Eine Umfrage zeigt, mit der „Iron Lady“ stünden die britischen Konservativen besser da. Am heutigen Mittwoch wird die Ex-Premierministerin beerdigt.
London. Während die letzten Vorbereitungen zu den Trauerfeiern für die verstorbene frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher am heutigen Mittwoch in London abgeschlossen sind, hat die Auseinandersetzung um ihr politisches Erbe erst begonnen. Dass ausgerechnet die letzte Labour-Regierung unter Premier Gordon Brown im Jahr 2008 Pläne für ein Staatsbegräbnis hatte ausarbeiten lassen, sorgte schon am Todestag Thatchers in der Vorwoche für Aufsehen. Diese Ehre bleibt üblicherweise dem Monarchen vorbehalten.
Es besteht kein Zweifel, dass Brown sich dieser Tatsache bewusst war. Vielmehr zielte der Versuch von Labour darauf, schon frühzeitig einen Anspruch auf das Erbe der „Iron Lady“ anzumelden. Auch in seiner Stellungnahme zu ihrem Tod erinnerte Brown sofort daran, dass er Thatcher zu ihrem alten Amtssitz eingeladen und sie dies „stets sehr genossen“ habe. Noch direkter in der Anbiederung – wen mag es verwundern? – zeigte sich Browns Vorgänger Tony Blair, der praktisch allein unter allen Nachrufern die Verstorbene mit „Margaret“ adressierte. „Sie hat mich immer massiv unterstützt als Premierminister“, sagte er und suggerierte eine Nähe, die fast einer (Selbst-?)Ernennung zum politischen Erben gleichkam.
Mag mancher auch Blairs Anbiederung peinlich finden, das Gespür des Ex-Premiers sollte man nie unterschätzen. Nach einer Umfrage des „Guardian“ von Dienstag hat der Tod Thatchers das Stimmungsbild für die britischen Großparteien zwar praktisch nicht verändert: Weiter liegt Labour klar vor den Konservativen. Das Bild ändert sich aber dramatisch, wenn die Wähler sich vorstellen, dass Thatcher die Tories führt: Die Konservativen wären dann mit 40 Prozent klar stärkste Partei und hätten Chancen auf jene absolute Mehrheit, die der heutige Premier David Cameron 2010 verfehlte.
„Entgiftung“ vom Thatcherismus
Auch Cameron – der sich trösten mag, dass seine miesen persönlichen Umfragewerte (49:39 Prozent sagen, er mache einen schlechten Job) immer noch deutlich besser sind als die Beurteilung seiner Regierung (51:31 negativ) – verschwendete nach dem Tod Thatchers keine Sekunde, ihr Erbe für sich und seine Partei zu reklamieren. Dabei begann er seine politische Karriere einst damit, die Konservativen vom Thatcherismus „zu entgiften“ und vom Stigma der „nasty party“ zu befreien. Auch dies ist ihm nur teilweise gelungen: Fast ganz Schottland und weite Teile Nordenglands, vor allem Städte wie Manchester oder Liverpool, sind für die Tories immer noch praktisch Sperrgebiete.
Noch ironischer ist es, wenn nun ausgerechnet die Konservativen (womit keineswegs nur Thatchers Partei gemeint ist) die Kämpferin gegen die erdrückende Allmacht des Staates, die Wegbereiterin der Privatisierung und die Atomisiererin der Gesellschaft zu vergemeinschaften und zu einer Art Urmutter des heutigen Großbritannien zu machen versuchen. In seiner Würdigung der verstorbenen Premierministerin vor dem Unterhaus als „große Patriotin, die stets an das Wohl unserer Nation dachte“, erhob Cameron den Anspruch auf die Universalität ihres Erbes und präsentierte sich als ihr Nachlassverwalter.
Zwischen Pietät und Abgrenzung
Dass Thatcher alles andere als universal dachte („Ist er einer von uns?“, war ihre misstrauische Standardphrase) und das Land tief spaltete, weiß auch Cameron. Aber Thatchers Kanonisierung bringt einerseits die Linke in eine Klemme zwischen pietätvollem Respekt und inhaltlicher Abgrenzung (was Blair erkannt hat) und schließt Thatcher-Gegner, -Opfer und -Kritiker von Diskurs und Partizipation aus. Wer damit jetzt die Diskussion über die Vergangenheit für sich entscheidet, gewinnt die Gestaltungshoheit über die Zukunft.
Auf einen Blick
Mit einem „official funeral“ erhält Thatcher – mit Zustimmung der Queen – das zweithöchste staatliche Begräbnis, bei dem ihr durch den Überflug von Kampfjets auch militärische Ehren zuteil werden. Erstmals seit dem Tod von Winston Churchill nehmen Queen Elizabeth und ihr Mann Prinz Philip an einem Begräbnis eines Premiers teil. Der Sarg wird vom Parlament nach St.Paul's überführt, am letzten Wegstück mit einer Pferdekutsche. Um 11Uhr beginnt die Trauerfeier in St.Paul's, an der über 2000 Gäste teilnehmen werden. Die Kosten (vorwiegend für Sicherheitsmaßnahmen) betragen mehr als zehn Millionen Pfund, von denen die Familie einen Teil tragen soll. Die Glocken von Big Ben schweigen für die Dauer der Trauerfeierlichkeiten. Nach der Trauerfeier wird Thatcher im Hof des Royal Hospital in Chelsea beigesetzt – neben ihrem vor zehn Jahren verstorbenen Mann Dennis.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2013)