Der schießwütigste Habsburger

Die Habsburger (11)
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Franz Ferdinand: das Tagebuch seiner Weltreise offenbart neue Charakternuancen. Bei ihm musste alles rekordverdächtig sein – seine Abschussliste war es jedenfalls.

Mit 274.899 getöteten Tieren (!) dürfte der einstige Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand von Österreich-Este wohl Weltrekordhalter bleiben in der seltsamen Zunft der Jagdbegeisterten. An Bord des Schiffes Kaiserin Elisabeth, mit dem er 1892/93 seine berühmte Weltreise unternahm, bedauerte er nur, dass es ihm nicht vergönnt war, mit der Bordkanone Wale zu töten.

Ein seltsamer, abstoßender Charakter, aber ein höchst interessanter. Ob sich der Hochfahrende je zu einem überlegten gerechten Herrscher seines 40-Millionen-Staates entwickelt hätte, wissen wir nicht. Eines ist klar: Ein einfacher, ein pflegeleichter Monarch wäre Franz Ferdinand nicht geworden. Als künftiger Kaiser wollte er sich übrigens „FerdinandIII.“ nennen. Seine Begabungen und seine Schwächen sind oftmals ausgeleuchtet worden: ein herrischer, aufbrausender Charakter, ein manischer Arbeiter mit ungeheurer Willensstärke. Legendär ist seine Jagdleidenschaft, die krankhafte Tötungsabsichten offenbarte; bekannt ist aber auch totaler Einsatz für die ihm anvertraute Armee. In seltsamem Gegensatz dazu stand sein liebevolles und harmonisches Familienleben, seine Blumenliebhaberei.

Er wäre höchstwahrscheinlich ein unangenehmer Diktator geworden, hätte er die ganze Fülle kaiserlicher Macht übertragen bekommen. Diese Mutmaßung wird erhärtet durch eine Facette seines Wesens, die erst kürzlich grundlegend dokumentiert wurde: „FF“ war fanatischer Kunstsammler; er liebte Antiquitäten, selbst kitschige; er kaufte wie besessen. Und verbat sich schroff jeden Widerspruch gegen seine Befehle.

Ein ungeliebter Neffe

Gegenüber dem intellektuellen, hochbegabten und gebildeten Kronprinzen Rudolf musste er naturgemäß abfallen. Er selbst, der ungeliebte Neffe des alten Herrschers, war sich seiner mangelhaften Bildung durchaus bewusst. Immerhin war er schon 26, als das Los des Thronfolgers auf ihn fiel und er in „Abendkursen“ Bildung nachholen musste. Sein Geschmack war daher mehr als einseitig. Zeitgenössische Kunst sagte ihm überhaupt nicht zu. So hintertrieb er Gustav Klimts Bestellung zum Professor an der Kunstakademie. Der Leiter seiner Militärkanzlei, Alexander von Brosch, rapportierte dem Herrn: „Im Unterrichtsministerium habe ich gemeldet, dass Eure kaiserl. Hoheit unbedingt gegen die Berufung Klimts oder Egger-Lienz' sind; ich bin überzeugt, dass Graf Stürgckh dem Wunsche Euer kaiserl. Hoheit Rechnung tragen werde...“

Das Traumschloss in Böhmen

Er hatte sein Büro in der Hofburg (das er wegen der Rivalität mit dem greisen Onkel wenig benutzte), er unterhielt seine Militärkanzlei im Belvedere, die als Schattenregierung fungierte. Und er besaß das böhmische Märchenschloss Konopischt südöstlich von Prag. Dies alles wollte mit hunderten Antiquitäten eingerichtet werden.

Und so wurde er tätig – wie ein Wirbelwind, in der von ihm geschätzten Geschwindigkeit. Er war in der Militärkanzlei das Befehlen gewohnt, so tat er sich auch bei der Denkmal-Commission, einer Vorläuferin der heutigen Denkmalschutzbehörde, mit dem Bitten und dem Ersuchen hart. Die Akten strotzen von hastigen, zornigen, rüden, beleidigenden Randnotizen des Prinzen, für den als Thronfolger Gold und Geld keinen realen Wert besaßen.

