Gesundheit: Spitalsbetten als Krankmacher

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Den Verdacht gibt es schon länger. Doch nun nennt eine Studie Zahlen und Fakten: Spitalsbetten verursachen Aufnahmen und Operationen, die gar nicht nötig wären.

Wien. Viele Spitalsaufenthalte und Operationen sind in Österreich nicht auf objektiv festgestellte Krankheiten und Gebrechen zurückzuführen, sondern schlicht auf das Vorhandensein entsprechender Spitalsbetten: Betten, die Politiker in der Vergangenheit errichten ließen, und die nun unbedingt belegt – und damit finanziert – werden müssen. Das ist das Ergebnis einer noch unveröffentlichten Forschungsarbeit eines Dissertanten aus Salzburg.

Der Volkswirt und Demograf Florian Habersberger, der selbst einige Jahre in der Spitalsverwaltung tätig war, wies mit seinen Berechnungen nach, dass ein Zuwachs von Spitalsbetten von einem Prozent in der Vergangenheit automatisch den Effekt hatte, dass auch die Spitalsaufenthalte stiegen. Bei der Inneren Medizin um 1,72 Prozent, bei der Urologie um 1,62 Prozent, in der Orthopädie um 1,48 Prozent. Das klingt auf den ersten Blick wenig spektakulär, entpuppt sich bei näherem Hinsehen jedoch als gesundheitsökonomisches Paradoxon, denn: „Eigentlich dürfte es diesen Effekt überhaupt nicht geben“, sagt Habersberger. Es widerspreche jeder Logik, dass erst die Errichtung eines Akutbettes eine Operation notwendig mache. Anders formuliert: Zwischen Kapazitäten bei Spitälern und Versorgungsbedarf in der Bevölkerung dürfte eigentlich kein Zusammenhang bestehen.

Laut Habersbergers Berechnungen gibt es diesen aber. Die Kernaussage seiner Forschungsarbeit lautet, dass dort, wo Überkapazitäten von Betten aufgebaut wurden, auch besonders eifrig eingewiesen und operiert wird. Deutlich zeigt sich das in den zum Teil massiven regionalen Unterschieden bei Krankenhausaufenthalten. Diese Daten sind über den Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) öffentlich einsehbar, Habersberger hat sie um demografische Besonderheiten bereinigt, da in Regionen mit einer statistisch älteren Bevölkerung automatisch mehr Zuweisungen entstehen.

Als auffällig operationsfreundlich stellte sich etwa die Versorgungsregion Innviertel (Oberösterreich) heraus. Dort greifen Spitalsärzte pro Einwohner um 27 Prozent häufiger zum Skalpell als im Bundesschnitt. Dabei gibt es aber große Unterschiede zwischen den medizinischen Fächern: Der Blick auf Detaildaten zeigt, dass bereits kleinste Schwerpunkte in vergleichsweise unbedeutenden Landspitälern offensichtlich großen Operationsbedarf nach sich ziehen. Im Bereich Neurologie sticht die Region Mostviertel (Niederösterreich) mit exakt 200 Prozent der sonst üblichen Aufnahmeraten hervor. In der Region Vorarlberg-Süd scheint es mit 192 Prozent vom Bundesmittel einen besonders hohen Bedarf an plastischer Chirurgie zu geben. In der Salzburger Region Pinzgau-Pongau-Lungau scheint die Bevölkerung überdurchschnittlich häufig (154 Prozent) orthopädische Beschwerden zu haben, Lungenprobleme (Pulmologie) sind offenbar in und rund um Linz (240 Prozent) besonders verbreitet.

Spitalsaufenthalte bringen Geld

Statistisch und demografisch dürfte es diese Unterschiede eigentlich nicht geben, meinen die von der „Presse“ befragten Experten. Warum sie dennoch existieren? Bereits vor 14 Jahren beschrieb der Gesundheitsplaner Gerhard Fülöp ein Phänomen, das er „angebotsinduzierte Nachfrage“ nannte. Zitat: „Sind nun die Betten einer der behandelnden Krankenanstalten unterausgelastet, so wird ein Anreiz entstehen, die Patienten eher stationär aufzunehmen.“ Genau das bringt den jeweiligen Spitalsträgern nämlich Geld.
Bernhard Wurzer, stv. Generaldirektor im Hauptverband, drückt es etwas anders aus, meint aber das Gleiche. „Es gibt wohl viele Dinge, die man in Tageskliniken oder bei niedergelassenen Ärzten erledigen könnte, die letztlich aber häufig in einer stationären Aufnahme enden.“ Das aktuell gültige Abrechnungssystem (siehe Artikel unten) schaffe genau diese Anreize.

Wie leichtfertig Patienten (mutmaßlich zum Zweck der Krankenhausfinanzierung) in Österreich ins Spital überwiesen werden, zeigen zwei weitere Studien. Anfang April war in einer OECD-Studie zu lesen, dass der Wert von 261 Spitalsaufenthalten pro 1000 Einwohnern und Jahr in Industrienationen einzigartig sei. Vor zwei Jahren stellte man in einer Untersuchung am niederösterreichischen Landesklinikum Horn fest, dass zwei Drittel der Zuweisungen eigentlich nicht nötig waren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2013)

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