlin als ersten Standort, weil man sich dort mehr Besucher erhofft. Vielleicht dachte man auch schon an publicityträchtige Reibeflächen mit der linken, konsumkritischenBohème, die hier verlässlich die Misstöne angibt? Sollte auch dies Teil des Kalküls gewesen sein: Es ist prächtig aufgegangen.

Auf einer Brachfläche hinter dem Alexanderplatz, umstellt vom bombastischen Einkaufszentrum Alexa und trostlosen Plattenbauten, entsteht nun das „Barbie Dreamhouse“,eine neureiche und geschmacksarme Luxusvilla in Pink. Auf einem riesigen, mit Paillettenglanz überzogenen Plakat ruft die Herrin des Hauses Passanten zu: „Besuch mich!“ Das werden sie in Scharen tun: gerührte Mütter, genervte Väter, vor allem aber Unmengen von Mädchen zwischen vier und zwölf.

Bis 25. August wird das Haus „nie da gewesene Einblicke“ in Barbies Lebenswelt bieten. Die Kinder sollen aber nicht nur staunen, sondern mitmachen. Beim Cupcake-Backen, bei der Fotostation, der virtuellen Kleideranprobe, im Schönheitssalon und auf dem Laufsteg darf sich jedes Mädchen wie der Star dieser Erlebniswelt fühlen. Rahofer erwartet bis zu 10.000 Besucher pro Woche.

Zur Eröffnung am 16. Mai haben sich aber auch ungebetene Gäste angemeldet. Die Facebook-Initiative „Occupy Barbie Dreamhouse“ macht seit Wochen gegen die geschäftstüchtige Glorifizierung der Puppe mobil. Den Widerstand angezettelt hat die Parteijugend der Linkspartei im studentisch brodelnden Doppelbezirk Kreuzkölln. Sie wollen verhindern, dass Mädchen im Volksschulalter sexistischer Propaganda ausgesetzt werden. Sie beklagen frauenfeindliche Klischees, die Menschen weiblichen Geschlechts auf einen schönen Körper reduzieren.

Kein Mütterchen am Herd. „Diese Küche, diese verkleideten Puppen: Sehen Sie denn nicht, dass Sie hier ein ganz falsches Rollenbild vermitteln?“, fragt Michael Koschitzki so freundlich wie fassungslos. Der adrette Bursche, Sprecher der Initiative, hat sich zu einem Baustellenrundgang für einige Journalisten geschmuggelt. Besonders ärgert ihn, dass ganze Klassen mit Gruppenrabatten geködert und den Schülerinnen die verlogene Welt „aufgezwungen“ wird. Seine Truppe plant eine Demonstration, gleich am ersten Tag.

„Sie wollen doch nicht die Kinder verschrecken?“, fragt ihn Rahofer besorgt. Nein, es soll alles friedlich ablaufen. Aber die Berliner Exekutive bietet schon Unterstützung an. Barbie wird wohl Polizeischutz brauchen.

Stephanie Wegener von Mattel Deutschland springt für ihre lukrative Ikone ideologisch in die Bresche: „Barbie hat schon immer eine Vorreiterrolle gespielt.“ Tatsächlich kann man Barbara Millicent Roberts, wie sie mit vollem Namen heißt, nicht vorwerfen, das konservative Klischee eines Mütterchens am Herd zu erfüllen. Eher schon, dass sie wie eine narzisstische Karrierefrau agiert.

Ihren Ken hat sie nie geheiratet. Im letzten Jahrzehnt machte sie mit dem treuen Begleiter Schluss und startete eine Affäre mit einem australischen Surfer. Erst als Ken auf Werbeplakaten poetisch flehte („We may be plastic, but our love is real“), konnte er Barbies Herz erweichen. An Kinderkriegen denkt sie nicht. Umso wichtiger ist ihr der berufliche Erfolg. Sie ordiniert als Tier-, Kinder-, Zahn- und Frauenärztin, hat einen Pilotenschein und kandidierte mehrmals als US-Präsidentin. Eben erst trat sie gegen Obama an. So sieht sie aus, die Emanzipation in Pink.

Schon Ruth Handler, die Erfinderin von Barbie, konzipierte ihr Geschöpf als Alternative zu den in den Fünfzigerjahren üblichen Babypuppen, die Mädchen eine Rolle als Hausfrau und Mutter einüben sollten. Freilich war Barbie damals noch ein Mädchen aus besserem Haus, in Seide und Brokat gehüllt. Um neue Käuferschichten zu erobern, trimmten sie die Produktdesigner ab den Siebzigern auf Massengeschmack. In Jeans, Miniröcke und billige T-Shirts gezwängt, trieb sie sich fortan auf Kegelbahnen und Popkonzerten herum. Sehr demokratisch, aber auch etwas vulgär.

Den Umsatz steigern und politisch korrekt sein, das fügt sich im Marketing von Mattel wohlfeil zusammen: Barbie gibt es auch in einer Latino-, einer afroamerikanischen und einer asiatischen Version. Die blonde Hegemonie ist längst gebrochen.

Ein Kult mit Auswüchsen. Ernster zu nehmen sind wohl Bedenken, dass junge Mädchen darunter leiden, nicht so schön wie ihre Barbie zu sein. Wegener beteuert, dass die Marktforscher ihrer Firma ein solches Phänomen nicht kennen. Fest steht: Puppen, die aussehen wie du und ich, fanden bei der Zielgruppe keinen Anklang und verschwanden rasch vom Markt. Mädchen wollen die perfekte Barbie, ein Wesen fern aller Realität. Aber was war zuerst da, die Nachfrage oder die Suggestion des Angebots?

Auswüchse des Kultes sind nicht zu leugnen, etwa jene Amerikanerin, die sich 30 Mal operieren ließ, um sich ihrem Idol optisch anzunähern. Doch davon distanziert sich Wegener, wie auch von der Pro7-Aktion „Deutschlands beste Barbie“. Gelassen sieht Thomas Lüdicke die Aufregung in Berlin. Der Deutschland-Geschäftsführer von EMS freut sich ganz offen über die Barbie-Gegner. Ihre Argumente seien zwar „an den Haaren herbeigezogen“, aber „sie haben drei Wochen lang Werbung für uns gemacht. Das ist doch großartig!“ Rahofer selbst strebt schon nach neuen, rosafarbenen Horizonten.

Seine Show wird weiterziehen, durch Deutschland oder in andere europäische Hauptstädte. Nachfrage gibt es genug. In Florida entsteht ein zweites Barbie-Haus, auch Singapur ist im Gespräch. In Fleisch und Blut könnte Barbie nicht existieren, mag sein. In der seltsamen Traumwelt der Kinder aber wird sie uns wohl alle überleben. Ob wir das nun wollen oder nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2013)

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