Und jetzt, Mister Keynes?

jetzt Mister Keynes
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Mit der jüngsten Zinssenkung sollen Unternehmer zum Investieren angeregt werden. Heißt es. Ziel der Aktion ist allerdings jemand ganz anderes.

Apple zählt nicht nur zu den coolsten Arbeitgebern der Welt, sondern auch zu den reichsten. Das Unternehmen sitzt auf Unmengen von Geld, genauer gesagt sind es 145 Milliarden Dollar, die auf diversen Apple-Konten herumkugeln. Und dennoch pilgerte Apple am vergangenen Dienstag an die Kapitalmärkte, um sich 17 Milliarden Dollar zu borgen. Geld, mit dem eigene Aktien zurückgekauft und Dividenden an die Eigentümer ausgeschüttet werden sollen. Das ist zwar weder ungewöhnlich noch verwerflich, aber doch ein wenig rätselhaft. Warum um Himmels willen pumpt sich jemand Geld, der ohnehin in selbigem schwimmt? Ganz einfach: Weil Geld nichts mehr kostet – und es Apple daher günstiger kommt, sich welches zu leihen, als Barreserven aufzulösen und dafür möglicherweise noch Steuern zu zahlen.

Herzlich willkommen in der irren Welt der „modernen“ Wirtschaftspolitik, in der die großen Zentralbanken rund um den Globus die Leitzinsen gegen die Nulllinie drücken. Das tun sie angeblich nur deshalb, um die Unternehmer scharenweise in die Kreditabteilungen der Banken zu treiben, damit sie endlich lang gehegte Investitionspläne in die Tat umsetzen und für Wachstum sorgen. Das klingt zwar sehr nett, ist aber ein ziemlich dreister PR-Gag der per Statut unabhängigen, aber nicht ganz unpolitischen Notenbanken. Das Ziel ihrer Zinsschlachten sind nicht investitionsmüde Unternehmer, sondern ausgabefreudige Staaten, denen seit Jahrzehnten das Geld durch die Finger läuft und die seit Ausbruch der Finanzkrise mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Staatsschulden der industrialisierten Welt sind mittlerweile auf 110 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung gestiegen, womit sie die haushaltspolitische „Todeszone“ erreicht haben. Eine Höhenlage, in der geschenktes Geld zum lebensrettenden Sauerstoff wird.

Zumal das politische Führungspersonal seit fünf Jahren zu beweisen versucht, sich in den steilen Berghängen besser zurechtzufinden als ihre ortskundigen Sherpas. Während Politiker und Ökonomen allerorts die verheerenden Folgen der Austeritätspolitik beklagen, treiben die Regierungen die öffentlichen Ausgaben still und leise in luftige Höhen, um so Wachstum zu schaffen. Allein in Österreich sind sie seit Ausbruch der Krise um 14 Prozent auf knapp 159 Milliarden Euro angeschwollen. Nicht viel anders ist es in Frankreich, Italien und Deutschland, das trotz wachsender Ausgaben besonders hart für seinen „Sparkurs“ gescholten wird. Nur Spanien und ein paar kleinere Länder kürzen ihre Etats, nachdem sie diese nach der Einführung des Euro um bis zu 50 Prozent nach oben gefahren haben.


Ohne den Staat geht gar nichts. Die großen Volkswirtschaften der Eurozone haben aber die Krisenpläne von Mister Keynes ausgegraben und folgen diesen auf Punkt und Beistrich: Wenn Unternehmen trotz niedriger Zinsen nicht mehr investieren wollen, muss der Staat eingreifen, um die fehlende private Nachfrage zu überbrücken. Das kostet zwar jede Menge, komme aber immer noch günstiger, als die Staatshaushalte in Ordnung zu bringen und so eine Spirale nach unten in Gang zu setzen, wie nahezu alle Ökonomen von heute behaupten.

Und dennoch starren die großen Staaten der Eurozone nach fünf Jahren keynesianischer Intervention der Rezession in die Augen. Warum? Weil die Menschen sehen, dass sich die Staaten verschulden, um Reformen zu vermeiden und sich Wachstum zu erkaufen. Weil den Bürgern einleuchtet, dass nachhaltiger Wohlstand nicht aus der Notenpresse kommen kann. Und weil sie wissen, dass sie es sein werden, die für die Kosten dieser teuren, aber offensichtlich unwirksamen Programme aufzukommen haben. Entweder über höhere Steuern und Abgaben (wenn die Zinsen wieder steigen) – oder über eine negative Realverzinsung des eingesetzten Kapitals. Womit wir bei einer der unschönen Seiten der staatlich verordneten Nullzinspolitik angekommen sind: der finanziellen Repression. Wer heute Geld auf diversen Sparkonten liegen hat, weiß, dass die Verzinsung abzüglich der Inflationsrate negativ ist und damit Kapital vernichtet wird.

Die Bürger sitzen also in der Falle: Bleibt es bei der Nullzinspolitik, verliert ihr Erspartes unweigerlich an Wert (wofür sie noch Kapitalertragsteuer zu zahlen haben). Findet die Nullzinspolitik ein Ende, verteuern sich die laufenden Kosten der Staatsschulden, womit die nächste Steuererhöhung nur eine Frage der Zeit ist. Das sorgt nicht gerade für Aufbruchstimmung, ganz im Gegenteil. Wer noch investiert, steckt sein Geld in „feste Werte“ wie Rohstoffe oder Immobilien, was diese naturgemäß verteuert (auch das ist eine typische Nebenwirkung der Politik des „billigen Geldes“). Am Ende bleiben nur die Schuldner als Gewinner übrig, allen voran die öffentlichen Haushalte.

Aber wie lange wollen die Politiker an der kreditfinanzierten Wachstumsillusion noch festhalten? Bis zur nächsten Wahl? Und dann? Dann werden sie den Menschen vermutlich sagen müssen, was diese längst wissen: „Seht her, so geht es nicht mehr weiter. Wenn es für steinreiche Firmen wie Apple günstiger kommt, Geld zu leihen, statt die eigenen Reserven anzuknabbern, dann läuft einiges schief. Wir brauchen nicht immer mehr Staat, sondern unternehmerische Dynamik. Weniger Bürokratie, niedrigere Steuern und höhere Löhne für genommenes Risiko. Nur so entstehen robuste Jobs, nur so lässt sich ein moderner Sozialstaat dauerhaft finanzieren. Und ja, der Umbau des Staates kann zu einem vorübergehenden Wohlstandsverlust für uns alle führen – aber dazu gibt es keine Alternative, und es ist eine bessere Investition in die Zukunft, als Geld zu produzieren, das nichts kostet.“

Denn was nichts kostet, ist schließlich nichts wert. Das weiß nicht nur die Führung von Apple.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2013)

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