Die gut versteckte Revolution im Einzelhandel

versteckte Revolution Einzelhandel
versteckte Revolution Einzelhandel(c) REUTERS (� Denis Balibouse / Reuters)
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Auf den ersten Blick wirkt der Online-Umsatz noch gering. Ohne Lebensmittel sieht die Lage des stationären Handels aber weit bedrohlicher aus.

Im deutsche Einzelhandel vollzieht sich gerade eine Revolution, die ganz ähnlich auch in Österreich stattfindet: Immer mehr Menschen kaufen nicht mehr in Geschäften ein, sondern erledigen das via Internet. Der Online-Anteil am deutschen Einzelhandelsumsatz liegt derzeit bei knapp sieben Prozent. Bis 2020 soll er sich mehr als verdoppeln. Dies prophezeit Gerrit Heinemann, E-Commerce-Experte an der deutschen Hochschule Niederrhein.

Die Schärfe der Entwicklung wird noch deutlicher, wenn man den Lebensmittel-Bereich herausrechnet, der im Internet-Shopping gegenwärtig noch eine sehr geringe Rolle spielt. Dann reduziert sich der 420 Milliarden Euro schwere deutsche Einzelhandelsmarkt auf 213 Milliarden für das sogenannte Non-Food-Segment. Davon werden bereits 26,4 Milliarden über Online-Kanäle umgesetzt, was einem Anteil von bereits über zwölf Prozent entspricht - also deutlich höher als unter Einbeziehung des Lebensmittelhandels. Bis zum Jahr 2020 soll dieser Anteil auf ein knappes Drittel ansteigen, ist Heinemann nach seinen Berechnungen im Gespräch mit DiePresse.com überzeugt.

17 Prozent Umsatzverlust prognostiziert

In absoluten Zahlen sieht der deutsche Experte den Umsatz im stationären Einzelhandel exklusive Lebensmittel bis 2020 von 186,6 Milliarden auf 165,5 Milliarden Euro schrumpfen. „Da fehlen den stationären Händlern fast 17 Prozent Umsatz auf der Verkaufsfläche. Und jeder Händler weiß, wenn ihm zehn Prozent Umsatz fehlen, dann kann er den Laden zudrehen, denn durch den hohen Anteil der Fixkosten kriegt er das nicht mehr hin", sieht Heinemann schwere Zeiten für die stationären Händler anbrechen.

Heinemann sieht im Einzelhandel ein Flächensterben vorprogrammiert. „Anders ist es rechnerisch und betriebswirtschaftlich nicht darstellbar. Viele stationären Händler werden nur mehr existieren können, wenn die Miete radikal reduziert und Personal abgebaut wird. Es gibt kaum andere Stellhebel. Es gibt vielleicht noch die Möglichkeit in schlechteren Lagen mit geringerer Miete und ohne Personal einen Showroom einzurichten. Ein solcher macht aber nur Sinn, wenn ich einen Online-Shop habe, den viele stationäre Händler noch nicht haben", malt der deutsche Experte ein dunkles Szenario.

Die Veränderung wird vor allem die deutschen Klein- und Mittelstädte treffen, große Einkaufszentren werden nach wie vor wegen des Zuzugs in die Großstädte stabil bleiben. Kleinere und mittlere Zentren in Deutschland haben bereits Leerstandsquoten von durchschnittlich 20 Prozent. Auf Österreich gemünzt, könnte das heißen, dass alle Regionen außerhalb der einzigen Großstadt Wien mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben werden.

Kunden kommen gezielt

Begleitet wird der Online-Boom von einem Rückgang der Besuchs- und Frequenzzahlen in den Einkaufsstraßen, das Weihnachtsgeschäft im vergangenen Jahr hat dies gezeigt. Heinemann begründet diese Entwicklung damit, dass die Kunden viel gezielter in die Geschäfte kommen, weil sie schon den Kauf im Internet vorbereitet haben. Früher mussten die Menschen in die Stadt um den gewünschten Artikel zu suchen, heute findet man das Produkt im Internet. Diese Ansicht wird auch vom Salzburger Berater Helmut Ritter, der für den österreichischen Handelsverband eine Studie über die "Digitale (R)Evolution im Handel" erstellt hat, vertreten. Der Experte für Distanzhandel führt die Geschwindigkeit und Leichtigkeit der Informationsbeschaffung als Gründe an. Der „ROPO"-Effekt - Research Online, Purchase Offline- führt die Menschen ganz gezielt in Geschäfte.

