„Im Spitalwesen geht es nicht um Moral. Sondern einzig ums Geschäft“

Vereinigte Staaten. Kein Land gibt für das Gesundheitswesen so viel Geld aus wie die USA. Das liegt an der Marktmacht der Spitalsbetreiber. Gesünder macht es die Amerikaner nicht.

Washington. Acht Jahre Kampf gegen den rasanten Anstieg der Gesundheitskosten im US-Bundesstaat Maryland haben Joseph Antos ernüchtert. „Wir haben niemandem auch nur irgendein Geld erspart“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“.

Als Mitglied der Kommission für die Prüfung der Gesundheitskosten dieses 5,7 Millionen Einwohner zählenden Staates hatte er dafür zu sorgen, dass die jährlichen Steigerungen der Preise für die Behandlungen im Rahmen des Vernünftigen bleiben. Maryland ist der einzige Bundesstaat, der den Spitalsbetreibern Preise für jede Therapieform vorschreibt. Die gelten dann für jeden Patienten; egal, ob er von seinem Arbeitgeber versichert wird, älter als 65 ist oder arm und im Sozialprogramm Medicaid.

Medizintechnik treibt die Kosten

In der Realität allerdings waren die staatlichen Kommissäre mit einem abgekarteten Zusammenspiel der Spitalsbetreiber und Versicherungskonzerne konfrontiert. „Die Spitäler legten uns jedes Jahr einen sehr hohe Faktor zur Anhebung der Kosten vor. Die drei großen Versicherer lagen mit ihren Gegenvorschlägen irgendwo darunter. Und wir haben am Ende einfach den Mittelwert gebildet“, sagt Antos, der heute am wirtschaftsliberalen American Enterprise Institute in Washington forscht. Für die öffentliche Hand gebe es somit kaum eine Möglichkeit, die Kosten zu bremsen: „In Wahrheit müssen solche Kommissionen schlicht und ergreifend Ermessensentscheidungen treffen. Das ist überhaupt nicht auf Daten gegründet. Es ist rein politisch – mit einem kleinen p.“

Das kleine p hat allerdings große finanzielle Auswirkungen. Im Jahr 2011 gaben die Amerikaner in Summe 2,7 Billionen Dollar (2,1 Billionen Euro) für ihr Gesundheitswesen aus, hält das Budgetbüro des US-Kongresses fest. Das waren 17,9 Prozent der Wirtschaftsleistung: Ein Rekord im Kreis der industrialisierten Staaten. Die USA geben einen doppelt so hohen Anteil ihres Bruttoinlandsprodukts für die Gesundheit aus wie der Durchschnitt der OECD-Länder. Der Staat und die Bürger teilen sich diese Ausgaben im Verhältnis 49 zu 51.

Jeder fünfte Dollar entfällt dabei auf das Medicare-Programm. Präsident Lyndon B. Johnson schuf diesen Eckpfeiler seiner sozialstaatlichen „Great Society“-Agenda im Jahr 1965, um für Senioren über 65 sowie behinderten jüngeren Menschen die Krankenversorgung leistbar zu machen. Finanziert wird das in erster Linie mit den Einnahmen aus der Lohnsteuer. Die Senioren zahlen geringfügige Eigenbeiträge.

Die Amerikaner lieben Medicare. Allein von 1985 bis 2011 stiegen die Bundesausgaben für dieses Programm von 1,7 Prozent auf 3,7 Prozent des BIPs. In den vergangenen 25 Jahren wuchsen die gesamten Gesundheitsausgaben pro Jahr im Durchschnitt um 1,6 Prozentpunkte schneller als die Wirtschaft.

Das liegt vor allem an der rasanten Entwicklung neuer medizinischer Technologien, hält das Budgetbüro des Kongresses fest. Damit werden immer mehr schwere Krankheiten heilbar. Die Wunder der Medizintechnik sind aber teuer. Und wenn so ein Kernspintomograf erst einmal im Spital steht, will er ordentlich ausgelastet werden. „Wir haben keine Institutionen, die gut darin sind, Nein zu sehr teuren Behandlungsweisen zu sagen, deren medizinischer Mehrwert begrenzt ist“, gibt Antos zu bedenken. „Medicare ist die Maschine, die in diesem Land die Ausgaben antreibt.“

Denn das Programm verleiht den Versicherten Ansprüche auf bestimmte Leistungen, deckelt aber deren Preise nicht. Somit wird Medicare, bildlich gesprochen, zum Fass ohne Boden: Seit 2008 reichen die Lohnsteuereinnahmen und die Beiträge der Senioren nicht mehr aus, um die Kosten zu decken, weshalb Zuschüsse aus dem Bundesbudget nötig sind. Medicare ist als „entitlement program“ nicht von den automatischen Budgetkürzungen des Sequester betroffen, die seit 1. März in Kraft sind. „Entitlement“ bedeutet Rechtsanspruch. Oder, wie man in Österreich sagen würde, „wohlerworbenes Recht“.

Miserable teure Grundversorgung

Wirklich gesünder als der Rest der entwickelten Welt sind die Amerikaner allerdings nicht, wie man aus den OECD-Statistiken lesen kann. Kaufkraftbereinigt gab jeder Amerikaner im Jahr 2010 durchschnittlich 8233 Dollar für seine Gesundheit aus. In Österreich waren es 4395 Dollar, im OECD-Mittel 3268 Dollar. In der Krebstherapie sind die Amerikaner spitze; in der Grundversorgung miserabel. Sechsmal so viele Patienten wie in Deutschland müssen wegen Asthma stationär behandelt werden. Die Fettleibigkeit ist Amerikas Volkskrankheit Nummer eins.

Die hohen Kosten lassen sich damit erklären, dass die Verwaltungskosten des US-Gesundheitswesens dreimal so hoch sind wie im OECD-Schnitt; Ambulanzen sind doppelt so teuer wie im Rest der entwickelten Welt. Eine Geburt kostete im Jahr 2007 mit durchschnittlich 2984 Dollar doppelt so viel wie in Finnland. Die Entfernung eines Blinddarms war mit 5044 Dollar fast doppelt so teuer wie in Deutschland.

Die Spitalsgesellschaften argumentieren damit, dass gute medizinische Betreuung ihren Preis hat und niemandem vorenthalten werden dürfe. „In dem meisten Ballungszentren der USA haben die Krankenhausbetreiber eine enorme Marktmacht entwickelt und treiben die Preise stark nach oben“, kritisiert Antos. Moralische Appelle, wonach Gesundheit für jeden leistbar sein müsse, hält er für scheinheilig: „Hier geht es nicht um Moral. Nicht in diesem Land, nicht in Ihrem. Es geht einzig um Geschäft.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2013)

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