Der Wohnbedarf in Wien steigt, also wird nachverdichtet und im Bestand gebaut - daraus kann Allerfeinstes entstehen. Drei Beispiele aus den Hinterhöfen und Fabrikgebäuden der Stadt.
Wien. Ganz privat und verborgen ist dagegen eine rund 90 Quadratmeter-Wohnung im dritten Bezirk, die ebenfalls gewerbliche Wurzeln hat. Das Hofgebäude eines denkmalgeschützten Biedermeierhauses am Rochusmarkt diente einst als Autowerkstatt und zuvor als Stallung und Kutschenremise einer Fleischhauerei. „Dieses Gewerbe war hier seinerzeit aufgrund der Lage zwischen dem Schlachthof und der Stadt stark vertreten“, erklärt Bauherr Stefan Tenhalter. Der sich nicht nur als Architekt, sondern auch in der zivilgesellschaftlichen Organisation Docomomo-Austria für den Erhalt und die Revitalisierung spannender Bestandsbauten einsetzt - und das auch bei Gebäuden, die ursprünglich nicht errichtet wurden, um darin zu wohnen.
„Es ist kein Luxus, sondern eine Selbstverständlichkeit, Bestandsbauten nicht a priori abzureißen“, betont er. Es dürfe kein Minderheitenprogramm für diejenigen sein, die es sich leisten können. „Es ist vieles machbar, wenn man selbst Hand anlegt und die Prioritäten richtig setzt - etwa lieber in Holzkastenfenster investiert als in Designer-Armaturen.“ Er selbst ist dabei mit gutem Beispiel vorangegangen bei diesem Hinterhaus, das ebenfalls denkmalgeschützt ist und unter Ensembleschutz steht. Die vormals gewerbliche Nutzung des Baubestandes brachte dabei einige Vorteile gegenüber den Wohnhäusern aus dem Biedermeier, aber auch spezielle Herausforderungen mit sich. So waren zu niedere Raumhöhen hier kein Thema, als Problem stellte sich hingegen die Lichtsituation im Obergeschoß dar.
»Es ist kein Luxus, sondern eine Selbstverständlichkeit, Bestandsbauten nicht a priori abzureißen.«
Stefan TenhalterBauherr
Handgehackte Holztrame
„Das Gebäude ist einseitig an die Brandmauer des Nachbarhauses angebaut, was erhebliche Einschränkungen bei der Belichtung mit sich bringt“, so Tenhalter. „Zumal im oberen Stockwerk nur recht kleine Fensteröffnungen in Bodennähe vorhanden waren, und meine Frau und ich die Fassade möglichst originalgetreu erhalten wollten.“ Die Lösung fand er schließlich im Entfernen der Zwischendecke, wodurch der gesamte Dachraum mit wunderschönen, handgehackten Holzträmen sichtbar wurde, sowie dem Einbau hochliegender Dachflächenfenster. Das Licht, das auf diese Weise indirekt über die hohe Feuermauer reflektiert wird, taucht den Raum in ein besonderes, milchig-warmes Licht.

