Der Abgang aus dem Theater, ehe der Vorhang fällt

Bühne
Bühne(c) www.BilderBox.com (www.BilderBox.com)
  • Drucken

Kritiker müssen ausharren, das erfordert ihr Beruf. Aber das übrige Publikum hat das Recht auf Flucht.

Bühnen sind Weihestätten. Zumindest soll sich das griechische Trauerspiel einst vor 2500 Jahren aus dem Dienst an den Göttern entwickelt haben. Wie also darf sich der profane Zuseher heute verhalten, wenn er den Preis für die Eintrittskarte entrichtet und sich brav ins Parkett gesetzt hat, das Gebotene aber gar nicht gut findet? Man geht doch auch nicht bei einer Messe mitten in der Wandlung ab und lässt das Kirchentor donnernd hinter sich zufallen.

Was also macht der Theaterliebhaber, wenn King Lear dilettantisch winselnd auf der Heide herumirrt und doch noch lange kein Ende abzusehen ist? Für die Zunft der Kritiker ist klar: Tapfer wird bis zum Schluss ausgehalten und auch fleißig mitgeschrieben, während die anderen diskret flüchten dürfen. Man bleibt sitzen, bis die letzte Verbeugung erfolgt, der Schlussapplaus verklungen ist. Der Kritiker hat danach noch ausreichend Gelegenheit, seinen Unmut schriftlich zu fixieren.

Ganz anders aber ist es für die Übrigen. Sie können dem Anlass gemäß sofort handeln. Fühlen Sie sich verhöhnt? Höhnen Sie zurück, nach der Aufführung, so freigiebig, wie Sie bei einer gelungenen Aufführung jubeln. Die Zeiten aber, in denen es sogar Zwischenapplaus gab oder muntere Zurufe, sind leider vorbei. norb

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Zug
Salon

Das moralische Dilemma: Der gute Mensch im Zwiespalt

Würden Sie einen Mann vor den Zug werfen, wenn Sie fünf retten könnten? Moralische Entscheidungen sind nicht „vernünftig“. Das hat sein Gutes.
Gemüsekorb
Gourmet

Was soll, kann, darf man noch essen?

Gesund, ökologisch und moralisch zu essen ist komplizierter, als man denkt. Warum Tomaten aus Spanien mitunter besser sind als Paradeiser aus Österreich, und warum auch bio kein Wundermittel ist.
Investieren in das gute Gewissen
Mein Geld

Investieren in das gute Gewissen

Darf man unethisch investieren? Und was bringen nachhaltige Veranlagungen überhaupt? Die Rendite ist annähernd die gleiche, doch die Ökologie oft Augenauswischerei.
MOTHER THERESA FILE
Religion

Närrisch nächstenlieb? Der maßlos gute Christ

Ein Mädchen, das sein letztes Hemd verschenkt, ein Mann, der für einen anderen verhungert, und natürlich Jesus: Das Christentum hat die stärksten Vorbilder in Sachen Gutsein. Auch die karitative Wohltätigkeit hat es erfunden.
USA FORD HYBRID VEHICLE
Wien

Die Suche nach der guten Mobilität

Darf man heute noch mit dem Auto in der Stadt unterwegs sein? Natürlich – es ist nur nicht besonders schlau. Und wirtschaftlich schon gar nicht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.