Was soll, kann, darf man noch essen?

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Gesund, ökologisch und moralisch zu essen ist komplizierter, als man denkt. Warum Tomaten aus Spanien mitunter besser sind als Paradeiser aus Österreich, und warum auch bio kein Wundermittel ist.

Wien. Fleisch aus Massentierhaltung ist tabu. Maximal das glückliche Bioschaf vom Nachbarsbauern ist noch gestattet. Wer auf Nummer sicher gehen will, verzichtet lieber gänzlich darauf, Tiere, Milch und Käse zu essen. Und wer schon im Schwung ist, kann sich von Zucker und Kaffee auch gleich verabschieden. Das Biogemüse aus der Region sollte doch zu einem guten Leben mit reinem Gewissen reichen. Oder?

Wer sich gleichzeitig gesund, ökologisch und ethisch korrekt ernähren will, hat es nicht leicht. Zwar werden die Bioecken in den Supermärkten immer größer. Im gleichen Ausmaß steigt aber auch die Zahl derer, die mit missionarischem Eifer gute Ratschlägen und Ernährungstipps verbreiten: „Noch immer nicht Rohkostveganer? Sie müssen wohl der Feind ihres Körpers sein. Von der Umwelt rede ich gar nicht.“ Aber nicht alle Faustregeln, die im Umlauf sind, stimmen auch. Tomaten aus Spanien schaden der Umwelt mitunter weniger als Paradeiser aus Österreich. Biogurken sind auch nicht gesünder als anderes Gemüse. Und selbst das glücklichste Rind sorgt, zum Schnitzel verarbeitet, für ein mittleres Umweltdesaster. Eine kleine Fibel für moralische Esser.

• Fleisch: Lassen wir die ethische Grundsatzfrage, ob (und wie) man Tiere für seine Ernährung töten möchte, einmal beiseite. Rein aus der Sicht der Umwelt ist Fleisch aber mit Sicherheit nicht die beste Wahl. Messbar machen kann man das mit dem ökologischen Fußabdruck. Das ist die Fläche, die notwendig ist, um ein bestimmtes Lebensmittel herzustellen. Darin enthalten ist nicht nur die Fläche für den Anbau der Futtermittel, sondern auch der Raum, den die Natur braucht, um Treibhausgase, Pestizide und Düngemittel, die während der Produktion angefallen sind, zu verkraften.

Bei einem Kilogramm Rindfleisch aus konventioneller Haltung liegt der ökologische Fußabdruck bei 466 Quadratmetern, errechnete der Grazer Verfahrenstechniker Michael Narodoslawsky. Haupttreiber ist der hohe Energieeinsatz für die Produktion des Düngers für das Kraftfutter der Tiere. Das gleiche Stück Fleisch aus Biohaltung hätte dank des Verzichts auf Dünger einen ökologischen Fußabdruck von nur 190 Quadratmetern. Aber auch Biofleisch ist letztlich ein höchst ineffizientes Nahrungsmittel. Aus 7000 Kilokalorien Getreide werden nur 1000 Kilokalorien Fleisch.

Heuschrecke statt Hüftsteak

Folgt man den Empfehlungen der Welternährungsorganisation FAO, ist Fleisch ohnedies tabu. Stattdessen soll die Menschheit zu Insekten greifen, empfiehlt die Organisation in ihrem Bericht „Humans Bite Back“. Weltweit gibt es über 1400 essbare Insektenarten. Sie sind nicht nur gute und genügsame Eiweißlieferanten, sondern auch reich an Vitaminen, Mineralien und ungesättigten Fettsäuren.

• Obst und Gemüse: Wer sich angesichts dieser Aussichten endgültig in den sicheren Hafen der Fleischverweigerer flüchten will, sei gewarnt. Auch wenn man bei der nächsten Grillfeier nur noch Melanzani und Bananen serviert, manch quälende Frage verschwindet einfach nicht: Welches Grünzeug „soll“ denn im Einkaufskorb landen? Lieber die faire Banane aus Ecuador als den Bioapfel aus Polen? Oder reicht der Grundsatz: Hauptsache aus Österreich?

Zumindest mit einem Vorurteil will Narodoslawsky aufräumen: „Der Faktor Transport wird weit überschätzt“, sagt der TU-Wissenschaftler. Solange das Gemüse nicht eingeflogen wird, entscheidet der Transportweg im schlimmsten Fall über zehn Prozent des ökologischen Fußabdrucks. Wer also außerhalb der Saison Paradeiser aus Österreich kauft und die Tomaten aus Spanien links liegen lässt, erweist der Umwelt damit einen Bärendienst. Denn die Energie, die man einsetzen muss, um das Gewächshaus in Österreich zu betreiben, wiegt deutlich schwerer, als wenn sonnengereifte Tomaten aus Spanien ein paar tausend Kilometer mit dem Lastwagen durch Europa gekarrt werden. Bei saisonalem Gemüse ist das freilich anders. Wachsen Gurken und Rüben auf heimischen Feldern, ist ihnen aus ökologischer Sicht der Vorzug zu geben.

Bio ist ökologischer, aber nicht gesünder

Bleibt immer noch die Frage, ob Brokkoli und Birnen auch bio sein müssen. Wer sich vor allem gesund ernähren will, muss darauf nicht unbedingt Rücksicht nehmen. Nach einer Studie der US-Universität Stanford sind biologisch produzierte Nahrungsmittel praktisch nicht gesünder als konventionelle. Und auch auf moralischer Ebene kann man sich mit Bioprodukten nicht unbedingt in Sicherheit wiegen. Krumme Gurken finden ihren Weg ins Supermarktregal nicht. Egal, ob sie biologisch angebaut wurden oder nicht. Aus ökologischer Sicht sind Obst und Gemüse aus biologischem Anbau – wegen des Verzichts auf Dünger und Pflanzenschutzmittel – deutlich unbedenklicher als konventionelle Produkte. Zum Vergleich: Der Fußabdruck eines Apfels aus konventioneller Erzeugung ist fünfmal höher als der eines Bioapfels.

Ganz einfach ist es mit der guten Ernährung also nicht. Mit der Faustregel: saisonal, regional, aber bitte nicht geschmacksneutral, kommt man aber ganz gut hin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2013)

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