Ab in die strenge Kammer?

strenge Kammer
strenge Kammer(c) Fabry
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Die Wirtschaftskammer versucht, die Stromversorger "einzugliedern". Diese wollen aber partout nicht – was vor allem Juristen freuen wird.

Angeblich ist im Leben nichts wirklich perfekt. Selbst ein strahlend blauer Himmel ist bei genauerem Hinschauen nicht so blau, wie er tut, und auch die vermeintlich makellose Blume hat ihre schwache Seite. Zuversichtliche Gemüter erkennen in dieser Imperfektion absolute Schönheit, weniger Genügsame streben unermüdlich nach wahrer Vollkommenheit. Wie die führenden Funktionsträger der heimischen Kammern. Sie vertreten zwar fast jeden Beschäftigten und Unternehmer in diesem Land – aber eben nur fast.

Das sollte sich ändern, die beiden Sozialpartner wagten dieser Tage einen Schritt in Richtung flächendeckende Zwangsbeglückung: Österreichs Stromversorger sollen in die Wirtschaftskammer eingegliedert werden, im Gegenzug gehen die noch nicht erfassten Gesundheitsberufe an die Arbeiterkammer. Damit wären ein paar blinde Flecken beseitigt – und die beiden Kammern um Millionenbeträge reicher.


Geschlossener Widerstand. Die Gesetzesvorlagen für das Parlament sind längst ausgearbeitet, die Stimmen von SPÖ und ÖVP nur noch Formsache. Nicht restlos überzeugt sind allerdings die Betroffenen selbst. Allen voran die Vertreter der Stromproduzenten, die nach einem Höchstgerichtsurteil seit 60 Jahren vom Kammerzwang befreit sind. Sehr zum Missfallen der Standesvertretung, die mehrfach versuchte, die „Outlaws“ heimzuholen. So auch in diesem Frühjahr, in dem den Energiekonzernen von der WKO offeriert wurde, sich doch in die Sparte „Transport und Verkehr“ einzureihen.

In einem an die Führung der Wirtschaftskammer adressierten Schreiben vom 19. April hielten die Chefs von Verbund, EVN und Energie AG Oberösterreich fest: „Das Präsidium als oberstes Entscheidungsgremium hat sich in seiner Sitzung vom 15. April 2013 eingehend mit diesem WKO-Vorschlag befasst und sich einstimmig gegen eine Eingliederung der E-Wirtschaft zur Wirtschaftskammer Österreich ausgesprochen.“

Helle Begeisterung sieht anders aus. Was auch daran liegen mag, dass die Kammer die Stromerzeuger jährlich um rund 20 Millionen Euro zu erleichtern gedenkt, womit die verpflichtende Vertretung in etwa vier- bis fünfmal so teuer käme wie jene im freien Interessenverband „Österreichs Energie“. Vergangenen Mittwoch lenkte die Wirtschaftskammer ein und verordnete eine „Nachdenkpause“. In dieser Zeit könnte auch geklärt werden, ob für die „Eingliederung“ der Stromkonzerne in die Kammer eine einfache Mehrheit im Parlament reicht oder doch eine Zweidrittelmehrheit nötig ist.

Was bleibt, ist ein etwas unorthodoxer Umgang dieses Landes mit dem freien Willen seiner Bürger. Wer den Kammerzwang für nicht mehr zeitgemäß hält, wird von den Verbänden umgehend zum Gegner der institutionalisierten Interessenvertretung an sich erklärt. Erwachsene Menschen zu Beginn des dritten Jahrtausends noch zu ihrem Glück zu zwingen ist jedenfalls nicht gerade ein Erkennungszeichen aufgeklärter Gesellschaften. So ist es in allen EU-Ländern einzig und allein Sache der Arbeitnehmer, ob und von wem sie sich vertreten lassen wollen – ausgenommen Österreich.

Etwas häufiger anzutreffen sind Pflichtmitgliedschaften für Selbstständige. In sechs EU-Ländern dürfen sich Unternehmer ihre Vertretung noch immer nicht selbst aussuchen. Tendenz sinkend. Zuletzt löste die sozialistische Regierung Spaniens die Kammerpflicht auf, in Slowenien war es bereits 2006 so weit. Dort wurde das Vermögen unter den Mitgliedern aufgeteilt. Österreich hat sich für einen gänzlich anderen Weg entschieden. Im Dezember des Jahres 2007 setzten SPÖ und ÖVP ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament dazu ein, den Kammern des Landes den höchsten Bestandsschutz zu gewähren, den die Republik zu bieten hat: Die Interessenverbände wurden in der Verfassung verankert.

Ein Akt, den ein damals führender ÖVP-Politiker später als einen seiner schwersten Fehler bezeichnen sollte. Das wiederum wusste der Bauunternehmer Hans-Peter Haselsteiner schon vorher: „Die Kammern treten die Flucht in den geschützten Bereich an. Die Mitglieder können nur die Faust ballen und ohnmächtig zusehen. Ich habe mir diese Regierung wirklich gewünscht. Aber diese Verfassungsänderung ist empörend und ein Schlag ins Gesicht aller liberal denkenden Menschen in diesem Land.“

Ein Schlag mit Folgen: Zwar kann die Regierung die Kammern anhalten, ihre Pflichtbeiträge zu senken – die Interessenvertreter würden aber umgehend das Höchstgericht anrufen und monieren, mit den reduzierten Einnahmen ihrer in der Verfassung festgeschriebenen Pflicht der finanziellen Unabhängigkeit nicht mehr nachkommen zu können. Das wiederum werten Juristen als eine Art Pragmatisierung der heimischen Kammern.


Freier Wettbewerb – für alle. Die WKO verweist gern darauf, dass sich 1995 eine breite Mehrheit der Unternehmer für eine verpflichtende Mitgliedschaft ausgesprochen habe. Stimmt. Dennoch sieht es nicht gut aus, wenn sich ausgerechnet jene Kammer vom freien Wettbewerb ausnimmt, den sie ihren Mitgliedern zu Recht als wohlfahrtssteigernd predigt. Etwas eigenwillig ist wohl auch, dass ein Arbeitgeberverband an vorderster Front für das Zusperren von Geschäften an Sonntagen kämpft. Und wenn sich die WKO über teure föderale Strukturen (neun Landes- plus Bezirksverwaltungen) mokiert, sich diese aber eins zu eins in ihrer eigenen Organisation wiederfinden, ist das ebenfalls nicht sehr elegant.

Aber wie gesagt: Nichts im Leben ist wirklich perfekt.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2013)


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