Altes Saatgut, neue Nischen: EU hält an Sortenvielfalt fest

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Symbolbild(c) ASSOCIATED PRESS (MATTHIAS RIETSCHEL)
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Die EU-Kommission will Vorschriften für agrarische Kleinbetriebe vereinfachen. Umstritten waren im Vorfeld jene Passagen, die Saatgut betreffen. Für Kommissar Borg basierte die Kritik auf „Missverständnissen“.

Brüssel. Der Sturm der Entrüstung, der im Zusammenhang mit der Reform des EU-Regelwerks für Saatgut seit Wochen durch die Medien fegt, hat sich am Montag als Sturm im Wasserglas erwiesen. Denn was der für Gesundheit und Verbraucherpolitik zuständige Kommissar Tonio Borg präsentierte, hatte nur peripher mit den im Vorfeld artikulierten Befürchtungen zu tun: Die Brüsseler Behörde will weder traditionelles Saatgut verbieten noch den Tausch mit althergebrachten Sorten untersagen. Und auch die befürchteten bürokratischen Hürden fehlten am Montag weitgehend.

Derzeit sind die EU-Vorschriften für Lebensmittelsicherheit, Tier- und Pflanzenschutz auf rund 70 verschiedene Rechtsakte verteilt. Mit dem am Montag vorgestellten Reformpaket sollen alle Regeln in fünf Verordnungen zusammengefasst und vereinheitlicht werden. Besonders umstritten waren im Vorfeld jene Passagen, die Saatgut betreffen – und zwar, weil im vergangenen November ein knapp hundertseitiges „Non-Paper“ (also eine hochoffizielle Diskussionsgrundlage) der EU-Kommission an die Öffentlichkeit gelangt war, in dem unter anderem von einer Zulassungspflicht für traditionelle Pflanzensorten, wie sie für Industriesorten gilt, sowie von Saatgut-Tauschverboten die Rede war. Daraufhin formierte sich eine breite Widerstandsfront, der Organisationen wie Global 2000 und Arche Noah ebenso angehörten wie der Rewe-Konzern. Martina Hörmer, die bei Rewe die Biosparte „Ja! Natürlich“ leitet, warnte in einem offenen Brief ausdrücklich vor einer Reform auf Kosten der biologischen Vielfalt. Und das Fazit von Global 2000 lautete: „Die Nutznießer sind wieder einmal die Agrarkonzerne.“

Für Kommissar Borg basierte diese Kritik auf „Missverständnissen“, man strebe im Gegenteil eine „Vereinfachung“ der Vorschriften an. Gemäß dem gestrigen Vorschlag sollen kleine landwirtschaftliche Unternehmen (das sind jene, die weniger als zwei Mio. Euro Umsatz pro Jahr erwirtschaften und nicht mehr als zehn Personen beschäftigen) fortan unter der Bezeichnung „für Nischenmärkte bestimmtes Material“ Saatgut jeder Art verwenden und verkaufen dürfen, ohne es registrieren zu müssen. Generell soll die Registrierung althergebrachter und heterogener Sorten (die derzeit ebenfalls teils strengen Auflagen punkto Weitergabe etc. unterliegen) erleichtert werden – sie sollen ohne verpflichtende Tests, auf Basis historischer Erfahrungswerte registriert werden können. Hobbygärtner, die mit kleinen Mengen Saatgut hantieren, sind von den Vorschriften gänzlich ausgenommen.

„Nicht so schlimm wie befürchtet“

Insofern verwunderte es nicht, dass die österreichischen Reaktionen auf den Vorschlag der Kommission am Montag gemäßigt ausfielen und von „Verbesserungen im Sinn Österreichs“ (Umweltminister Nikolaus Berlakovich), über „die Suppe wird nicht so heiß gegessen wie gekocht“ (ÖVP-Europaabgeordnete Elisabeth Köstinger) bis hin zu „nicht so schlimm wie befürchtet“ (grüne EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek) reichten. Dass Lunacek dennoch nicht zufrieden ist, hängt mit der Kategorisierung des alten Saatguts als Nischenprodukt zusammen: „Kleine Erzeuger werden in die Hobbynische gedrängt.“ Köstinger wiederum wollte gestern kein abschließendes Urteil zum Entwurf abgeben – man müsse erst den mehrere hundert Seiten umfassenden Gesetzestext durchackern, der von der Brüsseler Behörde vorgelegt wurde. Dass die Kommission die europaweite Rückverfolgung von Saatgut möglich machen will, sei aber grundsätzlich richtig.

Ob die Regeln in dieser Form auch in Kraft treten, ist derzeit nicht absehbar. Nun sind nämlich das Europaparlament und die im Rat versammelten EU-Regierungsvertreter am Zug, die der Verordnung ebenfalls zustimmen müssen. Bevor alles unter Dach und Fach ist, dürften noch mindestens drei Jahre vergehen.

Auf einen Blick

Der Entwurf der EU-Kommission sieht vor, dass kleine landwirtschaftliche Unternehmen altes Saatgut als „für Nischenmärkte bestimmtes Material“ verwenden und verkaufen dürfen, ohne es registrieren zu müssen. Generell sollen althergebrachte Sorten von verpflichtenden Tests verschont bleiben – ihre Registrierung soll anhand von historischen Erfahrungswerten erfolgen. Hobbygärtner sind von den Saatgutverpflichtungen gänzlich ausgenommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2013)

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