Die Bankrotterklärung der politischen Elite Italiens

Bankrotterklaerung politischen Elite Italiens
Bankrotterklaerung politischen Elite Italiens(c) EPA (ANGELO CARCONI)
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Mit der Wiederwahl des 87-jährigen Präsidenten haben die Parteien endgültig ihre Handlungsunfähigkeit bewiesen. Beppe Grillo kann das nur recht sein.

Sechs Wahlgänge, zwei verschlissene Kandidaten, die Zerbröselung der bisher stimmenstärksten Partei des Landes – um dann genau an den Punkt zurückzukehren, von dem man gestartet ist. Weil sich die Parteien auf keinen Kandidaten einigen konnten, haben sie in einem Verzweiflungsakt Giorgio Napolitano gebeten zu bleiben. Wer gedacht hat, dass zwei Monate nach der Parlamentswahl das Chaos in Italien nicht zu überbieten ist, wurde in den vergangenen Tagen eines Besseren belehrt. Ein nahezu 88-Jähriger, der eigentlich in den wohlverdienten Ruhestand treten wollte, muss nun aus dem folgenden Trümmerhaufen eine Regierung basteln: Die stimmenstärkste Partei, die Linksdemokraten, ist handlungsunfähig. Sie steht kurz vor der Auflösung, nachdem sie ihre Führungsriege politisch hingerichtet hat. Beppe Grillo, der Showman, brüllt „Staatsstreich“ und mobilisiert die Massen. Er hat das größte Interesse an einer Destabilisierung: Nährboden seiner Bewegung ist der Frust in der Bevölkerung. Handelsmann Silvio Berlusconi weiß indes, dass er einen hohen Preis für seine Mitarbeit verlangen kann. Seine Partei befindet sich dank der Selbstzerfleischung der Linken im Umfragehoch. Neuwahlen fürchtet er nicht.


Die Präsidentenwahl war die endgültige politische Bankrotterklärung der Elite. Die letzten Tage haben bewiesen, dass das Parteiensystem schlicht und einfach nicht mehr funktioniert: Wenn die Volksvertreter nicht einmal die relativ einfache Aufgabe bewältigen können, sich auf einen Präsidenten zu einigen, wie sollen sie dann einen Weg aus der schlimmsten Rezession seit 1929 finden? Wie sollen sie die stetig steigende Arbeitslosigkeit bekämpfen und den auf Rekordniveau angewachsenen Schuldenberg abbauen?

Und immer mehr drängt sich die Frage auf, ob eine Reform Italiens tatsächlich das Ziel der politischen Akteure ist: Bei der entwürdigenden Feilscherei um das Präsidentenamt ging es nicht um Staatsinteressen, sondern um kleinkarierte Machtspielchen. Genau dieses egozentrische Schrebergartendenken ist die Wurzel der italienischen Krankheit. Das durch den schwächelnden – und mittlerweile in Agonie liegenden – Staat entstandene Vakuum wurde in Italien schon immer von der „Familie“ (auch im weiteren Sinn) gefüllt: vom politischen Klientelismus. Parteien und politische Ämter dienen als Vehikel zur Karriere – und/oder Selbstbereicherung – für den Patron und seinen Clan. Dieses System dominiert auch weite Teile der Wirtschaft und der Forschung: „Beziehungen“ sind Grundlage, um weiterzukommen.

Lange hat das funktioniert. Nun aber fordern Misswirtschaft und Korruption ihren Preis. Die Schlagzeilen der Wirtschaftszeitungen lesen sich wie Todesanzeigen für ein Land, das es im letzten halben Jahrhundert dank der Kreativität, Flexibilität und des Unternehmergeistes seiner Einwohner geschafft hat, aus „made in Italy“ ein globales Topqualitätsmerkmal zu machen. Doch ausufernde Bürokratie und veraltete, ineffiziente Strukturen ersticken diese Energien: Italien ist international nicht mehr wettbewerbsfähig. Junge, ehrgeizige Italiener verlassen in Scharen ihre Heimat, die ihnen nichts mehr zu bieten hat.


Dieses marode „System Italia“ widert immer mehr Italiener an. Viele haben der Freunderlwirtschaft den Krieg erklärt, indem sie im Februar ihre Stimme Beppe Grillo gegeben haben. Doch der Exkomiker hat inzwischen bewiesen, dass er nicht der Ausweg aus der Krise ist – sondern ein Hauptbestandteil davon. Durch seine trotzige Fundamentalopposition brachte der Showman seine Verachtung für die repräsentative Demokratie klar zum Ausdruck. Grillo, der selbst ernannte Vertreter des Volkes, hat nicht die geringste Absicht, auf das Volk zu hören.

Mit der Wiederwahl Napolitanos hat sich das politische Italien wieder einmal etwas mehr Zeit herausverhandelt. Ebenso wird es mit der Kompromissregierung sein, die der Präsident vermutlich bald auf die Beine stellt. Doch diese Zeit hat Italien nicht mehr: Mit jedem Tag, der ohne substanzielle Reformen vergeht, wird das Land noch müder, noch verzweifelter, noch wütender. Demagogen à la Beppe Grillo kann das nur recht sein.

E-Mails an: susanna.bastaroli@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2013)

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