Letta: "Sparpolitik bringt Italien um"

Lettas Programm Reine Sparpolitik
Lettas Programm Reine Sparpolitik(c) REUTERS (ALESSANDRO BIANCHI)
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Der neue Premier kündigt eine soziale Abfederung gegen die Krise an und will die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Das alles solle aber ohne eine weitere Neuverschuldung vonstattengehen.

[Rom] So sehr man im Rest Europas erleichtert ist, dass Italien endlich eine handlungsfähige Regierung hat, so sehr dürften in Brüssel und manchen europäischen Hauptstädten nach Enrico Lettas Regierungserklärung die Alarmglocken schrillen. Denn Letta verkündete nichts weniger als eine Abkehr von der Haushaltskonsolidierung.
„Eine reine Sparpolitik bringt Italien um", sagte der Regierungschef Montagnachmittag vor der Vertrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus. Absolute Priorität habe der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, man werde sich zudem um stärkere soziale Abfederungsmaßnahmen für Familien kümmern, die von der Krise besonders hart getroffen seien. Das alles solle ohne weitere Neuverschuldung geschehen, kündigte Letta an, doch wie er diesen Spagat schaffen will, bleibt vorerst sein Geheimnis.

Im Abgeordnetenhaus konnte Enrico Letta mit 455 bis 475 von 630 Stimmen rechnen; die Unzufriedenen in den beiden bestimmenden Koalitionsparteien - beim sozialdemokratischen „Partito Democratico" und bei Berlusconis „Volk der Freiheit" - schienen unmittelbar vor dem Votum ihre Bedenken gegen die für Italien neuartige Große Koalition fürs Erste zurückstellen zu wollen.

Carabiniere droht Lähmung

Dafür hat Berlusconi in Bezug auf das Attentat vom Sonntag der „extremen Linken" vorgeworfen, „die Tat eines verzweifelten Mannes als Vorwand zu nutzen, um in deliranter Weise die Politik anzuklagen". Wenn man mit dem Feuer spiele, geschähen solche Sachen, sagte Berlusconi. Auf wen er anspielte, blieb unklar. Die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo indes hat sich trotz ihrer gnadenlosen Verbalattacken auf die politischen Institutionen ausdrücklich von Gewalt distanziert. Am Sonntag hatte ein 49-jähriger Mann vor dem Regierungssitz mehrere Schüsse abgefeuert und dabei drei Menschen verletzt, darunter zwei Carabinieri. Einer von ihnen wurde schwer am Rückenmark verletzt und könnte nach Angaben der Ärzte gelähmt bleiben.

Inzwischen wurden weitere Einzelheiten über die Person des Schützen bekannt: Am ersten Eindruck, es habe sich um einen Einzeltäter gehandelt, änderte sich allerdings vorerst nichts. Zwar weist nach Angaben der Polizei die getilgte Seriennummer seiner halb automatischen Pistole auf einen mafiösen Ursprung der Waffe hin; allerdings, so heißt es, seien gerade in Kalabrien, der Heimat des Attentäters, illegale Waffen sehr leicht zu erhalten, auch ohne formelle Bindung an die Mafia.

In italienischen Medien erklärten am Montag von der früheren Ehefrau des Attentäters über Freunde bis hin zu Nachbarn alle möglichen Zeugen, der 49-jährige, „immer gewissenhafte und fleißige" Fliesenleger Luigi P. sei in seiner Familie und in seinem Beruf zwar gescheitert, habe aber nie irgendeine Neigung zu Gewalt erkennen lassen. „Wir wissen nichts, wir wissen nichts, wir wissen nichts", sagte sein Bruder im Fernsehen.

„Wollte einen von denen treffen"

Die Zeitung „Corriere della Sera" schreibt, den Staatsanwälten habe der von den Carabinieri sofort überwältigte, weitgehend unverletzte Luigi P. gesagt: „Als 50-Jähriger kannst du nicht, wie ich es gemacht habe, zu den Eltern zurückgehen, wenn du es anders nicht schaffst, dich durchzubringen. Den Politikern aber geht es gut, und sie genießen es. Ich wollte einen von denen treffen."
Er sei verzweifelt gewesen, weil er seinen elfjährigen Sohn nicht mehr habe unterstützen können, soll Luigi P., der mittlerweile vom Krankenhaus ins Gefängnis Rebibbia überstellt wurde, bei einer Vernehmung gesagt und hinzugefügt haben, eigentlich habe er nicht töten, sondern selbst sterben wollen. Allerdings hat niemand gesehen, dass er die Pistole gegen sich selbst gerichtet hätte.
Nach Polizeiangaben wusste er hingegen ziemlich genau, wohin er zielen musste: an den schusssicheren Westen der Carabinieri vorbei, auf Hals und Beine.

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