Das Gute, das Bessere und das Echte

Hängematte
HängematteMichaela Bruckberger
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Im Maßhalten bestehe die Lebenskunst, sagen Philosophen seit der Antike. Einer Gesellschaft, die von Wachstum und Fortschritt bestimmt wird, fällt das nicht leicht.

Auf dem Höhepunkt der Energiekrise der Siebzigerjahre empfahl der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky, man solle doch zum Energiesparen die Nassrasur pflegen, statt Elektrogeräte zu verwenden. Der Rat klang, falls er nicht bloß zynisch gemeint war, verantwortungsvoll. Aber welche Energiebilanz zu diesem Randbereich kann ein Mensch, der auf ein gut gepflegtes Aussehen Wert legt und keinen Bart trägt, in den inzwischen vergangenen 40 Jahren vorweisen?

Der Rasierer des Vaters funktioniert noch immer (von welchem Apparat kann man das heute behaupten?). Der Sohn hingegen, der sich aus falsch verstandener Pflicht für Schaum und Klinge entschied, hat inzwischen geschätzte 2000 Einweggeräte aus Plastik verwendet – und entsprechend viel Treibgas. Das verbrauchte Zeug liegt vielleicht irgendwo vergraben oder wurde verbrannt, es ist möglicherweise ebenso belastend wie die riesige Insel aus Plastikmüll, die derzeit im Atlantik treibt. Und die Metalldosen haben wahrscheinlich dazu beigetragen, dass das Ozonloch dramatisch gewachsen ist.

Bleibt nur noch die Schuldfrage. „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“, sagen die Skeptiker. Wie soll man jedoch bei all diesen komplexen industriellen Prozessen, die unseren Konsum in Schwung halten, entscheiden können, was nicht nur für einen selbst, sondern für die Welt vorteilhaft sei? Soll man zur Entlastung der Atmosphäre ein Elektroauto kaufen, weil man das Ökosystem weniger schädigen will, um später nachgewiesen zu bekommen, dass genau dieses Verhalten zu noch mehr Energieverlust geführt hat?


Diesen Freitag stellte das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ in einem Report die Zukunft des Automobils vor: „Clean, safe and it drives itself“ wird im Titel über einer putzigen Zeichnung mit bunten Cabrios versprochen. Doch das Bild gleicht jenen aus den Sechzigerjahren, die seriös beansprucht haben, dass die Atomkraft in naher Zukunft alle unsere Probleme lösen werde. Sogar nuklear betriebene Kraftwagen waren damals vorstellbar. Innovationen aber und gar erst ihre Wirkungen sind noch weniger vorauszusehen als die Entwicklungen der Wirtschaft an sich.

Unterstellen wir dem Fortschritt einst und jetzt zumindest einen guten Vorsatz: Wäre das schon Voraussetzung genug, dass die Menschen als Nutznießer dieser wie von unsichtbarer Hand geförderten Progression gut und gerecht handeln? Es könnte doch auch sein, dass dieser unbedingte Glaube ans Wachstum, das letztlich allen nützen soll, doch auch den Egoismus produziert, der einer Mehrheit schadet. Kann man zugleich gut und wohlhabend sein?

Unweigerlich kommt man bei dieser Frage zur Verteilungsgerechtigkeit. Die christliche Position ist kompromisslos. Eher gehe ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelange, stellt ein Gleichnis Jesu in den synoptischen Evangelien fest. Auch der neue Papst hat in einer seiner ersten Reden das Lob der Armut angestimmt, seine Kirche entsprechend gemahnt, wie es einem Geistlichen geziemt, der sich Franziskus nennt.

Wem diese Verhandlung über das Gute im Menschen zu katholisch ist, für den kann jene Philosophie Orientierung sein, die gerade durch die Christen in den vergangenen 2000 Jahren in Verruf geraten ist: die Schule des Epikur, der man Exzesse angedichtet hat. Ihr Meister, der vor circa 2300 Jahren lehrte, war ein Verfechter des goldenen Mittelwegs. Er warnte vor einem Zuviel: „Armut, die bemessen ist nach dem Ziel unserer Veranlagung, ist großer Reichtum, Reichtum, der nicht begrenzt wird, ist große Armut.“ Epikur glaubte zwar nicht an ein Leben nach dem Tode, aber er strebte Seelenruhe an. Sie erreicht man durch Maßhalten. Der römische Dichter Horaz, ein Anhänger des Epikur, bezeichnete den Weg dazu als „aurea mediocritas“: goldene Mittelmäßigkeit.


Nimmt man dazu noch die Besonnenheit, die von so verschiedenen Denkern wie Konfuzius, Platon, Hume oder Franz von Sales empfohlen wird, dann findet man vielleicht das Gleichgewicht, um ein guter Mensch zu sein, also gut zu handeln. Zeitungen pflegen sehr oft die Übertreibung, nicht umsonst heißt der Titel auf Seite eins Schlagzeile. In dieser Ausgabe aber wird in vielen Beiträgen das rechte Maß gesucht, ob es sich nun um Essgewohnheiten, Ethik, Ökonomie, närrische Nächstenliebe oder andere Zwischenmenschlichkeit im Zwiespalt handelt. Widmen wir uns aber nicht nur dem Guten, sondern auch dem Glück. Seneca schrieb, „dass jeder sich umso weiter von ihm entfernt, je hastiger er zu ihm hineilt – wenn er sich im Weg geirrt hat“. Er rät deshalb zur Umschau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2013)

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