Wifo-Chef: „Deutschlands Image ist viel besser als seine Leistungen“

Karl Aiginger
Karl AigingerDie Presse
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Für Wifo-Chef Aiginger ist Deutschland nicht in allen Bereichen die Nummer eins.

Die Presse: Beginnen wir mit einer schwierigen Prognose: Wer gewinnt heute Abend das Champions-League-Finale?

Karl Aiginger: Bayern München.

Weil der Klub wirtschaftlich gut geführt ist, keine Schulden hat, weil bei den Bayern das Leistungsprinzip über allem steht?

So genau kenne ich mich nicht aus. Aber sie haben die besten Spieler. Das liegt wohl auch an der Jugendarbeit.

Man hat den Eindruck, Deutschland regiert alles– den Fußball, die europäische Politik, und in der Wirtschaftskrise ist es der Fels in der Brandung.

Aber insgesamt fällt Deutschland permanent zurück. Sowohl beim Pro-Kopf-Einkommen als auch bei den Sozial- und Umweltindikatoren. Das Image ist viel besser als die Leistungen. Wenn man Deutschland nach Kriterien misst, die über das Bruttoinlandsprodukt hinausgehen, liegen Schweden, Dänemark, aber auch Österreich klar vor Deutschland.

Aber wirtschaftlich ist Deutschland stark. Die Autoindustrie schreibt Gewinne und hält Arbeitsplätze, weil sie in Asien verkaufen kann. Peugeot streicht in Frankreich 6000 Jobs.

Deutschland hat die gute Preis-Kosten-Relation dazu genützt, ein riesiges Leistungsbilanzdefizit aufzubauen, um Geld für Investitionen vor allem in Asien zu haben.

Das klingt nach einem Erfolgsrezept.

Wenn ich ein deutscher Wähler wäre, würde ich sagen, dass das nicht das richtige Rezept ist, weil Einkommen, soziale, gesundheitliche und ökologische Ziele zu kurz kommen. In all diesen Bereichen ist Deutschland in den vergangenen zehn Jahren zurückgefallen.

Aber es waren keine Neoliberalen, die dieses Rezept verschrieben haben. Es war der Sozialdemokrat Gerhard Schröder.

Es ist immer leichter, neoliberale Reformen von einem Sozialdemokraten durchführen zu lassen. Eine konservative Regierung hätte die Hartz-Reformen nie durchgesetzt. Ganz Deutschland wäre auf die Straße gegangen.

Und heute hat Deutschland die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa.

Hartz IV war damals die richtige Entscheidung , weil ein Teil des Landes nicht wettbewerbsfähig war. Aber heute könnte man die Lohnquote wieder auf ein normales Maß erhöhen. Dann hätte Deutschland nicht jedes Jahr steigende Einkommensunterschiede und eine höhere Armutsquote.

Aber profitiert Deutschland nicht gerade jetzt in der Krise enorm?

Das ist nur halb richtig. Deutschland hat in den vier Jahren nach Ausbruch der Krise davon profitiert, dass es auf den internationalen Märkten stark vertreten ist. Trotzdem: Österreich wächst heuer deutlich stärker als Deutschland. Und in Deutschland hängt viel davon ab, ob es der Autoindustrie gut geht oder nicht. Das ist auch nicht der Sinn einer hoch diversifizierten Wirtschaft.

Die Franzosen und Italiener wären froh, ginge es ihrer Autoindustrie nur so schlecht wie der deutschen.

Die darum kämpft, dass ja keine CO2-Steuer eingeführt wird, der Benzinpreis niedrig ist und die sich gegen Energiesteuern und Lohnerhöhungen stemmt. So verhält sich kein Hochtechnologieland. Deutschland ist nicht führend bei Forschung und Bildung.

Die Deutschen sehen das aber anders als Sie und andere Wirtschaftsforscher.

Ja, Kanzlerin Angela Merkel ist mit ihrer Politik so populär. In Deutschland ist der Begriff Wettbewerbsfähigkeit so wichtig, dass man damit politisch alles durchsetzen kann. Aber diese Wettbewerbsfähigkeit ist in einem unnötig hohen Ausmaß gegeben.

In Österreich kritisieren Unternehmer die sinkende Wettbewerbsfähigkeit.

Auch wir haben eine aktive Leistungsbilanz (wenn die Exporte die Importe übersteigen, Anm.). Unsere Exporte steigen. Die Behauptung, Österreich sei nicht wettbewerbsfähig, ist ein Unsinn.

Aber es ist lohnenswert, darüber nachzudenken, ob das morgen auch noch der Fall sein wird.

Richtig. Und man sollte vor allem darüber nachdenken, ob wir durch geringere Löhne oder durch bessere Bildung wettbewerbsfähig bleiben. Und ich sehe die Baustelle Nummer eins im Bildungssystem. In der Forschung herrscht Stagnation. Die Universitäten haben zu wenig Geld. Die Grundlagenforschung ist viel zu schwach.

Man hat in Österreich das Gefühl, dass Leistung immer stärker negativ behaftet ist. Bei Leistung wird als Erstes Burn-out gesagt.

Die Jugend will Leistung bringen. Menschen sind heute viel mehr bereit, für die Firmenziele Tag und Nacht zu arbeiten. Aber sie wollen eine faire Bezahlung und die Arbeitszeit stärker selbst bestimmen. In vielen Firmen geht das, das ist auch ein Teil des österreichischen Erfolges.

Zwischen Österreich und Deutschland gibt es noch einen Unterschied: Die Deutschen schaffen heuer beinahe ein ausgeglichenes Budget.

Die Deutschen haben eine sehr starke Priorität beim Budget gesetzt, das ist teilweise die Folge des höheren Wachstums in den Jahren seit der Krise. Und sie haben früher das Pensionssystem reformiert.

Wann werden wir den Deutschen das ausgeglichene Budget nachmachen?

Ich möchte nicht sagen, dass das an der Hypo Alpe Adria hängt.

Aber Sie würden es auch nicht verneinen.

Ohne Banken sind wir nicht weit davon entfernt. Würde man noch die Tunnel abziehen, hätten wir es schon.

Zur Person

Karl Aiginger (*1948) leitet seit 2005 das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo), wo er seit 1970 als Forscher tätig ist. Aiginger ist Gastprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien und der Stanford University in Kalifornien. Von 1993 bis 2000 saß er im Aufsichtsrat der staatlichen Industrieholding ÖIAG.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2013)

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