Wann immer sich die Gelegenheit bietet, zieht der türkische Premier gegen Jerusalem vom Leder.
Die einzige Überraschung ist, dass es so lange gedauert hat. Zwei volle Tage brauchte der türkische Premier Recep Tayyip Erdoğan, um den jüngsten israelischen Angriff auf syrischem Gebiet zu verdammen. Der Feind meines Feindes ist mein Freund? Nicht bei Erdoğan! So sehr er am Sturz des syrischen Diktators Assad arbeitet, so wenig er mit der Hisbollah am Hut hat, der ja Israels Angriff galt: die Gelegenheit, gegen Jerusalem vom Leder zu ziehen, lässt sich ein Erdoğan doch nicht entgehen.
Dabei weiß er selbst nur zu gut, was er getan hätte, würden sich kurdische Rebellen anschicken, in den Besitz von treffsicheren, weitreichenden Raketen zu gelangen. Aber darum geht es nicht.
Seit dem Eklat mit Israels Präsident Peres in Davos 2009 und noch mehr seit der blutigen Erstürmung des Gaza-Hilfsschiffs „Mavi Marmara“ 2010 hat Erdoğan seinem hitzigen Gemüt freien Lauf gelassen und unter dem Beifall der Straße fast den Totalbruch mit einem alten Verbündeten riskiert. Ja, als türkischer Premier konnte er den Tod von neun Staatsbürgern nicht hinnehmen. Doch über die Jahre hat sich Erdoğan mit seinen verbalen Giftpfeilen in eine Art Israel-Falle manövriert. Aus Angst um seine Glaubwürdigkeit wird er also weiter beherzt die Verbalkeule schwingen – auch, wenn er längst mit Israel über eine Gaspipeline verhandelt.
E-Mails an: helmar.dumbs@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2013)