Auch bei der Wiederverwertung und dem Handanlegen war der Architekt konsequent: „Wir haben viel Material aus dem Haus verwenden können, etwa ausgebaute Ziegel, die gereinigt und wieder vermauert wurden“, berichtet er. Außerdem hat er sich Techniken angeeignet, die nicht zur klassischen Architektenausbildung gehören. „Den Putz auf den Schilfmatten der Dachuntersicht haben wir so lange gerieben, bis Textur und Farbe wirklich gepasst haben“, erzählt er. Der Stiegenaufgang wurde vor Ort aus Beton gegossen und dabei aufwändig geschalt, um den Stufen jene Reliefstruktur zu geben, wie man sie von Steinmetzarbeiten kennt. „Sie wurden anschließend satt mit Leinöl eingelassen, das für diesen besonderen, speckigen Charakter sorgt“, so der Architekt. Auch die alten Holzdielen im Obergeschoß wurden behutsam ausgelöst, gebürstet und danach an ihrem alten Platz wieder verlegt – eine Oberfläche mit echten Macken, Brandspuren und Farbflecken. Patina, die „man für Geld nicht kaufen kann“, beschreibt Tenhalter seinen ganz persönlichen Luxus, der sich in Gebäuden mit Geschichte findet. Mehr Infos unter: stefanhalter.at
Groß und opulent
In einer ehemaligen Manufaktur im Fünften gab es dagegen Platz genug. „Hier war einst eine Edeltischlerei untergebracht, die darin auch ihre Ausstellungsräume hatte“, erinnert sich Architekt Daniel Hora. „Und wir wollten das Loft so leben lassen, dass es groß und loftig bleibt“. Denn der Wunsch der Bauherrin, einer Künstlerin, war es, hier auf 350 Quadratmetern einerseits zu wohnen und arbeiten, den Raum aber ebenso für Ausstellungen nutzen zu können. Etwa, wenn man am Abend zu einem netten Beisammensein einlädt – bei dem man auch seine Arbeit herzeigt. Entsprechend wurden in einem ersten Schritt das Schlafzimmer und Bad als Rückzugsbereich am Ende des Lofts mit einer Industrieverglasung abgetrennt, die im „privaten“ Modus die Blickachse durch das komplette Loft öffnet. Sind Gäste da, schaffen Vorhänge hinter dem Glas absolute Privatsphäre. Ohne die besondere Schönheit der gläsernen Wände zu verdecken, denn in diese ist viele Liebe zum Detail geflossen, wie Hora berichtet. „Die haben wir original so im Industriedesign gebaut, wie man früher die Fenster gebaut hat. Das heißt, es ist nichts verschweißt, sondern jedes einzelne Fenster mit 16 Schrauben versehen, wirklich wie früher.“
»Wir wollten nicht die klassischen Stahlstützen mit den Nieten darin, sondern eine wohnlichere, wärmere Variante.«
Daniel HoraArchitekt
Flair mit Stuck
Bei anderen Details haben sich Architekt und Bauherrin dagegen die Freiheit genommen, vom ganz klassischen Loft-Stil abzuweichen. So wurde hochwertigem Holz der Vorzug vor einem typischen Betonboden gegeben. „Ein Industrieboden war kein Thema, weil die Bauherrin einerseits einen warmen Boden wollte, aber auch bereits die Erfahrung gemacht hat, dass sich Ölfarben leichter wieder von Holz entfernen lassen als von Beton“, erklärt der Architekt. Wobei es dann bewusst kein Fischgrätparkett, sondern ein Dielenboden wurde. Bei den Säulen haben sich beide dann doch gestalterische Freiheit im Gründerzeit-Stil genommen: „Wir wollten nicht die klassischen Stahlstützen mit den Nieten darin, sondern eine wohnlichere, wärmere Variante“, so Hora.