Seine Sammelleidenschaft ging so weit, dass er sogar eindeutige Hehlerware aufkaufte. Aus der Hofapotheke verschwanden eines Tages alte Salben- und Teetiegel, Waagen und Retorten. Nach seinem Tode nahm das Obersthofmeisteramt den Nachlass auf und identifizierte bass erstaunt die gestohlenen Gegenstände. Er soll z.B. 3000 Statuen und Darstellungen des heiligen Georg besessen haben. In Köln ließ er einen Vertrauten zwei Waggonladungen an Kunstschätzen ersteigern. Nur anhand eines Katalogs. Die Manie, alles Alte als erhaltenswert zu betrachten, brachte freilich auch Segen: So stoppte er den geplanten Abriss des Döblinger Theresien-Schlössels und auch des Theresianums. Ums Palais Schönborn kümmerte er sich ebenfalls höchstpersönlich.

Einst Wallensteins Besitztum

Alles um ihn musste großartig sein. Konopischt war nicht irgendeine Domäne 60 Kilometer südlich von Prag, nein, es war einst Wallensteins Besitz, später gehörte es den Lobkowitz. Franz Ferdinand ließ aus der ganzen Welt Bäume, Sträucher und tausende von Rosen kommen. Allein 300 Hektar wurden für den Park um das Schloss verwendet. Sein Sekretär hatte täglich den Wetterbericht von Konopischt und Chlumetz (Sophies Heimat) telegrafisch zu melden.

Das Tagebuch der Reise Franz Ferdinands rund um die Erde gibt erstaunliche Einsichten in die Gefühlswelt dieses Möchtegernherrschers, von dem Zeitgenossen meinten, er habe kaum Gefühle, außer Groll, Bitterkeit, Verachtung und Wut. Zweifellos wollte „FF“ die Orient-Reise seines Cousins Rudolf übertrumpfen, so lieferte er 15 Notizbücher, aus denen der arme Max Wladimir Freiherr von Beck einen Wälzer von 1100 Seiten produzieren musste. Der spätere Ministerpräsident würgte daran zwei Jahre, man kann es ihm nachfühlen.

3000 Möwen an einem Tag

Trotzdem beharrte der Erzherzog darauf, sein Buch allein verfasst zu haben: „Die Leute glauben rein, dass jeder Erzherzog ein Thadädl sein muss...“ Was sich Ghostwriter Beck über seinen Herrn gedacht haben mag, als er die Jagderzählungen redigierte – wir wissen es nicht. An einem Tag schaffte er es, 3000 Möwen abzuknallen, Gehilfen luden seine Schnellschussgewehre nach und mussten die Kadaver zählen. Immerhin hat er aber auch 18.000 ethnografische und 14.000 naturwissenschaftliche Objekte gesammelt (sammeln lassen), fürs Wiener Naturhistorischen Museum.

Aus den Aufzeichnungen sprechen aber auch eine tiefe und aufrichtige Liebe zu Österreich, eine Liebe zur Natur, fachmännisches Interesse an allen militärischen Dingen und eine intensive Anhänglichkeit an die Tradition. Gegen die Demokratie, wie er sie in Amerika kennengelernt hatte, empfand er Widerwillen. In Summe: ein bemerkenswertes Buch, nicht uninteressant. Man muss ja nicht alle Buchautoren lieben.

Auf einen Blick

Das Buch:
Franz Ferdinand von Österreich-Este,
Frank Gerbert (Hrsg.):
„Die Eingeborenen machten keinen besonders günstigen Eindruck“
Tagebuch meiner Reise um die Erde 1892 bis 1893
Kremayr & Scheriau, 286Seiten, 24Euro

Franz Ferdinand ( geb. 18.Dezember 1863 in Graz, gest. 28.Juni 1914 in Sarajewo) war österreichischer Erzherzog und seit 1896 Thronfolger von Österreich-Ungarn.

Este: FranzV., Herzog von Modena, setzte seinen Neffen Franz Ferdinand als Erben ein, unter der Bedingung, dass dieser den Namen „Este“ annehmen und innerhalb von zwölf Monaten leidlich Italienisch lernen solle. Das tat Franz Ferdinand, aber er hatte zeitlebens eine Abneigung gegen die Sprache und das Land. Der Thronfolger besuchte daher auch niemals seine ausgedehnten Besitzungen in Oberitalien.

Die Welt
bis gestern

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2013)

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