Der Schöpfungsprozess im Labor

Denise Schellmann erschuf Substanzen, die gegen Haut- und Darmkrebs wirken. Vorbild waren Moleküle aus der Natur. Die Wirkstoffe greifen keine gesunden Zellen an.

„Das tollste Gefühl ist es, wenn man die fertige Substanz in den Händen hält – also das Kristall unter dem Mikroskop betrachtet“, schwärmt Denise Schellmann. Sie hat in ihrer Dissertation (Uni Wien, Arzneistoffentwicklung und -analytik, Betreuer: Thomas Erker) neue Substanzen kreiert, die gegen Hautkrebs wirken sollen. Das Vorbild dafür waren Moleküle aus der südafrikanischen Buschweide, die eine besonders gute Wirksamkeit gegen Krebszellen aller Art haben. „Doch diese natürlichen Stoffe sind im Körper nicht stabil, können daher nicht als Arznei eingesetzt werden“, sagt Schellmann.

Ihr Job war es nun, mit Papier und Bleistift, mit starker Kopfarbeit und Intuition Moleküle zu erfinden, die die gleiche Wirksamkeit besitzen, aber im Körper so stabil sind, dass man sie in der Tumortherapie einsetzen kann. „Das Problem ist auch, dass Hautkrebs bzw. seine Metastasen gegen viele der heute verwendeten Chemotherapie-Substanzen resistent werden. Daher braucht man neue Wirkstoffe, gegen die sich keine Resistenzen bilden, und die trotzdem Tumor- und Metastasenzellen zerstören“, erläutert die Pharmazeutin. Viele der bisherigen „Zytostatika“ greifen zwar den ursprünglichen Hautkrebs an, scheitern aber an den komplexeren Metastasen.

Schellmann beschreibt die Arbeit des Substanzdesigns als steinig: „Die Theorie, also die Idee auf dem Papier, lässt sich nie 100-prozentig in die Praxis umsetzen: Die Natur ist doch stärker als der Chemiker.“ Doch nach langer Arbeit zeigten von den 50 kreierten Substanzen sechs eine starke Wirkung gegen Zellen von Hautkrebs- und Darmkrebsmetastasen. Schellmanns Versuche liefen noch im Labor in kleinen Versuchsschälchen ab, nun kümmern sich kooperierende Pharmafirmen um die weitere Entwicklung der Arzneien. „Diese Substanzen greifen nur die Krebszellen und keine gesunden Zellen an“, berichtet Schellmann.

Sie hat inzwischen ihre Pharmazieausbildung abgeschlossen und arbeitet in verschiedenen Apotheken als „Springerin“. „Damit finanziere ich mir das, was mir am meisten Freude macht: die Kunst!“ Schellmann geht ganz auf in der Malerei. Und sie vergleicht die Entwicklung einer chemischen Substanz mit dem Zeichnen eines Bildes: „Der Schöpfungsprozess fasziniert mich. In beiden Fällen kann man etwas schaffen, was bis dahin auf der ganzen Welt noch nicht existiert hat.“ Hans Krist

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2013)

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