Die jetzt dem großen Raum mit einer opulenten Stuck-Ummantelung ein ganz besonderes Flair verleiht und für Struktur sorgt. Die ersten beiden Säulen im Anschluss an den Privatbereich werden von einem riesigen, ikonischen de Sede-Sofa umschlungen; zwischen den nächsten beiden findet sich der große, aus Beton maßgefertigte Esstisch, und hinter dem letzten Säulenpaar beginnt die Küche. „Deren Marmorblock mehr ein Möbel als eine Küche ist, und bei Ausstellungen eher als Bar denn als Küche wahrgenommen wird“, erklärt Hora die Idee dahinter. Die doppelte Nutzung machte außerdem ein besonderes Lichtdesign nötig, das einerseits aus Klassikern wie Tom Dixon-Lampen, aber auch aus Lichtern besteht, die sich bei einer Vernissage zurücknehmen und den Bildern die Bühne überlassen. Was übrigens auch die Besitzerin immer wieder tut: In ihrem Loft wurden unter anderem Folgen der Vorstadtweiber und anderer Serien gedreht. Mehr Infos unter: megatabs.at
Klein und schlicht
Luftig und mit jeder Menge Stauraum lautete die Vorgabe für eine 55 Quadratmeterwohnung in einem Zubau an der Schönlaterngasse im Ersten. „Dort wurde ein altes Häuschen revitalisiert, bei dem es im Innenhof einen Neubautrakt gab“, berichtet Silvia Prager, Geschäftsführerin von openarchitecture. In diesem fand die Architektin auf der Plusseite Raumhöhen von drei Metern vor; auf der anderen Seite einen Grundriss, der die Wände für das WC mit einem schönen Fenster versehen hatte – mitten ins Wohnzimmer. Für massive Umbauarbeiten war es allerdings schon zu spät, und so musste die auf Mikrolofts spezialisierte Architektin das tun, was ohnehin zu ihrem Alltag gehört: Eine gute Lösung für die Nutzung dieser Quadratmeter finden. Das WC verschwand dorthin, wo es hingehört, ins Bad. „Und aus dem geplanten WC im Wohnzimmer haben wir eine Möbel-Box gemacht“, erinnert sie sich.

Der Auftrag der Vorarlberger Bauherrenfamilie lautete, die 55 Quadratmeter so als Studentenwohnung für die Tochter herzurichten, dass sie später auch als Stadtwohnung dienen können. Und entsprechend neben einem Schlafzimmer und offenem Wohn-, Ess- und Kochbereich auch noch Platz für einen Schreibtisch und Arbeitsmaterialien vorhanden sein musste. Außerdem sollte die Wohnung - wie alle kleinen Domizile - natürlich großzügig wirken und jede Menge Stauraum bieten. Was sich nur mit präziser Planung realisieren lässt, weshalb Prager selbst das Schuhkastl auf die Anzahl der Schuhe der künftigen Bewohnerin zuschnitt, und mit einer gerillten Corian-Ablage dafür sorgte, dass auch nasse Schuhe verstaut werden können, ohne das Parkett zu beschädigen.
» Farbe war nur bei den Möbeln gewünscht.«
Silvia PragerGeschäftsführerin von openarchitecture
Alles an seinem Platz
Unordnung ist in kleinen Wohnungen der Feind Nummer Eins, wenn es um ein großzügiges Wohngefühl geht. Entsprechend finden sich in den anderen Möbelboxen und Einbauschränken auch Platz für die Schmutzwäsche und den Wäschetrockner; die Waschmaschine verschwindet genauso hinter einer Schrankfront im Bad wie das Leergut in einer Box an der Rückseite der Küche und die Kabel für Laptop, Drucker und Co in einem eigenen Fach auf der Rückseite des kleinen Schreibtisches. Neben dem die weißen Boxen an der Wand groß genug sind, um auch Ordner und sperrigere Unterlagen aufzunehmen und der Schreibtischsessel in grauem Samt die Brücke zum Essbereich bildet, so dass das Mini-Büro kaum als solches wahrzunehmen ist.

Farblich hält sich das Mikroloft auf Wunsch der Bauherrenschaft mächtig zurück, hier dominiert weiß, was auch für den Carrara-Marmor in der offenen Küche gilt - mit einem dunklen Boden als schönem Kontrast. „Farbe war nur bei den Möbeln gewünscht“, erinnert sich Prager. Wobei die grauen Samtsessel und -barhocker Lieblingsstücke der Familie waren. Die dann wie so vieles in kleinen Wohnungen angepasst werden mussten. „Die haben wir extra verlängert“; so die Designerin. Denn der Counter hier ist höher als normale Kücheninseln, weil - man ahnt es schon – darunter natürlich zusätzlicher Stauraum verbirgt. Mehr Infos unter: openarchitecture.at