„George Soros, rätselhafter Finanzier und liberaler Philanthrop, stirbt XX-jährig“ titelte die Nachrichtenagentur Reuters irrtümlich. Soros lebt.
Wien. Donnerstag, 18. April 2013, 23.42 Uhr und 28 Sekunden: Die Nachrichtenagentur Reuters jagt den Nachruf auf den Finanzier George Soros über den Ticker. Das war wohl eine Spekulation zu viel, denn der weltbekannte Finanzjongleur Soros erfreut sich im 82. Lebensjahr bester Gesundheit und mag sich beim Erwachen Freitagfrüh wie einst Mark Twain gedacht haben: „Die Nachricht über meinen Tod ist stark übertrieben.“
Besonders schmeichelhaft ist der von Todd Eastham verfasste Nachruf auch nicht ausgefallen. „Rätselhafter Finanzier und liberaler Philanthrop stirbt im Alter von XX“ lautet der Titel. Und das „XX“ lässt sofort erkennen, dass hier ein sogenannter Vorsatz irrtümlich veröffentlicht wurde. Ist es nicht pietätlos, Nachrufe vor Ableben zu schreiben? Alle Medien, auch „Die Presse“, hat einen „Vorrat“ an Nachrufen berühmter Zeitgenossen. Wer es in diesen elitären Zirkel schafft, hat es wirklich geschafft.
Hier eine gekürzte Fassung des Reuters-Nachrufs:
„George Soros, der am XXX im Alter von XXX gestorben ist, war ein rücksichtsloser und enorm erfolgreicher Finanzier und Investor, der paradoxerweise viele Jahre lang genau gegen jenen uneingeschränkten Kapitalismus rhetorisch ins Feld zog, der ihm seine Milliarden eingetragen hatte.
Er war bekannt als ,der Mann, der die Bank of England knackte‘, dank seiner Spekulation gegen das britische Pfund 1992, die Großbritannien aus dem Europäischen Wechselkursmechanismus drängte, zu einer Abwertung des Pfunds führte und Soros mehr als eine Milliarde Dollar einbrachte.
Und sein Investmentfonds Soros Fund Management wurde häufig beschuldigt, die Asien-Krise 1997 durch Spekulationen gegen die thailändische Währung Baht und den malaysischen Ringgit ausgelöst zu haben.
Soros war Popper-Schüler
,Nachfolgend warf mir der malaysische Regierungschef Mahatir vor, die Krise verschuldet zu haben‘, schrieb Soros 1998 in seinem Buch ,The Crisis of Global Capitalism: Open Society Endangered‘, um hinzuzufügen: ,Diese Anschuldigung entbehrt jeder Grundlage.‘
,Wir haben weder während noch mehrere Monate vor der Krise irgendwelche Währungsverkäufe getätigt. Im Gegenteil, wir kauften Ringgit, um Profite aus früheren Spekulationen zu realisieren.‘
Dennoch war der Ökonom Paul Krugman einer von vielen Beobachtern, die Soros vorwarfen, die Krise ausgelöst zu haben.
Als ungarischer Jude, der zur Welt kam, als die Nazis in Deutschland Macht gewannen, überlebte Soros den Zweiten Weltkrieg und emigrierte dann nach Großbritannien, wo er 1952 an der London School of Economics graduierte und seinen ersten Job in der Finanzwirtschaft vorwiegend durch eine extragroße Portion Chuzpe bekam. An der London School of Economics studierte Soros bei dem Ökonomen und Philosophen Karl Popper. Dessen Lehre verdanke er seinen späteren Erfolg, sagte Soros später. Soros beobachtete, dass bei rapidem Steigen oder Fallen der Märkte typischerweise das Ungleichgewicht zunimmt und der unvoreingenommene Investor aus dieser Erkenntnis Kapital schlagen kann.
Obwohl Soros enorm von diesem Verständnis profitiert hatte (,Forbes‘ bezifferte sein Vermögen 2013 mit 19 Mrd. Dollar, womit er Rang 30 auf der Weltrangliste der reichsten Menschen einnahm), plädierte er für eine staatliche Kontrolle als Korrektiv und Gegengewicht zu den Auswüchsen an Gier und Angst des freien Marktes.“
Vier Minuten dauerte es, bis Reuters den Fehler erkannte und die Meldung mit dem Hinweis „Please ignore this story“ aus dem System nahm. Darf man so eine Meldung ignorieren?
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2013)