Frauen sind das Zentrum der Wagner-Opern. Auch in seinem Leben war der Komponist abhängig von ihnen wie ein Drogensüchtiger. Über Wagners Frauenfantasien und die Sehnsucht nach grenzenloser Liebe.
Kind, dieser ,Tristan‘ wird was Furchtbares! Dieser letzte Akt!!! ––––––– Ich fürchte, die Oper wird verboten ...“ So schrieb Richard Wagner während des Komponierens auf einen Zettel. Adressatin war Mathilde Wesendonck, Schriftstellerin, verheiratet, vom Komponisten heiß geliebt, aber – trotz Gegenseitigkeit der Gefühle – vergeblich begehrt. Die Beziehung blieb platonisch und endete, als Mathildes Mann einen Brief Wagners abfing.
Was war wohl so „furchtbar“ am letzten Akt mit seinem berühmten Ende, Isoldes Liebestod, dass Wagner meinte, die Leute müssten bei guten Aufführungen „verrückt“ werden? Tristan und Isolde lieben sich so radikal in den Tod wie kein anderes Paar der Kulturgeschichte, anarchistisch, weltverhöhnend – aber auch schrankenlos sinnlich. Wenn diese Raserei im Juni wieder in der Staatsoper ertönt, wird es schwül im Haus. Da „erbeben“ die Sinne „wonnig“, da „jagt“ das Blut, da erlebt Tristan „Lust ohne Maßen, freudiges Rasen“, die „süße, kühnste, seligste Lust“. Und die Musik mit ihrem maßlosen Immerweiter und Immermehr sagt noch viel mehrals tausend Wagner-Worte.
Ein musikalischer Orgasmus? Ist Isoldes Liebestod am Ende – auch und neben so vielem sonst – eine Art musikalischer Orgasmus? Gott sei Dank für das bürgerliche Publikum der damaligen Zeit liegt Tristan schon tot auf der Bühne, wenn Isolde ihr „Aus ihm tönend, in mich dringend ... in dem wogenden Schwall ... – ertrinken, versinken – unbewusst – höchste Lust“ singt. Nur in ihrer Fantasie ist Isolde mit ihm vereint, wenn sie sich in den Tod singt. Trotzdem waren viele Zeitgenossen abgestoßen von dem „Schwülen“, dieser „gewundenen Zuckerstange der Begierde“. Wagners erste Ehefrau Minna fand den Text „abscheulich, fast unanständig liebesglühend“. Weil sie wusste, dass Wagners Liebe für eine andere glühte, Mathilde von Wesendonck? An sie schrieb Wagner später: „Dass ich den Tristan geschrieben, danke ich Ihnen in alle Ewigkeit.“
Frauen, Frauen, Frauen. Sie sind das A und O nicht nur in Wagners Leben, sondern auch in seinem Musiktheaterkosmos. Ihre Charaktere und ihre mythische Aura faszinieren mehr als die der Männer. Da ist etwa die brave Tochter Senta im „Fliegenden Holländer“, die plötzlich ihrem Vater Paroli bietet und sich scheinbar völlig verrückt für einen Fremden opfert. Da sind die „Hojotoho“ rufenden Walküren, allen voran die bärenstarke Brünnhilde, die für Siegfried auf ihre Göttlichkeit verzichtet und sich später aus Rache an einem Mordkomplott gegen ihn beteiligt. Da ist die von Anfang an wilde „irische Maid“ Isolde, die Tristan dazu bringt, den Liebestrank zu trinken, und auch am Ende das letzte Wort hat. Und natürlich die Rätselhafteste von allen, Kundry, die „Höllenrose“, die einmal abgrundtief hässlich, einmal unwiderstehlich schön ist, hündisch den Gralsrittern dient und dann wieder Parsifal ins Verderben locken will.
Wie sie alle untereinander verwandt sind, Wagners „echte“ und seine Opernfrauen, darüber kann man herrlich und auch unseriös spekulieren – aber auch nicht viel unseriöser, als es Wagner selbst machte. In seinen Briefen wird aus seiner Ehefrau Minna einmal eine Senta, einmal Wotans keifende Ehefrau Fricka, aus Cosima wird einmal Isolde und dann wieder das Evchen aus den „Meistersingern“ ...
