Leitartikel: Ungeniert antisemitisch

Rechtsextreme haben sogar am Tag, bevor der Jüdische Weltkongress in Budapest zusammentritt, offen gegen Juden gehetzt. Der Antisemitismus in Ungarn hat ein unerträgliches Ausmaß erreicht.

In Ungarn breitet sich der Antisemitismus ungeniert aus. In keinem anderen europäischen Land wird so offen gegen Juden gehetzt. Und die Wortführer sitzen nicht verschämt in irgendwelchen Bierspelunken, sondern in Parlament. Vor drei Jahren ist die rechtsextreme Jobbik mit mehr als 16 Prozent der Stimmen zur drittstärksten Kraft im ungarischen Abgeordnetenhaus aufgestiegen. Ihre primitive und judenfeindliche Ideologie bringen die Erben der faschistischen Pfeilkreuzler seither noch ungehemmter unters Volk.

Gestern, Samstag, protestierte Jobbik-Chef Gábor Vona bei einer Kundgebung gegen die Versammlung des Jüdischen Weltkongresses, die ab heute in Budapest stattfindet. Den 300 bis 800 Teilnehmern gefiel's. Sie grölten „Juden raus“ und „Ungarn gehört uns“. Und die paramilitärische Ungarische Garde, die längst verboten ist und nicht mehr auftreten dürfte, stand Spalier.

Der Jüdische Weltkongress kommt nicht zufällig in Budapest zusammen, oder weil dort das Gulasch besonders gut schmeckt. Sein Präsident Ronald S. Lauder will damit ein Zeichen der Solidarität mit den rund 100.000 jüdischen Bürgern in Ungarn setzen. Sie sind nicht nur verbalen Schmähungen ausgesetzt, sondern mittlerweile vereinzelt auch tätlichen Angriffen. Vor einer Woche traf es Ferenc Orosz. Der Vorsitzende der Raoul-Wallenberg-Gesellschaft hat es gewagt, Fans des Fußballvereins Ferencvaros aufzufordern, nicht mehr „Sieg Heil“ zu brüllen. Sie beschimpften ihn daraufhin als „jüdischen Kommunisten“ und schlugen ihn krankenhausreif. Vor ein paar Wochen wollte ein rechtsradikaler Motorradklub unter dem Motto „Gib Gas“ vor der Großen Synagoge in Budapest demonstrieren.

Doch der nationalkonservative Ministerpräsident Viktor Orbán, der übrigens in seiner ersten Amtszeit einen Holocaust-Gedenktag in Ungarn eingeführt hat, schritt ein und ließ die Biker-Parade verbieten. Die Hassfigur für die europäischen Linken wollte auch die Jobbik-Kundgebung gegen den Jüdischen Weltkongress untersagen, ein Budapester Gericht gab dennoch grünes Licht für das braune Straßenfest der antisemitischen Geschmacklosigkeiten.

Orbán selbst ist kein Antisemit, das bescheinigt ihm auch Ronald S. Lauder. Nachdem der Jobbik-Fraktionsführer Márton Gyöngyösi ernsthaft gefordert hatte, aus „Sicherheitsgründen“ Namenslisten von Juden anzufertigen, bezog der Premier im Abgeordnetenhaus Stellung. „Wir Ungarn beschützen unsere jüdischen Landsleute“, sagte er. Ähnlich wird sich Orbán auch vor dem Jüdischen Weltkongress äußern, dem er sich in einer Rede stellt.

Er hat dennoch viel Arbeit vor sich, auch in seiner eigenen Partei. Sein Fidesz-Freund Zsolt Bayer fällt immer wieder mit antisemitischen Tiraden auf. Sein langjähriger Weggefährte, Parlamentspräsident László Kövér, nahm an einer Gedenkveranstaltung für den Nazi-Schreiber Jószef Nyirö teil. In beiden Fällen distanzierte sich Orbán nicht. So wie er überhaupt bewusst Unschärfen am rechten Rand einkalkuliert, um Jobbik das Wasser abzugraben. Diese Strategie ist falsch. Sie trägt nicht dazu bei, das internationale Ansehen Ungarns zu mehren.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2013)

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