Geheimdienst kannte Woolwich-Attentäter

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Die beiden Männer, die auf offener Straße einen Soldaten töteten, waren von den Behörden fälschlicherweise nicht als gefährlich eingestuft worden.

London. Nach dem grausamen Soldatenmord in Woolwich wird in Großbritannien Kritik an den Sicherheitskräften laut. Die beiden mutmaßlichen Täter sollen seit acht Jahren dem Geheimdienst bekannt gewesen sein, wurden aber als „Randfiguren“ eingestuft und daher in jüngster Zeit nicht mehr überwacht. „Wir werden prüfen, was die Behörden wussten“, sagte Minister Eric Pickles. „Aber in einer freien Gesellschaft ist es nicht möglich, jeden immer zu kontrollieren.“

Beide Attentäter waren nicht vernehmungsfähig. Neben dem 28-jährigen Michael Olumide Adebolajo wurde als zweiter Täter nach Medienberichten der 22-jährige Michael Adebowale identifiziert. Beide stammen aus Familien aus Nigeria und wuchsen in Großbritannien auf. Sie sollen sich in der Vergangenheit um einen Aufenthalt in Somalia bemüht haben. Das ostafrikanische Land gilt als Brutstätte islamischer Terroristen.

Adebolajo konvertierte 2003 zum Islam und besuchte Veranstaltungen des berüchtigten Hasspredigers Omar Bakri Mohammed. Dieser beschrieb Adebolajo als „sehr schüchtern und sehr still“. Er habe sich über die Irak-Invasion „empört“ gezeigt. In späteren Jahren blieb Adebolajo den Predigten fern. In den Wochen vor dem Anschlag wurde er allerdings auf der Hauptstraße von Woolwich beim Verteilen radikaler Pamphlete gefilmt.

Bakri, der 2001 die 9/11-Attentäter als die „glorreichen 19“ gepriesen hatte und 2010 aus Großbritannien ausgewiesen worden war, pries den Mord von Woolwich: „Für uns ist er ein Held.“ Demgegenüber beeilten sich moslemische Organisationen aller Richtungen, den „barbarischen Gewaltakt“ (so der Muslim Council of Britain) in scharfen Worten zu verurteilen. Dennoch verstärkten die Behörden den Schutz von Moscheen, nachdem es zu Übergriffen von Rechtsextremisten gekommen war.

Zugleich wurden die Ermittlungen zu den Hintergründen der Tat fortgesetzt. Sieben Wohnungen in London, Essex und Lincoln wurden durchsucht, ein Mann und eine Frau, beide 29 Jahre, wurden verhaftet. Möglicherweise hatten die angeblichen „einsamen Wölfe“ einen größeren Kreis von Mitwissern, was ebenfalls die Sicherheitskräfte in ein schlechtes Licht rücken würde. Der frühere Antiterrorchef des Geheimdienstes MI6, Richard Barrett, sagte: „Wann verwandelt sich eine Person mit radikalen Ansichten in einen gewaltsamen Extremisten? Diese Signale zu finden, ist enorm schwierig.“

Schlagzeuger und Maschinengewehrschütze

Die Behörden veröffentlichten unterdessen die Identität des Mordopfers von Mittwoch. Es handelte sich um den 25-jährigen Lee Rigby aus Nordengland, der Maschinengewehrschütze war auch Schlagzeuger in der Militärkapelle. Er war seit sieben Jahre in der Armee und diente 2009 in Afghanistan, wo die Mutter seines zweijährigen Sohnes immer noch im Einsatz sein soll.

Während die Sicherheitsvorkehrungen rund um Kasernen verstärkt wurden, erhöhten die britischen Behörden die aktuelle Warnstufe für das Land nicht. Zu Aufregung kam es dennoch gestern früh in Heathrow, als der Flughafen plötzlich für jeden Flugverkehr geschlossen werden musste. Grund war die Notlandung einer Passagiermaschine.

Auf einen Blick

Das al-Qaida-Magazin „Inspire“, vom 2011 getöteten radikalen Prediger Anwar al-Awlaki gegründet, wird mit seinen Beiträgen wie etwa über „Bombenbau in Mutters Küche“ in Extremistenkreisen als Pflichtlektüre betrachtet. Laut dem britischen „Guardian“ ist es das „Vanity Fair des Terrorismus“. Sowohl der Anschlag von Boston als auch jener in Woolwich wurden möglicherweise von „Inspire“ inspiriert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2013)

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