Wagner war ein sinnlicher Frauenfreund, aber unter seinen Affären und Beziehungen stechen drei hervor: die erste Ehefrau Minna, geborene Planer, die sinnlich für ihn unerreichbare Mathilde Wesendonck und seine zweiteFrau Cosima, Tochter von Franz Liszt und mit ihrer bedingungslosen Bewunderung eine Idealfrau für den 24 Jahre älteren Wagner. Noch nach seinem Tod wachte sie wie eine „Gralshüterin“ über sein Werk.
Ganz anders die Ehe, die der 23-Jährige mit der hübschen Schauspielerin Minna Planer eingegangen war: eine jahrzehntelang dauernde „furchtbare Öde“ (so Wagner), voller Tristesse und Zwist. Minna, die nicht nur unter Wagners Untreue, sondern auch seinen Geldnöten litt und sich eine bürgerliche Existenz wünschte, brachte irgendwann ihrem Papagei bei, „Wagner ist ein böser Mann“ zu krächzen. Sie war auf keinen Fall das, was Wagner maßlos anspruchsvoll von Anfang an ersehnte: die bedingungslos liebende und an ihn glaubende, alles für ihn gebende Frau und Partnerin.
Droge Frau. Von der Existenz einer solchen Frau war Wagner ein Leben lang abhängig wie ein Drogensüchtiger, er brauchte sie auch zum Komponieren. Noch kurz vor seinem Tod notiert er: „Um ein Gefühl von sich selbst zu haben, muss ein Mann geliebt werden können.“ Kein Wunder, dass in seinen Opern dauernd Männer von Frauen erlöst werden. Immer müsse hier irgendeiner erlöst werden, fiel schon Nietzsche auf; und die Erlösten sind praktisch immer Männer.
Bereits in seiner nach „Rienzi“ zweiten „großen“ Oper, dem „Fliegenden Holländer“, komponiert Wagner als Erstes die Ballade der Senta, sie ist für ihn die wichtigste Figur, tut sie ja auch, was Wagner am allerwichtigsten ist: Sie erlöst den ruhelos umherirrenden Mann, der nur erlöst werden kann „durch – ein Weib, das sich aus Liebe ihm opfert“. Der „Holländer“ ist aber nur der Anfang einer ganzen Erlösungsordination, in der die Therapierten männlich sind, die Therapeutinnen weiblich und am Ende tot. Nach Senta kommt die reine Elisabeth im „Tannhäuser“, dann Elsa im „Lohengrin“ – sie weiß zwar nichts über den Schwanenritter, muss ihn aber trotzdem lieben und darf ihm keine Fragen stellen. Die Reihe zieht sich bis zu Wotans Tochter Brünnhilde im „Ring des Nibelungen“. Sie verzichtet aus Liebe auf ihre göttliche Natur und wird eine normale Frau. Eine „Verherrlichung, wie sie noch nie dem Weibe widerfahren war“, wollte Wagner da komponieren. Denn „das wahrhaft Weibliche sollte mir und aller Welt die Erlösung bringen, nachdem der männliche Egoismus sich selbstvernichtend an ihm gebrochen hat“.
Kundry auf der Couch. Heute wirkt ein solches Frauenbild weniger verherrlichend als kurios, und Psychologen würden Männer mit derlei Fantasien zum Psychiater schicken. In der Vergangenheit wurden trotzdem lieber die Frauen auf die Couch gelegt, allen voran Kundry. Für Freud war sie klar Hysterikerin, Thomas Mann sah „geradezu ein Stück mythischer Pathologie“ darin und bewunderte die „klinische Drastik und Wahrheit“. Kundry hatte demnach eine kranke Sexualität. Wagners Urenkelin Nike formulierte das dann um zur von Männern „krank gemachten Sexualität“.
