Europas Sozialdemokraten haben einen schweren Stand

Europas Sozialdemokraten
Europas Sozialdemokraten(c) EPA (YOAN VALAT)
  • Drucken

Nur gut ein Drittel der 27 EU-Staaten wird von linken Regierungschefs geführt.

Wien. Was war das für ein Jubel bei den europäischen Sozialdemokraten an jenem 6. Mai 2012 und den Tagen danach: François Hollande hatte es tatsächlich geschafft. Der Sozialist, von vielen als graue Maus und braver Parteisoldat belächelt, hatte den konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy nach nur einer Amtszeit aus dem Élysée gejagt. Das musste er sein, der ersehnte Beginn des Aufwinds für die Schwesterparteien, die in den vergangenen Jahren vielerorts den Sessel des Regierungschefs eingebüßt haben: Griechenland, Großbritannien, Spanien, Portugal, Ungarn – die Liste ist beachtlich.

Ein prominenter Brüsseler Sozialdemokrat wollte in Hollandes Sieg gleich den Auftakt zu einem „europäischen Wechsel“ sehen, weg vom harten Sparkurs à la Merkozy: Die europäische Linke sei geeint hinter Hollande. Und auch SPD-Chef Sigmar Gabriel in Berlin jubelte, wollte er doch den Schwung bis zur Bundestagswahl im Herbst 2013 mitnehmen: „Das wird nicht nur Frankreich verändern, das wird mithelfen, Europa eine andere Richtung zu geben.“

Hollande taugt kaum zum Vorbild

Von Richtung kann keine Rede mehr sein, allenfalls von Stillstand. „Als Präsident würde ich mich stets vorbildlich verhalten“, hatte er im Wahlkampf gesagt. Heute sind Frankreichs europäische Partner ernüchtert und wären froh, wenn er sich überhaupt irgendwie verhalten würde.

Statt sich zum Aufwind für die Parteifamilie auszuwachsen, machte die kurze Brise einer Flaute Platz. Und Gabriel muss erkennen, dass Hollande, von dem laut Umfrage 75 Prozent der Franzosen enttäuscht sind, nicht zum leuchtenden Vorbild taugt, auf das man im Wahlkampf verweisen sollte.

Abgesehen davon, dass der Sozialist Hollande und der Sozialdemokrat Peer Steinbrück, der für die SPD in die Wahlschlacht zieht, nicht viel gemein haben – nicht inhaltlich, und im Stil sowieso nicht. Hollande und Steinbrück repräsentieren zwei Pole ihrer Parteifamilie: Hollande, obwohl bei Weitem nicht der Linkeste der französischen Genossen, steht fest in der Tradition der Parti Socialiste – Arbeitszeit runter, Steuern für Reiche rauf, Ausbau des öffentlichen Dienstes, gespart wird später.

Auf der anderen Seite Peer Steinbrück, mit dem viele Basis-Sozialdemokraten in Deutschland fremdeln, was freilich auf Gegenseitigkeit beruht. Steinbrück, Finanzminister in der Großen Koalition unter Angela Merkel (2005 bis 2009), steht für einen wirtschaftsfreundlichen Kurs und ist ein Verfechter von Ex-Kanzler Gerhard Schröders Agenda 2010 – jenen Reformen vor allem des Arbeitsmarktes, die auch von Konservativen als wichtige Grundlage für Deutschlands heutiges Wohlergehen gewertet werden.

Dass die SPD im Herbst die Rückkehr ins Kanzleramt schafft, scheint derzeit unwahrscheinlich, sie liegt in Umfragen bei 29 Prozent. Besser geht es da der britischen Labour-Party, die sich in der Opposition seit der Wahlschlappe 2010 konsolidieren konnte und derzeit zehn Prozentpunkte vor den regierenden Tories liegt. Gewählt wird aber erst in zwei Jahren.

Derzeit stellen die Sozialdemokraten/Sozialisten oder verwandte Parteien wie „Positives Slowenien“ in zehn von 27 EU-Ländern den Regierungschef, also in gut einem Drittel. Frankreich ist aber das einzige wirkliche Schwergewicht, denn Enrico Letta im ebenfalls bedeutenden Italien ist zwar Sozialdemokrat, doch hat er in einer Koalition mit Silvio Berlusconis Rechtsbündnis wenig Beinfreiheit.

Schwerer Stand im Osten

In Belgien hat Elio di Rupo primär gegen den Zerfall des Staates zu kämpfen, und in Dänemark leidet Helle Thorning-Schmidts Beliebtheit durch die Kürzung von Sozialleistungen. Auch in den östlichen Ländern der EU haben linke Parteien derzeit einen schweren Stand: Sowohl in Ungarn als auch in Polen scheint das konservative Lager ungefährdet an der Macht. Zwei von drei baltischen Staaten haben einen konservativen Premier, ebenfalls Tschechien. Noch. Denn dort führen die Sozialdemokraten im Windschatten der gewonnenen Präsidentenwahl ihres Ex-Mitglieds Miloš Zeman die Umfragen an. Bleiben Robert Fico, der seit 2012 in der Slowakei zum zweiten Mal regiert – und Viktor Ponta in Rumänien. Der gilt freilich wegen nicht immer lupenreinen demokratischen Verhaltens auch unter seinen europäischen Parteifreunden mittlerweile als Problembär.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ende Sozialistischen Internationale
Außenpolitik

Das Ende der Sozialistischen Internationale

In Leipzig wird am Mittwoch die „Progressive Allianz“ gegründet, eine neue Plattform für sozialdemokratisch orientierte Parteien aus aller Welt. Der neue Parteienverbund macht der Sozialistischen Internationale Konkurrenz.
Leitartikel

Ratlose Linke: Mit uralten Rezepten gegen die Multikrise

Europas Sozialdemokraten und Sozialisten brauchten, was einst Gorbatschow der KPdSU verordnet hatte: Veränderung, Transparenz und „neues Denken“.
 Ben Ali
Außenpolitik

Kleptokratisch und autoritär statt sozial

Die Parteien der gestürzten Diktatoren Ben Ali und Hosni Mubarak waren bis 2011 in der SI.
Bruno Kreisky
Zeitreise

Als eine linke Troika die Politik in Europa dominierte

Willy Brandt, Bruno Kreisky und Olof Palme prägten in den 1970er Jahren die Blütezeit der Sozialistischen Internationale.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.