Das Pulver ist schon fast verschossen

Die gestrige Zinssenkung durch die Euro-Notenbank war als Signal an die Märkte wohl notwendig, wird der gerade einbrechenden Konjunktur aber wenig helfen.

Die Europäische Zentralbank hat gestern nicht nur für die Sparer eine schlechte Nachricht parat gehabt. Die Zinssenkung, gegen die sich einige Zentralbanker so lange gewehrt haben, ist auch das endgültige Eingeständnis, dass die aktuellen Konjunkturprognosen der Wirtschaftsforscher nicht mehr sind als Dokumente des realitätsverkennenden Optimismus: Die Konjunkturkrise ist viel tiefer als erwartet, was man ja beispielsweise auch an der Entwicklung der Arbeitslosenrate im Euroraum (auch bei uns, übrigens) ablesen kann. Die gesamte Eurozone schlittert unaufhaltsam in die Rezession.

In dieser Lage ist eine Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte ein wichtiges psychologisches Signal. Mehr aber nicht. In der Praxis wird das kaum Auswirkungen haben: Schon bisher war der EZB-Leitzins, zu dem sich Banken kurzfristiges Geld bei der Notenbank ausborgen können, mit 0,75 Prozent historisch niedrig. Und schon bisher hat das nichts genützt, weil das billige Geld nicht dort angekommen ist, wo es so dringend gebraucht wird.

Im Gegenteil: Vor allem in Südeuropa sind Kredite für kleinere Unternehmen derzeit extrem schwer zu bekommen – und extrem teuer. Aus Sicht der Banken ist die neue Vorsicht nachvollziehbar, aber die Notenbankpolitik läuft solcherart ins Leere.

Eine Zinssenkung, die nicht beim Adressaten ankommt, kann dort leider auch nichts bewirken. Davon profitieren werden also aller Voraussicht nach nur die Märkte für diverse Finanzprodukte, die ohnehin schon ziemlich heiß gelaufen sind. Dazu kommt, dass die Euro-Notenbank ihr Pulver jetzt beinahe verschossen hat. Denn unter null Prozent wird sie mit ihrem Leitzins ja wohl nicht gehen können. Man sieht: Die Zinswaffe kann noch ein bisschen Stimmung erzeugen, Konjunktur lässt sich damit aber nicht mehr machen.

Vielleicht hätte es geholfen, den Einlagenzinssatz, den die EZB gestern unverändert bei null Prozent gelassen hat, ins Negative zu drehen. Den hat die Euro-Notenbank ja schon seit einiger Zeit auf null gesetzt, um zu verhindern, dass die Banken das billige Zentralbangeld gleich wieder verzinst bei der Notenbank einlegen. Aber selbst Nullzinsen schrecken die Geldinstitute offenbar nicht davon ab, noch immer größere Summen kurzfristigen Geldes auf EZB-Konten zu halten. Experten meinen, dass man mit Negativeinlagenzinsen bei der Notenbank erstens die Kreditflaute ein wenig abmildern und zweitens den Eurokurs substanziell herunterbringen könnte. Das wäre möglicherweise ein echter Konjunkturimpuls, denn die Euronotierung ist für das derzeitige Umfeld im Eurojammertal entschieden zu hoch. EZB-Chef Draghi hat einen solchen Radikalschritt auch angedeutet, realistisch ist er derzeit aber noch nicht.

Fazit: Der donnerstägige Zinsschnitt war nicht falsch, aber vielleicht zu zaghaft und zu spät. Er wird der Konjunktur nicht wesentlich nützen. Die Kreditnehmer werden auch herzlich wenig davon haben. Lediglich die Sparer, die dafür, dass sie ihr Geld der Bank leihen, schon jetzt ordentlich mit „Deppensteuer“, alias negativen Realzinsen, bestraft werden, könnten noch schärfere Vergrößerungsgläser benötigen, um wenigstens noch Nominalzinsen in ihren „Bücheln“ zu entdecken.

Mit diesem Umfeld werden wir jetzt längere Zeit leben müssen. Zum einen wird die Konjunktur nicht so bald auf den viel zitierten Wachstumspfad zurückfinden. Zum anderen können es sich die hoch verschuldeten Staaten (und dazu gehören unterdessen alle großen Industrieregionen des Globus) gar nicht mehr leisten, die Zinsen davongaloppieren zu lassen. Und davon, dass hohe Inflationsraten Zinserhöhungen erzwingen, sind wir in der derzeitigen Konjunkturlage auch meilenweit entfernt.

Auf eine Gefahr in der derzeitigen Zinslandschaft haben gestern amerikanische Experten aufmerksam gemacht: Mangels Alternativen wird das Billiggeld, mit dem ja auch die USA und Japan um sich werfen, seinen Weg global überwiegend in die einzig verbliebenen renditeträchtigen Märkte finden. Die nächsten Aktien- und Immobilienblasen bauen sich also schon auf. Da steht wohl schon die nächste größere Wertvernichtung vor der Tür.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2013)

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