Heißt das, man kann Wagners Opernfrauen als Ausgeburten eines patriarchalen Macho-Hirns abhaken? Nur aus heutiger Sicht ist Wagners Frauenbild reaktionär, damals war seine Vorstellung der Frau als auch intellektuell essenzielle Partnerin fortschrittlich, und im 20. Jahrhundert wäre er vielleicht glühender Feminist gewesen. Wohl auch deswegen sindseine Frauenfiguren trotz ihrer freiwilligen Unterwerfung menschlich vielschichtig und faszinierend, mehr als die Männer. Es sind zum Beispiel starke Frauen, wenn man davon absieht, dass sie ihre Stärke letztlich immer nur dazu benutzen, sich dem Geliebten zu unterwerfen. Brünnhilde rebelliert gegen ihren Göttervater Wotan, Senta setzt sich ebenfalls gegen ihren Vater durch. Und auch Isolde findet sich nicht damit ab, dass sie als Tauschobjekt an einen alten König verschachert werden soll. Im Namen der Liebe rebellieren sie alle gegen die ungerechte Ordnung, gegen die ganze Welt.
Figuren wie die Walküren faszinieren auch durch ihre tiefen Wurzeln. Einst waren sie in der Mythologie Totendämonen, dann wurden sie weibliche Geisterwesen im Gefolge von Göttervater Odin. Im Altnordischen hießen sie „valkyrjar“, zusammengesetzt aus den Wörtern „valr“ für die auf dem Schlachtfeld liegenden Leichen und „kjósa“ für „wählen“. Sie wählen die ehrenhaft Gefallenen aus, um sie zur Götterburg, nach Walhall, zu führen. Vieles über die Walküren entnahm Wagner der altnordischen „Edda“, einer Monografie über die Walkyrien und Jakob Grimms „Mythologie“. Von ihm übernahm er die Zahl der Walküren (neun), die Art ihrer Rüstung und dass sie durch die Luft fliegen.
„Weltdämonische Kundry“. Und wo sonst hat Wagner ein so komplexes Wesen geschaffen wie Kundry? In Wolfram von Eschenbachs „Parzival“ ist Cundrie nur die hässliche Gralsbotin, die schöne Verführerin ist Orgeluse. Wagner verschmilzt beide zu etwas ganz Neuem. Auch er selbst sah dieses „wunderbar weltdämonische Weib“ als seine originellste Figur. Sie ist allerdings auch seine umstrittenste – Kritiker sehen in ihr die „ewige Jüdin“ und Spuren von Wagners Antisemitismus.
Heinrich Heine ging mit dem Stoff des „Fliegenden Holländers“ noch ironisch um, Wagner ist es immer bitterernst mit seinen Erlöserfrauen. Aber spätestens an Stellen wie „Wotans Abschied“ von Brünnhilde oder deren Schlussgesang vor der Selbstverbrennung fällt es schwer, abschätzig zu lächeln, egal, wie verkorkst man Wagners Frauenbild findet.Und wenn man Isoldes Liebestod hört, wird es unwichtig, dass Isolde bei Wagner nur schön ist und Tristan in allem ein Genie. Die Musik nivelliert die Unterschiede ohnehin. Dieses unstillbare Begehren, diese Sehnsucht hat vielleicht ein Geschlecht, aber kein spezifisches mehr. Und alle Zuhörer, männlich oder weiblich, können es verstehen.
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Ganz drum herum kommt keiner. Aber die Aktivitäten zur kultischen Verehrung sind von höchst unterschiedlicher Intensität. Die Wiener Staatsoper, die traditionsgemäß sehr viel Wagner spielt, lässt sich im Jahr des 200. Geburtstags nicht lumpen und feiert den Bayreuther ebenso wie den gleichaltrigen Mailänder Titan (und Antipoden) Verdi mit etlichen, teils glänzend besetzten Repertoireaufführungen.
