Letta setzt Rekordzahl an Ministerinnen ein

Letta setzt Rekordzahl Ministerinnen
Letta setzt Rekordzahl MinisterinnenREUTERS/ Remo Casill
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"Bunga-Bunga-Ära" adieu: Frauen übernehmen Schlüsselressorts im jungen Kabinett in Rom. Bonino führt Außenministerium, Cancellieri das Justizministerium.

Nachdem in den vergangenen Jahren die Sexaffären um Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi Italiens politisches Leben und die Medien dominiert hatten, schlägt für die italienischen Frauen die Stunde der Revanche. Spontane Protestbewegungen gegen das von der Politik und dem Fernsehen übermittelte Frauenbild und Klagen wegen Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt in den vergangenen Monaten zeitigen jetzt Resultate. Italiens neuer Regierungschef Enrico Letta hat eine Rekordzahl an Frauen in das neue Kabinett in Rom gehievt und ihnen eine Rosa-Quote von einem Drittel der Sitze anvertraut. Sieben Ministerinnen sitzen in der neuen Regierung in Rom, so viele wie noch nie in der republikanischen Geschichte des Landes.

Ehrgeizig, motiviert und vor allem hochkompetent: Die neuen italienischen Ministerinnen haben zum Teil Schlüsselpositionen im neuen Kabinett ergattert, das aus der sozialdemokratischen PD (Demokratische Partei) und der Partei um den für seinen Macho-Allüren bekannten Ex-Premier Silvio Berlusconi entstanden ist. Die 65-jährige Emma Bonino übernimmt das Außenministerium und wird all ihr diplomatisches Geschick brauchen, um Brüssel zu überzeugen, den Sparkurs aufzulockern unter dem Italien in eine tiefe Rezession gestürzt ist.

Die aus dem Piemont stammende Spitzenpolitikerin der Radikalen Partei hat internationale Erfahrung als EU-Kommissarin gesammelt und genießt Sympathien in Kreisen des rechten Politspektrums. Ihr Aufstieg zur Außenministerin ist zum Teil überraschend. Wegen ihres Einsatzes für Scheidung, Legalisierung weicher Drogen und Abtreibung im Laufe ihrer politischen Karriere ist sie für die in Italien einflussreichen katholischen Kreisen ein Rotes Tuch. Bonino stemmt sich außerdem heftig gegen den Einfluss des Vatikan auf die italienische Politik.

Auch die scheidende Innenministerin Anna Maria Cancellieri übernimmt ein Schlüsselressort in der neuen Regierung und wird als Justizministerin. In dieser Rolle wird sie sich unter anderem um die Vollendung der Justizreform kümmern müssen, die ihre Vorgängerin Paola Severino in der Regierung unter Premier Mario Monti in die Wege geleitet hatte. Die 70-jährige Ex-Polizeichefin Cancellieri wird den Forderungen Berlusconis Stand halten müssen, der das Justizressort für einen seiner Vertrauensleute beansprucht hatte. Wegen der gegen ihn laufenden Prozesse ist Berlusconi seit Jahren mit Italiens Justizsystem auf Kriegsfuß. Cancellieri ist mit Europaminister Enzo Moavero das einzige Mitglied der bisherigen Technokratenregierung um Monti, die im neuen Kabinett weiterarbeitet.

Viel Aufsehen sorgt Italiens neue Sport- und Frauenministerin Josefa Idem, die auf eine Bilderbuchkarriere als Kanu-Olympiasiegerin zurückblicken kann. Die im deutschen Goch am Niederrhein geborene 48-Jährige ist seit 1992 italienische Staatsbürgerin und hat vor zwei Monaten einen Sitz im römischen Parlament als Deputierte der Demokratischen Partei erhalten. Insgesamt nahm sie an acht Olympischen Spielen teil, davon sechsmal für Italien. Noch im vergangenen Jahr hatte sie in London als erste Frau zum achten Mal an Olympischen Spielen teilgenommen.

Ein Novum für Italien ist eine dunkelhäutige Ministerin. Die 49-jährige Ärztin und Menschenrechtlerin kongolesischer Abstammung Cecile Kyenge rückt zur Integrationsministerin auf. Sie ist Sprecherin des Verbandes "1. März", der sich gegen Rassismus und für Migrantenrechte einsetzt. Die Mutter von zwei Töchtern, die in der norditalienischen Region Emilia Romagna lebt, will sich als Ministerin für eine Reform des strengen italienischen Einwanderungsgesetzes einsetzen. Ferner will sie, dass neugeborene Migrantenkinder automatisch die italienische Staatsbürgerschaft erhalten, auch wenn beide Eltern Ausländer sind.

Die Jüngste unter den Frauen im neuen Kabinett ist Landwirtschaftsministerin Nunzia Di Girolamo. Die 37-jährige Vertraute Berlusconis sitzt seit 2008 im Parlament und ist mit einem Abgeordneten aus den Reihen der rivalisierenden PD verheiratet. Die Parlamentarierin hatte Berlusconi wegen seiner Verwicklung in Sexskandale immer wieder vor der Kritik aus Frauenverbänden vor den Medien in Schutz genommen. Aus den Berlusconi-Reihen stammt auch die 42-jährige Beatrice Lorenzin, die zur Gesundheitsministerin avanciert.

Zur Rosa-Fraktion in der neuen Regierung Letta gehört auch die parteiunabhängige Mariachiara Carrozza; sie ist Bildungsministerin. Die 47-jährige Ingenieurin aus Pisa leitet die Elite-Universität Sant' Anna in Pisa.

(APA)

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