Auch wenn Heinemann auf den deutschen Markt spezialisiert ist, hält er eine ähnliche Entwicklung für Österreich als durchaus realistisch. Auch Wolfgang Richter von RegioPlan kann sich für Österreich einen Umsatzanteil bis 2020 von bis zu 30 Prozent gut vorstellen. „Die Unterschiede in den Einzelhandelslandschaften zwischen Österreich und Deutschland sind marginal", sagt der RegioPlan-Chef. „Die Anteile zwischen den Branchen sind aber höchst unterschiedlich. Während in der Buchbranche heute schon etwa 25 Prozent vom Umsatz online gemacht werden, hält die Elektronikbranche bei 20 Prozent, Baumärkte und der Möbelhandel liegen bei zu vernachlässigenden 0,3 bis 0,5 Prozent", macht Richter aufmerksam.

Preistransparenz als Herausforderung

Für Handelsobfrau Bettina Lorentschitsch gibt es zwar keine gesicherten Daten, auch die Zuordnung von Umsätzen zu den beiden Segmenten stationär und online schwierig und von großen Unschärfen getragen. „Aber a la longue wird es auch in Österreich Richtung 25 Prozent gehen", rechnet Kammer-Chefin ebenfalls mit größeren Veränderungen. Stephan Mayer-Heinisch vom Handelsverband kann sich diese rapide Marktveränderung ebenfalls gut vorstellen. Die Händler müssen besser heute als morgen beginnen ihr traditionelles Denken in Öffnungszeiten, Präsentationen und lokalen Mitbewerb von nebenan verändern. „Denn die wirklichen Treiber der Entwicklung, die Technologie und die Kosten lassen sich nicht aufhalten", fügt der Präsident des Handelsverbandes an.

Was sind weitere Folgen dieser Entwicklung? Neben der bereits angesprochenen Flächenproblematik wird die enorm gestiegene Preistransparenz in einem wesentlich erweiterten Konkurrenzumfeld eine große Herausforderung für die Händler darstellen. „Der Kunde heute hat schon eine sehr gute Preisvorstellung, wenn er in das Geschäft kommt", spricht Helmut Ritter eine wichtige Veränderung an. Auch bekomme man im Internet sehr schnell die Informationen über Mitbewerberpreise, im Gegensatz zu vor 20, 30 Jahren, als der Geschäftsbesuch noch unumgänglich war. Es sei mittlerweile den Kunden auch nicht mehr vermittelbar, unterschiedliche Preise zwischen online und stationär zu verlangen. „Denn dann würde der Kunde explodieren", fügt Ritter hinzu.

Online ist keine Einbahnstraße

Zudem hat sich auch das Feld potentieller Mitbewerber wesentlich vergrößert. Online-Shopping macht nicht an der Grenze halt. Die Österreicher haben 2010 Online-Käufe mit einem Volumen von 4,5 Milliarden Euro getätigt. Davon sind fast 60 Prozent des Umsatzes zu den großen Internet-Shops im Ausland abgeflossen. Andererseits ist Online-Handel keine Einbahnstraße und bietet so den nationalen Händlern große Expansionsmöglichkeiten. Denn Wachstum kommt zumeist durch eine Markterweiterung zustande und nicht so häufig durch eine Kanalerweiterung in einem bereits bestehenden Markt. Dass die Ausdehnung der Online-Geschäfte auf ein weiteres Land mehr bringe als in einem bestehenden Markt wie Österreich neben dem stationären Handel noch einen Online-Shop zu eröffnen, führt Klaus Müller, Industry Head von Google Austria, auf die Kannibalisierung von online und stationär zurück.

Mulitchanneling als Lösungsansatz

Um sich vom Druck des Internethandels zu lösen, wird den Händlern von Experten und Beratern kein „entweder/oder" empfohlen, sondern die Riesenchance auf den Zug des Multichanneling aufzuspringen. Dabei geht es nicht darum, wie häufig irrtümlich verstanden, parallel zum stationären Handel mit einem Online-Vertriebskanal nur zusätzliche Umsätze zu machen, sondern um eine optimale Verknüpfung der einzelnen Absatzkanäle. Der User, auch Konsument genannt, soll in jeder Phase des Kaufprozesses die Möglichkeit haben, den Kanal zu wechseln. „Click & collect" gibt dafür ein gutes Beispiel. Der Kunde bestellt online, holt sich aber die Ware selbst im Geschäft ab. Oder der Käufer hat die Möglichkeit einen Online-Erwerb im Geschäft zurückzugeben. Konzepte wie dayli, die online ein viel größeres Sortiment als im Geschäft vor Ort haben, können in Zukunft zum Unternehmenserfolg wesentlich beitragen. Der Kunde kann dort online bestellen und der Kauf wird dann nach Hause zugestellt.

Für die Einzelhändler gehe es jetzt darum, professionell und schnell auf den Zug des Multichanneling auf zu springen und dort dem Kunden im Prozess von der Produktinformation bis zur Bezahlung die jeweils für ihn jeweils optimale Wahlmöglichkeit zu geben, bringt es Müller von Google auf den Punkt.

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