Außerdem avisiert das Haus am Ring in den kommenden Wochen nebst einer Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ durch David McVicar (mit Nina Stemme und Peter Seiffert) auch einen kompletten „Ring des Nibelungen“, beide Produktionen dirigiert Franz Welser-Möst. Die Daten: „Rheingold“: 12. Mai, „Walküre“ 15.Mai (und Einzelvorstellungen unter Peter Schneider am 16. und 23. Juni), „Siegfried“ am 19. Mai und „Götterdämmerung“ am 22. Mai.
Der neue „Tristan“ hat am 13. Juni Premiere und wird noch am 18., 22., 26. und 30. Juni gezeigt, sowie am Beginn der kommenden Spielzeit wieder ins Programm genommen.
Hochspannung in Bayreuth. Die Musikwelt blickt im Jubiläumsjahr selbstverständlich gespannt nach Bayreuth, wo nach der Wiederaufnahme der vorjährigen Produktion des „Fliegenden Holländers“ unter Christian Thielemann ein neuer „Ring“ unter Kirill Petrenko Premiere hat, den Frank Castorf inszenieren wird (ab 26. Juli).
Für alle, die im notorisch ausverkauften Bayreuth keine Karten bekommen haben, gibt es immerhin Radio-Liveübertragungen im Bayerischen Rundfunk.
Auch die Salzburger Festspiele machen heuer wieder einmal eine Ausnahme und brechen das stillschweigende Abkommen mit Bayreuth aus Anlass der Geburtstagsfeiern. Man zeigt zum ersten Mal seit den Dreißigerjahren im Sommer szenisch „Die Meistersinger von Nürnberg“.
Damals wie heute stand ein Italiener am Dirigentenpult: Daniele Gatti steigt in die Fußstapfen des großen Arturo Toscanini, der übrigens für diese Aufgabe nur deshalb frei wurde, weil er Bayreuth nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten den Rücken kehrte.
Außerdem gibt es in Salzburg heuer einen konzertanten „Rienzi“ unter Philippe Jordan und einen ersten „Walküren“-Akt unter Lorin Maazel. Komplette Serien des „Rings des Nibelungen“ zeigt man auch – und unter bemerkenswerter Durchbrechung des in Italien an sich sakrosankten Stagionesystems – an der Mailänder Scala. Daniel Barenboim dirigiert die Neuproduktion von Guy Cassiers (17. bis 22. bzw. 24. bis 29. Juni). Premiere der „Götterdämmerung“ ist am 18. Mai mit Ian Storey als Siegfried und Irène Théorin als Brünnhilde. In Berlin bietet man an der Deutschen Oper erst Anfang 2014 wieder Wagner: Simon Rattle dirigiert den kompletten „Ring“ in der altbewährten Inszenierung Götz Friedrichs.
Bemerkenswert ist der Spielplan von New Yorks Metropolitan Opera, wo Fabio Luisi eben zwei „Ring“-Zyklen dirigiert hat – bis Juni 2014 stellt der Met-Kalender nun eine Wagner-freie Zone dar.
Vergleichsweise enthaltsam bleibt auch Londons Covent Garden Opera, die bis Jahresende 2013 nur noch „Parsifal“ unter dem Hausherren Antonio Pappano mit Simon O'Neill und Angela Denoke zeigt (ab 30. November).
Die ewige Nummer vier. An der seit Langem statistisch unveränderten Reihung der meistgespielten Komponisten im weltweiten Opernzirkus ändert auch solche Reduktion nichts. Wagner hält hinter Verdi, Mozart und Puccini – wenn auch mit deutlichem Abstand hinter dieser Trias – seit Jahren Platz vier.
Erstaunlicherweise beschränkt sich kommende Saison auch die Wagner-Stadt München bis zum Juli 2014 im Repertoire auf den „Fliegenden Holländer“, hat aber zum Abschied des scheidenden Generalmusikdirektors, Kent Nagano, „Ring“ und „Parsifal“ während der Opernfestspiele im Juli angesetzt. Das ermöglicht dem Publikum jedenfalls aparte Vergleiche, denn Naganos Nachfolger ist Bayreuths „Ring“-Dirigent Petrenko ...
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2013)