Farbgeschichte: Rosa, die umstrittenste Farbe der Welt

Farbgeschichte Rosa umstrittenste Farbe Welt
Farbgeschichte Rosa umstrittenste Farbe Welt(c) EPA (JENS KALAENE)
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Wie aus einer Buben- eine Mädchenfarbe wurde und was Pink mit dem kleinen Finger zu tun hat. Anlässlich der umstrittenen Barbie-Ausstellung in Berlin: eine kurze Geschichte des „kleinen Rot“.

Noch vor einem Jahr nannte Klara als Lieblingsfarben Rosa, Lila, Schwarz, nun ist sie vier und liebt nur noch Rosa und Lila. Nach Rosa griff sie schon mit zwei. Und das, obwohl ihre Mama einst im Kindergarten Rosa so blöd fand wie Prinzessinnen und Ballett. Klaras Schwester schließlich ist zwei und tauscht einen rosa Teller liebend gern gegen einen orangen oder roten Teller. Je greller, desto besser, Rosa ist ihr egal. Wie lange noch?

Wie viel bestimmt die Natur, wie viel die Umwelt, wie wir Farben sehen? Bei jeder anderen Farbe wären solche Fragen interessant, aber doch akademisch. Bei Rosa nicht. Die umstrittenste Farbe der Gegenwart führt direkt auf das ideologische Schlachtfeld, wo um Sein und Schein der Geschlechter gekämpft wird. Jüngstes Beispiel: der Streit um die vergangenen Donnerstag in Berlin eröffnete Barbie-Ausstellung in Form eines restlos rosaroten „Traumhaus“-Universums. Wie schon seit Jahren in der internationalen Kampagne „Pink stinks“ ist die Kritik an der Barbie-Ästhetik zum guten Teil Farbkritik. Aber kann eine Farbe per se „schlecht“ sein?

1918: „Die Regel ist Rosa für Buben“

Rosa verniedliche und schwäche, kritisiert die „Pink stinks“-Kampagne. Vor hundert Jahren glaubte man das Gegenteil. In den 1920er-Jahren vermarkteten Textilunternehmen Rosa als passend für die Buben. Man sah es, wie schon seit Jahrhunderten, als das „kleine Rot“. Rot, die Farbe von Blut und Krieg, war traditionell Männerfarbe, abgeschwächt wurde es zu Rosa und schien passend für die Männer in Kleinformat. Eine Handelszeitschrift von 1918 schrieb über Kinderkleidung: „Die allgemein akzeptierte Regel ist Rosa für Buben und Blau für Mädchen. Der Grund dafür ist, dass Rosa eine entschlossenere, stärkere Farbe ist und daher passender für den Buben, während Blau, das zarter und anmutiger ist, hübscher an Mädchen ist.“ Blau hatte damals schon eine lange Tradition als Mädchenfarbe, weil es mit der Jungfrau Maria assoziiert war.

So manipulierbar ist unsere Interpretation von Farben. Ludwig Wittgenstein fand es gänzlich müßig, über die Charaktere von Farben zu reden, es komme nur auf den Farbträger an, glaubte er. Man denke bei Farben „eigentlich nur an spezielle Verwendungen. Dass Grün als Farbe einer Tischdecke diese, Rot jene Wirkung hat, lässt auf ihre Wirkung in einem Bild keinen Schluss zu.“

Die Theorie ist wohl überspitzt. Die Farbe Rosa ist mit Menschenhaut verbunden, steht so für Leben und Sexualität – etwa in Franz Wests grellrosa bemalten Aluminiumskulpturen. Rosa entsteht durch Verbindung von Weiß und Rot, den zwei Inbegriffen von weiblicher und männlicher Schönheit. Rote Lippen, weiße Haut hat nicht nur Schneewittchen, diese Kombination fasziniert auch Parzival an seiner Frau Condwiramurs. Sie sei wie eine vom Tau benetzte Rose, sagt er.

Das im Deutschen geschrumpfte „Pink“

Um das Rot der Rose zu bezeichnen, sprach man lange von „rosenfarben“, „rosenrot“ oder „rosig“, erst im 18.Jahrhundert fand man ein eigenes Wort, man leitete es vom lateinischen Blumennamen „rosa“ für die „Edelrose“ ab. Auch das Wort „pink“ kam von einer Blume, der Nelke. Es war ursprünglich ein Verb und konnte „ausschneiden“, „durchbrechen“ meinen, „pink“ für die Nelke bezog sich auf die leicht gezackten Ränder dieser Blume. „Pinck oogen“ sagten die Niederländer zu kleinen Augen, vielleicht kommt sogar das englische Wort für den kleinen Finger, „pinkie“, von dort. Pink bezeichnete alle möglichen Rottöne bis zum Ocker, in den 1980er-Jahren kam es sehr verarmt in die deutschen Wörterbücher: Laut Duden meint es nur ein „kräftiges, leicht grelles Rosa“.

Weder Rosa noch Pink war bis in die Zwischenkriegszeit weiblich konnotiert. Im Rokoko ebenso wie im elisabethanischen England war Rosa eine Zeit lang der letzte Schrei der Männermode. Doch dann kamen neue Färbemethoden in die Textilindustrie, das Weiß als Babyfarbe wich Pastellfarben, dann kamen die „blue-collar workers“ und der Blaumann, Matrosen- und Arbeiterkleidung „vermännlichten“ das Blau.

So blieb die Blau/Rosa-Farbenlehre, nur mit vertauschtem Geschlecht. In Deutschland hatte sich Rosa als Mädchenfarbe vor dem Zweiten Weltkrieg schon so weit etabliert, dass (als „weibisch“ geschmähte) Homosexuelle in den KZ den „rosa Winkel“ als Erkennungszeichen tragen mussten: Rosa als Schwulenfarbe war geboren. „In den 1950er-Jahren war Rosa stark weiblich assoziiert“, sagt die Historikerin Jo Paoletti, „aber nicht annähernd so streng und allgemeingültig wie heute.“

Heute kann die Industrie doppelt so viel Spielzeug und Gewand verkaufen, wenn sie den Konsumenten einredet, dass Rosa unmännlich ist. Das hat sie geschafft. Die Rosa-Ästhetik ist ihr Produkt – und Farbträger wie etwas das Barbie-Traumhaus verwischen auch die Unterschiede zwischen höchst unterschiedlichen Farbwerten. Ist Pink nicht dem Rot näher als dem zarten Rosa, Rosa nicht näher dem Hellblau als dem Pink?

Ist es also nur das Ergebnis kommerzieller Gehirnwäsche, dass kleine Mädchen Rosa mehr lieben als Buben? Nun, es gibt Anzeichen dafür, dass Frauen die Farben anders als Männer sehen. Studien von Israel Abramov (City University of New York) ergaben, dass Männer gemischte Farben ein wenig bläulicher wahrnehmen, dass Frauen also die Welt in wärmeren Farben sehen. Erklärbar wären solche Unterschiede: Im Sehzentrum sind besonders viele Andockstellen für das männliche Sexualhormon Testosteron. Und die Gene für zwei der drei Farbrezeptoren liegen auf dem X-Chromosom, das ist auch schuld daran, warum Rot-Grün-Farbenblindheit fast nur bei Männern auftritt.

Könnten solche Unterschiede einen biologischen Sinn haben? War es für unsere weiblichen Ahnen wichtiger, rote Früchte zu sehen, als für die männlichen? Spielt mit, dass Rot als Sexualsignal wirkt? Rosa als dezenteres Signal? Auch die Biologie gibt keine klaren Antworten. Und die mächtige Kultur hat sie gewiss überlagert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2013)

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